„Europa kann nicht uferlos wachsen“

Von Michael Brehme (14.05.2007)

Schüler sind keine Politiker. Die Fragen, die sie stellen, enthalten selten Kritik, wenn ihnen der erfahrene Politiker gegenübersteht. Sie, die im Normalfall selber höchstens das Nötigste vom Alltag eines Parlamentariers kennen, wollen hauptsächlich Informationen sammeln. Das ideale Thema: die Europäische Union (EU). Kaum eine politische Institution bekommt weniger öffentliche Aufmerksamkeit, kaum eine Volksabstimmung knackt die hiesigen desaströsen Wahlbeteiligungen.

 

Es ist auch ein ideales Terrain für den Kasseler Europapolitiker Hartmut Nassauer. Er ist das Reden gewöhnt wie kaum ein anderer. Bis zu sechzig Sitzungen hat der CDU-Mann nach eigenen Angaben pro Woche. Ein voller Terminplan und reichlich Routine, die er auch am Goethe-Gymnasium unter Beweis stellt. Gelassen wirkt er, zielstrebig und doch geduldig mit seinen Zuhörern. Nassauer ist in seinem Element. Knapp 60 Schüler der Jahrgangsstufe zwölf sitzen da im Plenum, neben dem von Heike Lühmann betreuten PoWi-Leistungskurs auch die beiden Grundkurse der Lehrer Kirch und Passek sowie Schulleiter Waldemar Gries. Hartmut Nassauer, 64 Jahre, versucht die Fragen in der anderthalbstündigen Diskussion möglichst ausführlich zu beantworten. Er gibt Beispiele, erklärt und ordnet ein, argumentiert und überzeugt. Keine Frage, Nassauer ist ein alter Hase in der Politik.

 
Europapolitiker Hartmut Nassauer…  

Nach einer kurzen Episode als Rechtsanwalt saß er von 1974 an insgesamt zwanzig Jahre im hessischen Parlament, für kurze Zeit (1990-1991) sogar als Innenminister. 1994 wechselte Nassauer schließlich ins Europäische Parlament, dem er bis heute angehört. Im Juni 1999 wurde er Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe, seit Januar diesen Jahres ist er stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Europäische Volkspartei (EVP), einem Bündnis von christlich-demokratischen und konservativ-bürgerlichen Parteien im EU-Parlament. Doch an diesem Tag geht es nicht in erster Linie um Parteipolitik, sondern um etwas Größeres: Europa, genauer die Europäische Union. Im Mittelpunkt stehen die 2005 gescheiterte Verfassung und die damit verbundene Kritik an der EU sowie die Erweiterungsfrage.

„Nein“, stellte Nassauer schnell klar, „Europa ist nicht am Ende.“ Die Verfassung, die den alten EU-Vertrag eigentlich ablösen sollte, dann aber in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde, sei noch nicht endgültig gestorben. Auch deshalb, weil sie „eben nicht an den Regierungschefs gescheitert ist, sondern an Bürgerinnen und Bürgern.“ Viele Menschen empfänden die EU und damit den Staatenbund an sich fälschlicherweise als „fern, bürokratisch und unverständlich.“ Als Konsequenz entstände hieraus Unmut in der Bevölkerung. „Ansonsten bietet die Verfassung wenig Platz für Ablehnung, vielmehr haben die Bürger in den beiden Volksabstimmungen auch ihren Ärger ihre nationalen Regierungen geäußert“. Allerdings gebe es noch Hoffnung, dass die Verfassungsvorlage noch umgesetzt wird. Im Juni stünde ein Gipfel an, der Klärung bringen soll. „Ob es dann auch wirklich klappt, steht allerdings in den Sternen“, so Nassauer.

 
…im Gespräch mit Schülern der 12  

Die EU als Großprojekt. Als Nassauer als EU-Abgeordneter anfing, waren es noch zwölf Mitgliedsstaaten, inzwischen sind es 27. Allein seit 2004 kam ein volles Dutzend neuer Staaten hinzu. Nassauer, der die EU angesichts dieser Überflutung momentan sowieso als „nicht aufnahmefähig“ sieht („Es ist sehr schwierig, noch mehr Länder bei den Entscheidungen unter einen Hut zu bekommen“), steht vor allem einem möglichen Beitritt der Türkei kritisch gegenüber: „Es gibt hier zu viele kulturelle und geschichtliche Unterschiede, die man nicht so einfach vermischen kann.“ Auch die „Grundüberzeugungen“ der mitteleuropäischen Staaten im Gegensatz zur „zunehmenden Islamisierung“ der Türkei (Menschenrechte, Rolle des Militärs) passten nicht zusammen. Man solle vielmehr versuchen, die Türkei als wichtigen Partner „an der Seite“ der EU zu gewinnen. Nassauer: „Wir sind keine Vereinigten Staaten von Europa, wo jeder aufgenommen wird, der will.“ Die EU könne nicht uferlos wachsen, insofern falle auch eine mögliche Aufnahme nichteuropäischer Länder wie Israel oder Marokko aus dem Rahmen.

 

Außerdem referierte Nasssauer über die europäische Umwelt- („Die EU fördert Modelle mit regenerativen Energien“), Rüstungs- („Wir sind Amerika hier deutlich unterlegen, weshalb Präsident Bush auch keine Veranlassung sah, vor dem Irak-Krieg auf Europa zu hören“) und Außenpolitik („Man sollte ein freundschaftliches Verhältnis zu den USA und Russland anstreben“). Zudem plädierte der Politiker für mehr Transparenz im Allgemeinen und einer Entbürokratisierung der EU: „Entscheidungen für regionale Probleme müssen auch dort fallen und nicht in Brüssel“. Es sei nicht richtig, dass viele Kommissionsmitglieder der Meinung wären, „alles bis ins Kleinste regeln zu müssen.“

 

http://www.hartmut-nassauer.de/