Wer nicht kämpft, hat schon verloren

Von unseren Redakteurinnen Jasmin Nikolaus und Julia Pfannkuch (30.09.2005 22:24)

„Wir fühlen uns im Stich gelassen!“ So lautete die Überschrift eines Artikels, der am 21. September 2005 in der HNA erschien. Grund für diese Klage sei die fehlende Unterstützung bei der beabsichtigten Umwandlung des Goethe-Gymnasiums in ein Ganztagsgymnasium. Wie es zu dieser misslichen Lage kommen konnte und wie es mit dem Goethe-Gymnasium weitergehen soll, wollte UMLAUF Online von Schulleiter Waldemar Gries wissen.

Julia Pfannkuch mit Schulleiter Gries

UMLAUF Online (UO): Herr Gries, in dem Artikel der HNA über die finanzielle Ausstattung des Goethe-Gymnasiums im Rahmen der Ganztagsschulentwicklung werden Sie zitiert, dass sie sich im Stich gelassen fühlen. Was sind die Gründe für diese heftige Klage?

Herr Gries: Ich komme zu dieser heftigen Klage, weil wir uns nicht nur wegen der schulischen Änderungen des Bildungsganges auf 8 Jahre – das Stichwort heißt G8-Verkürzung -, sondern auch aus inhaltlichen Gründen und nach sehr gründlicher Diskussion innerhalb des Kollegiums, innerhalb der Schülerschaft und innerhalb der Elternschaft dazu entschieden haben, den Antrag auf Einführung eines Ganztagsgymnasiums zu stellen. Das ist die Vorgeschichte.

Von der Politik, d.h. von der Stadt und vom Schulamt, haben wir positive Signale bekommen. Signale, die uns auf diesem Weg bestärkt haben. Das Land, also konkret das Kultusministerium, hat sehr lange gebraucht um die Anträge zu beraten. Es haben sich 350 Schulen für den Ganztagsschulbetrieb beworben und wir sind die einzige Schule in der Stadt Kassel, die letztes Jahr aufgenommen wurde. Bis dahin alles positiv!

Normalerweise bekommt man für den Start einer Schule mit pädagogischer Mittagsbetreuung 1,5 Stellen. Das war in den letzten 15 Jahren üblich. Wir bekamen nur 1,0 Stellen! Wir haben also schon eine halbe Stelle zu wenig. Diese 0,5 Stelle, mit der wir fest gerechnet haben, hätten wir teilweise in Geld umwandeln können, um die Cafeteria auszubauen, um die Bibliothek am Standort Schützenstraße auszubauen und um Sportgeräte für den Schulhof anzuschaffen. Diese halbe Stelle, mit der wir gerechnet haben, ist uns vorenthalten worden.

Dann habe ich Gespräche mit der Stadt und dem zuständigen Schulverwaltungsamt geführt. Das Schulverwaltungsamt hat zusammen mit mir eine gemeinsame Führung durch die Gebäude gemacht. Die Fachleute sind in der Küche des Speisesaals über den Zustand der Geräte und über das Alter der Einrichtung – gelinde gesagt – „verwundert“ gewesen. Unserer dringenden Bitte, zu Beginn des neuen Schuljahres zu renovieren, konnte die Stadt Kassel leider nicht nachkommen, weil der Regierungspräsident (RP) der Stadt Kassel jede zusätzliche Investition untersagt hat. Wir stehen jetzt in einem Angebot mit 1,0 Stellen statt 1,5, der Stadt sind die Hände gebunden und ich fühle mich im Stich gelassen.

Sehr nachdenklich

UO: Wie erwähnt ist das Goethe-Gymnasium bisher als einziges Gymnasium aus Nordhessen in das Ganztagsschul-Förderprogramm des Landes aufgenommen worden. Erläutern Sie uns bitte die Grundlage und Absichten dieses Programms.

Herr Gries: Das stärkste Argument vorweg: Wir gehören zu der Hälfte der Gymnasien in Hessen, die in diesem Jahr mit G8 beginnen. Unsere Schülerinnen und Schüler, die jetzt in der 5. Klasse sind, werden in 8 Jahren zum Abitur geführt. Das bedeutet, dass sie in den Klassen 7, 8 und 9 bis zu 34 Wochenstunden Unterricht haben, teilweise 35 Stunden, wenn sie die 3. Fremdsprache wählen. Die jetzige Klasse 10 wird entfallen. Die Stundenzahl steigt also stark an und die Schüler sind viel länger in der Schule. Schüler brauchen zudem Möglichkeiten, sich mit mehr Wissen in kurzer Zeit auseinander zu setzen. Sie müssen lernen, mit den höheren Ansprüchen klarzukommen.

Darauf reagieren wir. Schüler müssen in Zukunft selbstständiger lernen und dafür brauchen sie Zeit. Wenn die Schüler sowieso bis zu 34 bis 35 Wochenstunden Unterricht haben, macht es doch Sinn, ihnen ein Mittagessen anzubieten, statt sie irgendwo herumsitzen zu lassen. Wir brauchen zudem eine vernünftige Bibliothek, in der man lernt mit Büchern zu arbeiten, Referate zu verfassen oder im Internet zu recherchieren. Wir wollen also eine Betreuung vor und nach der Schule anbieten. Dafür hat die Bundesregierung unter Bundesbildungsministerin Buhlmahn vier Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, die auf die 16 Bundesländer verteilt wurden. Für die Stadt Kassel stehen acht Millionen Euro zur Verfügung. Davon möchte ich einen angemessenen Anteil für das Goethe-Gymnasium.

G8 ist also der wichtigste Punkt. Aber es gibt noch eine weitergehende gesellschaftliche Begründung. In Deutschland haben wir das Problem, dass z.B. über 40 Prozent der Akademiker keine Kinder mehr bekommen, weil die Kinderbetreuung nicht gewährleistet ist. Kind und Karriere passen in Deutschland nicht zusammen! Da bin ich an einer Stelle, wo ich für Familien mit Kindern – und ich bin sehr für Kinder – etwas tun kann. Halbtagsschulen reichen in modernen, flexiblen Industriegesellschaften nicht mehr aus und deshalb setzte ich mich für die Weiterentwicklung unserer Schule zu einer Ganztagsschule ein. Das Goethe-Gymnasium soll ein modernes, ganztägiges Gymnasium mit Tradition werden!

UO: Wenn alles so gut laufen würde…..

Herr Gries: Ich hoffe schon. Inzwischen habe ich zahlreiche Gespräche geführt, und ich gewinne den Eindruck, dass man uns in dieser schwierigen Situation helfen will.

Projektgruppe Ganztagsschule u.a. mit Frau Jochhein, Frau Aner-Kuhley, Frau Lühmann, Herrn A. Schön und Herrn Meist (v.l.)

UO: Der Ganztagsschulbetrieb wurde mit dem Versprechen ausreichender Mittel schmackhaft gemacht. Wo sehen Sie persönlich die Gründe für die fehlenden Mittel. War dies voraussehbar?

Herr Gries: Es war so nicht voraussehbar. Das hat damit zu tun, dass unser Schulträger, die Stadt Kassel, schlicht und ergreifend pleite ist. Sie hat so ein hohes Schuldenpaket, dass der neue Regierungspräsident Herr Klein der Stadt verboten hat, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen. Und das haben wir nicht geahnt!

Aber ich halte es immer noch für richtig, den Weg zu einer kooperativen Ganztagsschule zu gehen. Die Stadt Kassel würde uns gerne helfen und vor allem Stadträtin Frau Janz und Frau Riemeier, Leiterin des Schulverwaltungsamtes, unterstützen uns, aber sie dürfen nicht handeln. Wir brauchten für den Start etwa 10 bis 15 Tausend Euro, aber noch nicht einmal dieses Geld darf die Stadt freigeben.

Pädagogischer Tag zum Ganztagsschulprojekt:
Herr Gries, Frau von Freeden (Gymnasium der Stadt Kerpen) und Herr Appel, Bundesvorsitzender des Ganztagsschul- verbandes (v.l.)

UO: Wie lange soll dieser Zustand andauern, sehen Sie einen befriedigenden Lösungsweg oder ist das Ganztagsschulprogramm bereits jetzt schon tot?

Herr Gries: Erstmal lasse ich mich nicht einfach abbringen von einer Sache, die wir insgesamt für richtig halten, d.h. der 74 Prozent des Kollegiums, 95 Prozent der Schüler und der Elternbeirat zu 100 Prozent zugestimmt haben. Wir müssen jetzt improvisieren, indem wir vom Schreiner Möbel bauen lassen, der Förderverein uns bei der Beschaffung von Büchern und Spielen finanziell unterstützt und indem Lottogewinne, die zum Teil für öffentliche und kulturelle Zwecke eingesetzt werden, für Spielgeräte auf dem Schulhof eingesetzt werden.

Wir werden einen schwierigeren Anfang haben, aber ich bin fest überzeugt, dass das Konzept Ganztagsschule nicht gestorben ist. Ich möchte zum Beispiel die Cafeteria in der Ysenburgstraße erweitern. Da die Schüler der 9. und 10. Klassen den Schulhof nicht verlassen dürfen, möchte ich ihnen hier etwas Warmes zum Essen und Trinken anbieten. Außerdem möchte ich einen Aufenthaltsraum für die Schüler und ein ruhiges Internetcafe einrichten. Dann möchte ich eine Bibliothek haben, in der man am Computer arbeiten kann, also Arbeitsmöglichkeiten für Schüler der Klasse 9 bis 13 und später 9 bis 12. Des Weiteren möchte ich in einem der Pavillons eine große Cafeteria mit Innen- und Außenbereich haben. Wir benötigen daher einfach Geld, damit in unserer Schule ein angenehmer Lern- und Lebensraum entstehen kann.

Das Ganze wird dauern, aber die Richtung stimmt. Deshalb halten wir an den zentralen Punkten fest, müssen auch manches überprüfen. Ich gehe mit diesen Problemen auch an die Öffentlichkeit und habe deshalb sogar schon Ärger bekommen. Aber ich werde weiter für die m.E. richtige Sache kämpfen!

UO: Herr Gries, wir danken Ihnen für dieses Interview!