Goethe-Gymnasium vorn, aber wann?

Von UO-Ressortleiter Hans-Joachim Prauß (18.09.2004 14:03)

Ein kleiner Schritt in der Kasseler Schullandschaft, ein großer Schritt für das Goethe-Gymnasium bedeutet die erfolgreiche Abstimmung am letzten Donnerstag in der Gesamtkonferenz der Lehrerinnen und Lehrer, durch den unsere Schule zu einer „Kooperativen Ganztagsschule mit offener Konzeption“ ab dem Schuljahr 2005/2006 umgewandelt wird. Für Außenstehende übersetzt: das Goethe-Gymnasium wird das einzige Ganztags-Gymnasium der Stadt Kassel.

Wie wird aus einem Sparprogramm ein pädagogisches Programm?

Während alte Kollegen noch vom Buxtehuder Oberstufenmodell vor 30 Jahren schwärmen, mit dem die „Goetheschule“ an der Spitze der Reformbewegung stand, ist das Goethe-Gymnasium seit dieser Zeit nur wenig in der Kasseler Schullandschaft aufgefallen, bedingt durch unglückliche Schulleiterwechsel, Krankheitsfälle usw. Auch die erfolgreiche Schwerpunktsetzung auf Sport, Englisch/Bilingual und Naturwissenschaften im Rahmen der Erstellung eines Schulprofils ist vergleichbar mit ähnlichen Anstrengungen an anderen Kasseler Gymnasien.

Schwerpunkt Rudern

Die kommende Verkürzung der Schulzeit auf 12 Jahre führte zur allgemeinen Erkenntnis, dass die Neuverteilung der Stundentafel in der Mittelstufe zwangsläufig zum Nachmittagsunterricht führen wird. Dies hat an unserer Schule einen ungewöhnlichen Reformimpuls ausgelöst. Vor der Alternative, möglicherweise den Samstagsunterricht einzuführen, hat das Goethe-Gymnasium beschlossen, einen pädagogisch abgesicherten Nachmittagsunterricht anzubieten, der einen Mensabetrieb, Sport- und Musikangebote, Projekte und Fördermaßnahmen beinhaltet, abgesichert durch zusätzliche Stellen und Mittel sowie Umbau- und Neubaumaßnahmen. Damit ergreift das Goethe-Gymnasium die Chance eines Reformweges, den skandinavische Länder vorgezeichnet haben, Bildungsforscher (OECD) loben und die Bundesregierung finanziell fördert.

Redaktionskonferenz der Schulzeitung

Allerdings wird dies langfristig zu einer deutlichen Veränderung unseres Schulalltages führen, Veränderungen, die Misstrauen und Ängste bei einem Teil des Kollegiums auslösen. Die am Goethe-Gymnasium letztendlich erzwungene Reform zur Ganztagsschule muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass bereits jetzt umfangreiche Arbeitsbelastungen wie z.B. Stundenerhöhungen,Vergleichsarbeiten, Zentralabitur, Änderung der Rahmenpläne usw. seitens der Hessischen Landesregierung beschlossen worden sind. Auch die Aufteilung unserer Schule auf zwei Standorte mit täglichen Wanderungen bzw. Parkplatzproblemen kommt hinzu.

Schwerpunkt Chemie

Bei dieser Gesamtentwicklung steht der heimatliche Mittagstisch und der ruhige Korrekturnachmittag auf dem Spiel, der herkömmliche Gymnasiallehrer bleibt auf der Strecke. Welche Möglichkeiten sind denkbar?
– Kollegiale Zusammenarbeit könnte Synergieeffekte auslösen und das überwiegende gymnasiale Einzelkämpferdasein ablösen,
– arbeitsteilige Zusammenarbeit kann Belastungsspitzen vermindern,
– Blockstunden können die Unterrichtssituation beruhigen,
– Projektarbeit die Korrekturzeiten verringern.
– Die Erhöhung der Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit unserer Schüler muss erhöht werden, schafft Freiräume und wird das Lehrerprofil verändern: der Lehrer wird zum Organisator von Lernprozessen.

Ein langer Prozess über Jahre steht uns bevor, der kurzfristig durch Professionalität unterstützt werden muss. Schaltstellen wie Verwaltung (z.B. Sekretariat), Zeitmanagement (z.B. Stundenplanung), Finanzverwaltung (z.B. Bestellungen) müssen industriellem Standard angeglichen werden. Personelle Abdeckung und realistische Stellenzuweisungen, d.h. z.B. die Verringerung von BAT-Verträgen, gehört ebenso dazu wie die zukünftige Budgetierung, d.h. die betriebswirtschaftliche Führung der Schule durch kompetente und geschulte Lehrerinnen und Lehrern. Dass die Zusammenarbeit mit der Universität Kassel – praktisch „um die Ecke“ – deutlich verstärkt werden kann, wird von beiderseitigem Vorteil sein, genau wie die Einbeziehung von Verbänden und Vereinen.

Schwerpunkt Physik

Natürlich besitzt diese Aufzählung nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Aber auf einen zentralen Punkt möchte ich abschließend hinweisen: eine funktionierende Ganztagsschule ist in ein pädagogisches Konzept eingebettet, das fortlaufend zwischen Schülern, Eltern und Lehrern ausgehandelt und weiterentwickelt werden muss. Ist da die Funktion eines Pädagogischen Leiters, der an Gesamtschulen kürzlich abgeschafft wurde, nicht sinnvoll? Eine Frau würde ich bevorzugen.

Bisher war unsere Schule überwiegend ein „Dienstleistungsbetrieb“. Wir Lehrer bieten eine Dienstleistung an, die Schüler rufen diese Leistung ab und „flüchten“ nach Hause. Eine Schule im Tagesbetrieb wird sich soweit verändern müssen, dass durch entsprechende Aufenthaltsmöglichkeiten ein Stückchen Ruhe und Entspannung, Studieratmospäre, Spiel und Spaß Einzug halten muss, was letztendlich auch uns Lehrern zugute kommen wird. Nach ca. 10 Jahren wird sich abzeichnen, ob das Goethe-Gymnasium durch pädagogische Planung und kluge Entscheidungen seinen Platz in der Kasseler Schullandschaft gestärkt hat oder – bedingt durch zurückgehende Schülerzahlen – zur Disposition, d.h. vor der Schließung steht.