Das Fernsehen – Ein modernes Märchen

Ein Kommentar von unserem Redakteur Niklas Siegner (01.12.2000 17:02)

Immer wird darauf hingewiesen, welche tollen Aspekte doch die Television hat. All die Nachrichten- und Informationssendungen, die Dokumentationen, Diskussionsrunden und moralisch völlig unbedenklichen Spielfilme. Sicher, Sendungen wie „Tagesschau“, „heute“ oder „SternTV“ fördern das Wissen und die Allgemeinbildung der Zuschauers und informieren ihn über das Geschehen in der Welt. Doch wer sieht denn solche Sendungen? Das sind doch die Spießer und Senioren, die gegen das verschwinden der Moral und der Sittlichkeit im deutschen Fernsehen wettern. Und damit haben sie auch recht. Schaut man heutzutage in die Programmzeitschrift, so kann einem schon mal ein gequältes Stöhnen entweichen. Das Leiden des Fernsehkonsumenten beginnt schon vormittags mit „Sonja“, „Vera“ und „Birte“, die die Themen ihrer Talkshows wöchentlich untereinander austauschen. Dicht auf den Fersen folgen ihnen die Game-Shows „Jeopardy“, „Jeder gegen Jeden“ und Co. Hier kann man sich wenigstens vor lauter Verzweiflung über die Dummheit der Kandidaten amüsieren. Später am Abend folgen die US-amerikanischen Comedyserien, deren Darsteller einen IQ unter der Zimmertemperatur zu haben scheinen.
Besonders am Wochenende stellt sich manch einer die Frage, warum er seinen Fernseher angeschaltet hat. Sämtliche „Deutschland-“ oder sogar „Weltpremieren“ folgen demselben Plot, nach einer Viertelstunde weiß der geschulte Fernsehzuschauer bereits wer an Aids stirbt und wer wen heiratet. Später kommen die Actionfilme, deren Drehbuchautoren die Bedeutung des Wortes Kreativität noch nicht einmal erahnen können. Dadurch entstehen Filme wie „Operation Broken Arrow“ oder „Top Gun“, die man eher als Werbefilme für die US-Airforce werten kann. Eine Besonderheit ist „Rambo“, der Vietnam-Veteran, der aus lauter Langeweile in einer Kleinstadt seinen privaten Krieg beginnt.
Ein Witz sind jawohl auch die Warnungen „Der folgende Film ist für Zuschauer unter 18 Jahre nicht geeignet.“. Wer, bitte schön, nimmt denn solche Anordnungen wahr? Sie animieren doch erst zum Zusehen. Und außerdem erscheinen sie vor den falschen Sendungen. „Wa(h)re Liebe“, „Liebe Sünde“ und „Peep“ sind geradezu harmlos gegenüber „SZ-Special“ und „exclusiv-die reportage“. Während halbwegs ernsthafte Nachrichtenmagazine wie „SpiegelTV“ und „Planetopia“ sich mit den neusten Fällen von Rechtsextremismus und BSE beschäftigen, ermittelt „SZ-Special“ die besten Swingerclubs in Deutschland.
Überhaupt benötigt man für die Suche nach der Moral inzwischen eine Lupe. Reichte früher „Sonne, Sylt und kesse Krabben“ um 00.30 Uhr Samstagnacht, müssen es heute die „Sexreichen Sieben“ am Freitag um 22.30 Uhr mit Vorschau um halb acht sein. Sexualkunde ist überflüssig geworden, alles nötige erfährt man täglich im Fernsehen.
Und dann erst die Sache mit der Privatsphäre? Gibt es die überhaupt noch? Man nehme nur den Fall „Maschendrahtzaun“. Der Leidensweg Regina Zindlers beginnt bei „Richterin Barbara Salesch“ (Sat1), führt über „TvTotal“ (Pro7) nach mehreren Abstechern in verschiedenen Nachrichtensendungen zur Flucht nach Paris (finanziert von RTL). Zwei Wörter genügten um einen Hit zu schreiben, Frau Zindler bundesweit bekannt zu machen, mehrere Millionen zu verdienen und einen Nervenzusammenbruch zu bekommen. Ja, das Fernsehen bemüht sich um seine Zuschauer!
Auch für die lieben Kleinen ist gesorgt. Bis um 19 Uhr können sie auf dem Kinderkanal die „Teletubbies“, „Sesamstraße“ und all die anderen psychologisch völlig unbedenklichen Sendungen genießen. Aber eben nur bis 19 Uhr. Und welches Kind geht heutzutage um sieben ins Bett? Also wird weitergemacht mit „Die Motorrad-Cops“ und den „Straßen von Berlin“, damit das Kind schon frühzeitig lernt, wie man sich im Straßenverkehr durchsetzt. Und reicht das noch nicht, folgen „The Crow“ und „Poltergeist“. Es ist genug für jeden da.
Überhaupt, diese modernen Serien sind doch völlig am Leben vorbeigeschrieben. Mit futuristischen Hilfsmitteln lösen die Ermittler von „V.I.P.“ und „Viper“ Fälle, für die Kojak nur einen Lolli brauchte. Und die tägliche Seifenspülung, gemeint sind die Sendung „GZSZ“ und ihre Verwandten , ist unrealistisch ohne Ende. Sicher, Teenies nehmen Drogen, bekommen Aids, werden schwanger oder kriminell, sind schwul und manchmal sterben sie auch. Aber doch nicht täglich!
Ich persönliche habe meinen Fernseher in Frührente geschickt und bin im interplantaren Web unterwegs. Da ist zwar auch nicht gerade unschuldig, aber doch nicht so verdorben wie der deutsche Fernsehäther.
In diesem Sinne – Bleiben Sie dran!