8. Mai: Trauer- oder Feiertag?

Von unseren Mitarbeitern Leonie, Maria und Maximilian (10.05.2005 19:26)

Viel Völker gedenken am 8. Mai des Tages, an dem der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Seinem Schicksal gemäß hat jedes Volk dabei seine eigenen Gefühle. Sieg oder Niederlage, Befreiung von Unrecht und Fremdherrschaft oder Übertragung zu neuer Abhängigkeit, Teilung, neue Bündnisse, gewaltige Machtverschiebungen – der 8. Mai 1945 ist ein Datum von entscheidender historischer Bedeutung.

Lager Auschwitz

Foto u. folgende: Frankfurter Rundschau

Der 8. Mai ist für uns ein Tag der Erinnerung, was Menschen erleiden mussten. Er ist auch ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Der 8. Mai ist für uns kein Tag der Feier. Jeder Mensch erlebte den 8. Mai anders. Der eine kehrte heim, der andere wurde heimatlos. Manche gingen in die Gefangenschaft, für manche endete sie. Die meisten Deutschen glaubten, für eine gute Sache des eigenen Landes zu kämpfen und zu leiden. Nun stellte sich heraus, dass sie sinnlose und unmenschliche Ziele einer verbrecherischen Organisation verfolgten. Erschöpfung, Ratlosigkeit und neue Sorgen kennzeichneten die Gefühle der meisten.

Die Vernichtungslager lagen überwiegend im Osten

Heute gilt der 8. Mai als Tag der Befreiung von dem menschen- verachteten System der national- sozialistischen Gewaltherrschaft. Wir haben allen Grund, den 8. Mai als Irrweg deutscher Geschichte zu erkennen mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wir gedenken allen Völkern, die im Krieg gelitten haben. Als Deutsche gedenken wir auch den Soldaten, die ihr Leben gelassen haben, um ihre Heimat zu verteidigen und auch all den unschuldigen Menschen, die durch den Krieg ihr Leben verloren haben.

Lagereingang von Auschwitz mit der zynischen Parole: „Arbeit macht frei“

Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gibt es nicht. Schuld ist wie Unschuld. Wer aber von der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer seine Augen vor Unmenschlichkeit verschließt, wird wieder anfällig für neue sein.

Auch Alte und Kinder wurden nicht verschont

Das jüdische Volk erinnert sich und wird sich immer erinnern. Ohne Erinnerung kann es gar keine Versöhnung geben. Die Erinnerung gehört zum jüdischen Glauben. Die Erinnerung ist die Erfahrung und die Erfahrung ist die Quelle des Glaubens an die Erlösung. Wenn wir das vergessen würden, was geschehen ist, wäre das nicht nur unmenschlich.

An der Selektionsrampe

Der 8. Mai ist ein tiefer historischer Einschnitt, nicht nur in der deutschen, sondern auch in der europäischen Geschichte. Auf dem Weg ins Unheil wurde Hitler die treibende Kraft. Er erzeugte und er nutzte Massenwahn. Eine schwache Demokratie war unfähig, ihm Einhalt zu gebieten.

Kinder hinter Stacheldraht

Immer wieder hat Hitler ausgesprochen: wenn das deutsche Volk schon nicht fähig sei, in diesem Krieg zu siegen, dann möge es eben untergehen. Die anderen Völker wurden zunächst Opfer eines von Deutschland ausgehenden Krieges, bevor wir selbst zu Opfern unseres eigenen Krieges wurden. Es gab Unschuldige, die verfolgt wurden, und Schuldige, die entkamen.

Die befreiten Kinder zeigen ihre Tätowierungen

Wir können des 8. Mai nicht gedenken, ohne uns bewusst zu machen, welche Überwindung die Bereitschaft zur Aussöhnung den ehemaligen Feinden abverlangte. Es gab auch große Zeichen der Hilfsbereitschaft. Viele Millionen Flüchtlinge wurden aufgenommen. Die eigene Heimat ist mittlerweile anderen zur Heimat geworden.

Die Überlebenden verlassen Auschwitz

Nach dem 8. Mai heißt der Gewaltverzicht, den Menschen eine dauerhafte, politisch unangefochtene Sicherheit für ihre Zukunft zu geben. Darin liegt der eigentliche, der menschliche Beitrag zu einer europäischen Friedensordnung, der von uns ausgehen kann.

Dieser Beitrag lehnt sich im Wesentlichen an die Rede Richard von Weizsäckers an, die er als Bundespräsident am 8. Mai 1985 in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages hielt und die eine außerordentlich heftige Auseinandersetzung in der deutschen Bevölkerung auslöste, zum Teil mit deutlicher Kritik aus konservativen Kreisen.