Manchmal wart ihr wirklich gut!

Von Herrn Wagner und seinem Deutsch-LK (07.07.2003 02:16)

Die Überreichung der diesjährigen Abiturzeugnisse am Freitag, den 27. Juni 2003, verlief eigentlich nach dem jahrelang eingeübten Modus. Abweichend davon war diesmal aber die Rede unseres neuen Schulleiters Waldemar Gries, der seinen Rucksack mitgebracht hatte und den Abiturienten symbolisch seine Wünsche für die Zukunft übermittelte und die überaus humorvolle Rede unseres Elternbeiratsvorsitzenden Herrn Dr. Lothar Schreiber über den Übergang Schule Gesellschaft bzw. Uni.

Schulleiter Gries mit einem seiner symbolischen Geschenke

Etwas ausführlicher soll aber die gemeinsame Abschlussrede von Herrn Wagner und seinem Leistungskurs Deutsch dargestellt werden, weil eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung zwischen Lehrenden und Lernenden deutlich wurde.

Entspannt im „Hier und Jetzt“

Herr Wagner:
„Als ich darüber nachdachte, was man wohl als Lehrer oder als Schüler heute Abend hier sagen könnte, meinte ich, wir sollten doch einmal versuchen, einfach als Lehrer und Schüler gemeinsam diese Rede zu halten, zusammen, in gegenseitigem Respekt, aber auch im Bedenken, was wohl zu kritisieren sei am anderen. Ich habe deshalb meine SchülerInnen gebeten, einfach sich an dieser Rede zu beteiligen, und sie haben, nachdem sie sich ein bisschen geziert haben, sich dann aber auf ihr Selbstbewusstsein besonnen, dem zugestimmt und kommen daher jetzt hier zu mir. Bitte.“

Christian Heinzemann wird als bester Schüler seines Abiturjahrganges geehrt

„…. Dadurch, dass ich viel Unterricht in diesem Jahrgang hatte und mit zwei Gruppen die Studienfahrt gemacht habe, kenne ich viele SchülerInnen. Natürlich seid ihr ganz unterschiedlich, jeder ein Individuum mit individuellen Stärken und Schwächen. Was ich euch aber ins Stammbuch schreiben möchte: Es hat Stellen gegeben, an denen ich mich über euch geärgert habe, weil ihr in einer Konsumentenhaltung da saßt und euch nur etwas vorsetzen lassen wolltet. An anderen Tagen dagegen oder vielleicht auch, weil das Thema euch mehr interessierte oder weil ihr eine eigene Meinung hattet, wart ihr plötzlich fähig, Stunden fast ganz ohne die leitende Hand des Lehrers allein zu gestalten und zu Ergebnissen zu kommen, die sich sehen lassen konnten. Ich meine damit nicht die Stunden, in denen ihr Referate gehalten habt und die allesamt gut waren, sondern Stunden, in denen ihr euch engagiert mit der Sache auseinander gesetzt habt. Diese Form der Eigeninitiative hätte ich mir öfter gewünscht.“

Herr Schreiber während seiner Heiterkeit erregenden Rede

„Gerade in Fächern wie Deutsch oder Religion, Gemeinschaftskunde oder auch Geschichte und Erdkunde und – ich wette – auch in anderen Fächern, hätte es vielleicht mehr Gelegenheiten gegeben, sich einzubringen und selbstständig etwas zu machen und damit zu lernen. Und sobald es irgendwo ein bisschen schwieriger, anspruchsvoller wurde, habt ihr dazu geneigt zu jammern und wolltet es in ganz kleinen Häppchen serviert bekommen, obwohl ihr dort, wo ihr euch auf die Sache eingelassen habt, dann wirklich gut wart. Ich erinnere nur an die schwierige Arbeit über Sprachphilosophie, die dann richtig gut ausgefallen ist. Ihr solltet euch klar machen, dass ihr in Zukunft noch viele solcher Schwierigkeiten bewältigen müsst, und ihr solltet sie als Herausforderungen sehen, an denen ihr wachst, wenn ihr sie annehmt.“

„In eurer Abiturarbeit habt ihr euch mit dem Thema „Werte“ auseinander gesetzt. Dabei hat es sehr kluge und sehr engagierte Texe gegeben. Zwei Ausschnitte davon:“

Der Deutsch-Leistungskurs Wagner während des Abi-Vortrages

Christian Bätz:
„Die Freiheit zur Selbstbestimmung setzt heute traditionelle ältere Werte außer Kraft. Diese Freiheit ist dennoch nicht radikal. Es gilt hier der Kategorische Imperativ; die Grenze der eigenen Freiheit ist die Beeinträchtigung der Freiheit eines anderen. Diese Grundlage gilt in der gesamten, durch die Aufklärung geprägten westlichen Welt. Doch trotz der gemeinsamen Entwicklung durch die Ideale der Aufklärung und die Einigung auf die UN-Charta der Menschenrechte ist die Umsetzung und die Übertragung der dort entwickelten Werte unterschiedlich. Vergleicht man beispielsweise das deutsche Prinzip der sozialen Marktwirtschaft mit der liberalen Wirtschaftsordnung in den USA, so wird deutlich, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen und Interpretationen von Wertvorstellungen gibt. Ähnliches wird auch beim Vergleich des deutschen mit dem englischen Gesundheitssystem deutlich.“

„Der elfte September hat eine Solidarisierung der Staaten ausgelöst, die sich durch eine gemeinsame Form der Marktwirtschaft – wenn auch in verschiedenen Umsetzungen – und durch die Werte der Aufklärung und durch die Prinzipien Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – wenn auch in verschiedener Akzentuierung – mit einander vergleichen lassen. Tatsache ist jedoch, dass sich die unterschiedliche Akzentuierung beispielsweise von Freiheit und Brüderlichkeit in den unterschiedlichen Systemen (liberale oder soziale Marktwirtschaft) äußert und jeweils andere Wertvorstellungen hervorbringt. Eine europäische Wertegemeinschaft existiert, aber in unterschiedlicher Ausprägung und Gewichtung der einzelnen Werte. Die Befriedigung der von der Wirtschaft selbst geweckten Bedürfnisse ist heute dagegen in der westliche Gesellschaft selbst zu einem Wert geworden und wird überall angestrebt. „

Lisa Brüssing:
„Unsere Gesellschaft weist Mängel auf. Das Problem ist ganz einfach, dass man immer an so einer Gesellschaft arbeiten muss und dass man sich nicht auf seinem Wohlstand ausruhen darf. Der heutigen Generation ging es nie schlecht. Sie weiß nicht, wie es ist, wenn man nicht wählen darf oder nichts zu essen hat. Wenn man Werte hat, vergisst man leicht, sie zu schätzen. Wenn man wählen darf und glaubt, es immer zu dürfen, macht es nichts, wenn man mal nicht wählen geht. Wenn man immer alles hat, kann man sein Geld auch für Nike und Levis ausgeben. „

„Aber im Allgemeinen halte ich unser westliches Wertesystem mit Werten wie Menschenrechte und Freiheit und Gleichheit für vorbildhaft. Es ist zwar in manchen Dingen zu bemängeln, aber es gibt kein besseres. Auf der anderen Seite muss man etwas nicht nur deshalb für gut halten, weil es nichts Besseres gibt. Also müssen die Menschen überdenken, was ihnen wichtig ist. Ohne Regenwald nützt einem der Nike-Turnschuh nichts.
Stolz können wir sein, wie wir in unserem Land die Menschenrechte achten und Freiheit und Gleichheit für die Bürger unseres Landes gewährleisten. Schämen müssten wir uns, weil wir das bei anderen Ländern nicht für nötig halten. Dritte-Welt-Länder werden schamlos ausgebeutet und Regime mit Waffen unterstützt, die ihrem Volk alle Rechte verweigern und gegen die wir erst dann etwas unternehmen, wenn es aus eigenen politischen oder ökonomischen Interessen nötig ist. Aber Werte und sittliche Normen sind ja schließlich normativ und verbindlich nur im eigenen Kulturkreis. Nur im eigenen? Natürlich gelten in andern Kulturen andere Werte und Normen. Aber wir sollten so handeln, dass wir Menschen in anderen Kulturen nicht die Werte nehmen, die wir in unserem Land für uns einfordern.
Zusammenschweißen sollte uns, dass wir anderen Völkern ebensolche Privilegien wünschen, wie unser Wertsystem sie uns hier gewährleistet. Wenn wir anderen Völkern aus ökonomischen Interessen Chancen nehmen, ist das ein moralisches Problem. Der Konsum wird dann wichtiger als der Wert. In unserer westlichen Welt gelten unsere Werte noch mehr als unser Konsum. Außerhalb dieses Bereichs zählen unsere ökonomischen Interessen mehr als unsere Werte. Wenn das so ist, wird es nicht lange dauern, und sie erscheinen uns auch für die Mitmenschen in unserer näheren Umgebung nicht mehr wichtig. Ein paar Euro mehr dürfen aber nie wichtiger werden als die Rechte unserer Mitmenschen.“

Larissa Schäfer (li) und Stefanie Schäfer

Herr Wagner:
„Ich freue mich, dass ihr das so seht, und ich wünsche mir, dass viele das so sehen. Natürlich müsst ihr euch in der Gesellschaft, in die ihr jetzt geht, anpassen, um Erfolg zu haben. Aber ihr müsst euch nicht verkaufen, ihr müsst nicht käuflich werden. Wenn ihr an den Werten festhaltet, die wir Lehrer versucht haben euch in der Schule zu vermitteln, wenn demokratische Grundordnung, Gerechtigkeit und Solidarität nicht nur Wörter für euch sind, dann denke ich, dass – trotz der trüben Aussichten, sie ich vorhin angesprochen habe – ihr euren Weg machen werdet und ihr unsere Gemeinschft fördern werdet.

Liebe Abiturienten im Namen des Kollegiums wünsche ich euch alles Gute für euren weiteren Lebensweg.

Liebe Schulgemeinde, von Ihnen allen verabschiede ich mich, dies wird wohl meine lezte Rede an dieser Stelle gewesen sein, denn ich bin 65 und gehe in Pension. Ich wünsche auch dieser meiner Schule alles Gute für die Zukunft.“