Von unserer Mitarbeiterin Wiebke Steinleitner (28.01.2005 19:41)
Es ist der Morgen des 24. Januar 2005, an dem ich den Schulhof des Goethe-Gymnasiums betrete. Die Schüler sehen müde und unausgeschlafen aus. Viele fragen mich mit ihrem Blick: „Warum ist das Wochenende schon vorbei? Warum bin ich heute morgen aufgestanden?“
Schulleiter Waldemar Gries, MdEP Hartmut Nassauer, Frau Heike Lühmann
Doch ich weiß eine Antwort auf diese Frage: Heute ist kein normaler Montag. Schülerinnen und Schüler der PoWi-Kurse von Frau Lühmann und Herrn Prauss aus dem Jahrgang 12 des Goethe-Gymnasium haben heute die Möglichkeit, Fragen an einen Experten für Europa-Politik zu stellen. Gemeint ist der ehemalige Vorsitzende der hessischen CDU-Fraktion, Hartmut Nassauer. Mittlerweile ist er Abgeordneter des EU-Parlaments.
Ich betrete den Raum mit gemischten Gefühlen. „Wie wird es wohl sein, so jemanden kennen zu lernen?“, frage ich mich. Jedoch stellt sich nach ein paar Minuten heraus, dass alle Bedenken Zeitverschwendung waren. Hartmut Nassauer ist ein Mann im mittleren Alter mit einem seriösen Äußeren. Graumelierte Haare und dunkelblauer Anzug mit einer blau-rot gestreiften Krawatte prägen sein Äußeres. Nach einer kurzen Vorstellung wird Hartmut Nassauer sogleich mit Fragen über Bildungspolitik und die Osterweiterung überschüttet.
Im Gespräch wird deutlich, dass die EU viele Möglichkeiten für Schüler und Studenten eröffnet. Wir haben die Chance, in anderen Mitgliedsstaaten zu studieren bzw. dort zu arbeiten. Um diese Möglichkeiten auszuweiten, versucht die EU die Studienabschlüsse der Mitgliedsstaaten anzugleichen. Auf die Frage, ob Bildungspolitik hinsichtlich dieser Entwicklung nicht sinnvollerweise vom EU-Parlament geregelt werden sollte, verwies Hartmut Nassauer auf das Prinzip der Subsidiarität. Der Begriff meint, dass EU-Vorhaben primär so weit wie möglich auf nationaler und regionaler Ebene geregelt werden sollten. Aus diesem Grund wird Bildungspolitik in den einzelnen Mitgliedsstaaten gemacht, in Deutschland sogar auf Länderebene.
Als nächstes geht Hartmut Nassauer auf die Vor- und Nachteile der Osterweiterung ein. Weil die aufgenommenen EU-Länder wirtschaftlich schwächer sind, müssen sie durch Subventionen an die wirtschaftlich stärkeren Mitgliedsstaaten herangeführt werden, da ein Ziel der EU eine Anpassung des Wirtschafts- und Lebensstandards aller EU-Länder ist. Aus diesem Grund gehören einige Mitgliedsstaaten, z.B. Deutschland, zu den sogenannten Nettozahlern, was bedeutet, dass sie mehr in den „EU-Topf“ einzahlen müssen als sie herausbekommen. Das EU-Parlament versucht nun einen Finanzrahmen auszuhandeln, welcher letztlich angibt, wie viel Unterstützung ein EU-Land bekommen soll. Auf die Frage, wann dieser Finanzrahmen neu ausgehandelt wird, erklärt Hartmut Nassauer, dass dies Ende 2006 der Fall sei und wiederum für sieben Jahre gelte.
Auf die Frage, ob die Osterweiterung nicht zu Betriebsauslagerung führe, da die Produktionskosten in den neuen Mitgliedsstaaten geringer seien, führte Hartmut Nassauer aus, dass dies schon vorher durch die zunehmende Globalisierung möglich gewesen wäre. Er macht deutlich, dass eine Betriebsverlegung viele Kosten mit sich bringe, da die Produktivität in den neuen Mitgliedsstaaten geringer sei und die Firma zuerst neu aufgebaut werden müsse. Er meint jedoch, dass ein wichtiges Argument für Betriebsverlegungen die besseren Absatzchancen in einem anderen Land sei.
Gegen Ende wurde Hartmut Nassauer gefragt, wie weit die EU-Erweiterung noch gehen solle und ob er den Beitritt der Türkei für sinnvoll halte. Auf diese Frage hin macht er deutlich, dass eine zu große EU die finanziellen Möglichkeiten sprengen würde. Sogar Marokko und Israel hätten schon Anträge gestellt. Deshalb hält er eine „privilegierte Partnerschaft“ mit der Türkei für sehr sinnvoll, jedoch erfülle die Türkei seiner Meinung nach noch nicht die Beitrittsvoraussetzungen, welche in der EU-Verfassung vorgegeben sind. Eine Antwort, die einige Schülerinnen und Schüler nicht ganz nachvollziehen konnten!
Obwohl noch viele Fragen offen waren, wurde die Zeit irgendwann knapp. Herr Nassauer betonte abschließend, dass die EU in Zukunft eng zusammen arbeiten möchte in Bezug auf gemeinsame militärische Positionen. Schließlich betreffe die Gewalt- und Terrorbekämpfung ganz Europa und sollte deshalb auch gesamteuropäisch behandelt werden. …..und schon stellten sich viele neue Fragen!