Ich bin aus hiphop gemacht!

Von unserem Mitarbeiter Jörn Perlwitz (12.08.2003 20:03)

„Ja? Jörn hier…“ – „Servus, Marcel. Wir sind momentan noch beim Essen, kann also noch ’ne Weile dauern … So, um zehn am A.R.M.!!!“

Toni L. und Jörn

Verdammt … Also noch zwei Stunden warten… was trinken und dann hoch zum A.R.M. (A.rbeitskreis R.ythmussuchender M.enschen). Als es dann losgeht, sítzt uns ein relaxter TONI L. gegenüber. Seine Antworten sollten sehr aufschlussreich werden, da es einige Fragen gab. („Sollte das Interview nicht eigentlich im Ballsaal vom Hotel Reiss sein? Ins A.R.M. passen doch höchstens 60 Leute, oder?“)

Umlauf: Wie kam es dazu, dass du hiphop machst?

Toni L.: Normale Menschen sind aus Fleisch und Blut, ich bin aus hiphop gemacht! Ich mache das jetzt schon seit es die Dinosaurier gibt. Ich habe damals angefangen mit Breakdance. Als ich gesehn habe, dass ich mir dabei zu viele blaue Flecken und Knochenbrüche geholt habe, habe ich gesagt: ‚OK, Rap ist gesünder, und seitdem rap ich!‘

Umlauf: Was haben deine Eltern dazu gesagt, als du mit dem Kram angefangen hast?

Toni L.: Das sind meine größten Fans, die flippen voll aus. Da gabs nie Probleme.

Umlauf: Deine Wurzeln liegen ja in italien. Hattest du in Deutschland jemals irgendwelche Probleme?

Toni L.: Nee, ich wurde in Heidelberg geboren, dann bin ich für eine Zeit in Italien gewesen, kam wieder zurück, aber Probleme in dem Sinne gabs eigentlich nie. Seit wir kleine Jungen sind, bin ich mit Torch unterwegs, mit Linguist, Boulevard Bou und jeder hat ne Herkunft, die nur aus deutschen Elternteilen besteht. Und unter uns haben wir nie Schwierigkeiten gehabt. Wenn, dann kam es immer von aussen. Aber wir waren immer eine sehr starke truppe und konnten uns durchsetzen.

Umlauf: Wer sind deine Vorblider?

Toni L.: Vorbilder als solches? Ich könnte dir jetzt so viele Namen um die Ohren hauen, aber es gibt wenige, wo ich sagen kann: Der ist mein Vorbild. Es gibt so viele Menschen, die sehr viel geleistet haben, nicht nur im HipHop. HipHop ist viel größer als nur die Musik, oder irgendeine Kunstform, sondern eine Mentalität und die Betrachtungsweise der Dinge, ohne blind durch die Straßen zu laufen. Aber als Rapper sind Leute wie KRS One oder Scoolie D sehr genial! Bei mir spielt die Oldschool noch eine sehr große Rolle. Das sind jetzt nicht unbedingt Leute, die in den TopTen stattfinden, aber genau darum gehts ja: HipHop hat nichts mit den Charts zu tun. HipHop kommt von der Straße und wird auch immer dort bleiben. Auch wenn es mal zeitweise kommerzielle Erfolge gibt: Das hat dann mit HipHop wenig zu tun. Das ist dann Business!

Umlauf: Wo wir gerade bei dem Thema sind: DJ Tomekk ist für mich ein Punk. Was der momentan mit „Ganxtaville“ abzieht, hört sich mehr nach Verarsche an, als nach purem Ernst! Ist das noch „real“, oder wird Deutschrap so zerstört?

Toni L.: Also, es ist nicht mein Ding über andere Leute zu urteilen. Ich stehe über solchen Dingen. Für mich ist es wichtig, das zu tun, was mein Herz und mein Bauch sagen und meine Identität zu bewahren: UND DIE IST ECHT! So wie ich bin, werde ich immer sein. Natürlich gibt es Leute da draußen, die versuchen irgendetwas zu spielen, was sie nicht sind, nur um irgendwelche Erfolge feiern zu können. Damit hab ich persönlich zum Glück nichts zu tun. Wir machen unser Ding und das schon seit Jahrhunderten und sind unserer Linie immer treu geblieben. Das ist mir ganz wichtig, dass die Basis, d.h. meine Jungs, nie verraten werden. Die Aussagen, die ich am Mikrophon mache, sollen die sein, die meine Meinung sind. Es ist mir wichtig, dass ich sie auch in 20, 30 Jahren noch halten kann. Kein dummes Gepose. Wenn ich was sage, dann steh ich dazu!

Umlauf: Mir ist gerade was aufgefallen: An diesem Tisch sitzen jetzt fünf Leute und alle haben „Airforce Ones“ von Nike an! Gibt es irgendwelche Marken, die du nur trägst oder von der du gesponsert wirst?

Toni L.: Das ist voll der Flash, aber wir wolln ja keine Werbung dafür machen. Marken in dem Sinne gibt es nicht. Aber was Mode und so angeht, gerade im HipHop-Bereich: Als wir früher mit dem Kram angefangen haben und unsere Baggypants und Sneakers angezogen haben, mit den FatLaces und mit dem Getthoblaster durch die Straßen gerannt sind, da gabs diese Mode in dem Sinne ja noch gar nicht. Wir haben die ja mehr oder weniger entworfen, und wenn du jemanden auf der anderen Straßenseite gesehn hast, der genauso aussah wie du, dann wusstest du, dass er auch genauso abgeht wie du! Wenn heute jemand so rumläuft, kann der auch Techno oder DJ Bobo hören. Aber ich will mich sehn und nicht irgendeinen verkleideten Hampelmann!

Umlauf: Wie ist die Idee zu deinem Album „Der Funkjoker“ entstanden?

Toni L.: Die Idee kam eigentlich beim „Wir waren mal Stars“-Track mit Torch. Da hab ich das Wort „Funkjoker“ eingebaut und das war mehr oder weniger unbewusst. Boulevard Bou ist immer derjenige, der bei mir so ein paar Textzeilen entdeckt und dann sagt: „Ey, guck mal, was du da gesagt hast.“ Und „Funkjoker“ ist dann halt der Titel, der zu allen anderen Titeln, die ich schon habe, passt! Er ist die Trumphkarte und vereint alle Persönlichkeiten von Toni L.! Der Koch ist meine kreative Seite, das kreative Herz, der Hardcore Gladiator ist das Kämpferherz, das sich durchschlägt von Arene zu Arena, und der Pate ist derjenige, der hinter den Kulissen, ohne dass es da draußen irgendjemand mitbekommt, was da läuft, die Fäden zieht! All das zusammen ist der Funkjoker! Das Wort Funk kommt, daher, weil mich Funk und Soulmusik sehr früh geprägt haben! Achte doch mal auf die ganzen Funk- und Soulelemente, die wir auf dem Album gesampelt haben. Irgendwie ist es eine Art Hommage an alle Funk- und Soulgruppen, eine Danksagung.

Umlauf: „Der Funkjoker“ ist so ein Partyalbum. Wenn du an Afrob und D-Flames gefloppte Polit-Alben denkst, hast du Angst, ein rein politisches Album zu machen?

Toni L.: Für mich ist es wichtig, dass alles präsentiert wird, was zu meinem Leben gehört. 360° Grad hat der Kreis und du siehst in jedem Winkel etwas Neues. Und mein Album hat genau diese verschiedenen Winkel, die zu meinem Leben gehören: Polotik, Party, Poesie und andere Inhalte… Und ich möchte den Leuten das komplette Bild zeigen und nicht nur eine bestimmte Seite von Toni L. Wir wurden seit „Fremd im eigenen Land“ mit „Advanced Chemistry“ in eine politische Schublade gesteckt, aber ich sehe mich als Künstler, der alles mögliche macht und auch die unterschiedlichen Inhalte transportiert. Ein ganzes Album mit nem politischen Bewusstsein zu machen, ist auch ne gute Sache, aber momentan konnte ich mir das nicht vorstellen.

Umlauf: Also sind „ton mit I“ oder „Sind wir Gäste“, was mich sehr an „Weck mich auf“ von Samy Deluxe erinnert hat, an „Fremd im eigenen Land“ angelehnt! Aber wie bist du auf die Idee von „Das Meer“ gekommen? Der Track passt eigentlich nicht zum Album, und das Gedicht von Rimbauld passt auch nur zu diesem Track… Wie kommt so etwas?

Toni L.: Genau deswegen ist es drauf. Weil ich Dinge genial finde, wenn Leute meinen, dass es nicht reinpasst. Es passt genau rein. Ich kann dir mal die Idee erklären: Das Meer ist die mächtigste Masse auf dieser Erde und hat mich schon immer fasziniert. Dem Meer gerecht zu werden ist schwierig, wenn du es in Worte fassen willst und deswegen müssen die Worte auch eine bestimmte Tiefe haben, eine Poesie. Und deswegen hab ich das Meer so geschrieben und so gebracht wie es auf dieser Platte ist. Deswegen hebt sich das Meer auch ab von den anderen Tracks, weil es eben anders ist. UND DAS MEER MUSS ANDERS SEIN als alles andere.

Umlauf: Meinst du HipHop, macht große Verluste durch Sachen wie Morpheus oder Napster im Internet?

Toni L.: Nicht nur HipHop. Ich denke, dass ist das große Problem aller Musikbereiche. Man muss verstehen, dass die Leute Platten machen, sehr viel Arbeit und Zeit reinstecken und ihre Existenz davon abhängt. Für uns war es früher zum Beispiel noch was Besonderes, wenn wir die Original-Platte in Händen hielten und nicht irgendeine Kopie. Das ist vielleicht für den Übergang ganz schön, aber wenn du den Künstler supporten und unterstützen willst, solltest du dir auf jeden Fall seine Platte holen. Vielleicht hängt es davon ab, ob der Künstler noch mal ne Platte machen kann oder nicht. Dass muss man verstehen.

Umlauf: Kann man als deutscher Rap-Artist eigentlich noch viel damit verdienen? Im französischen Radio ist es zum Beispiel so, dass 60% von dem, was gespielt wird, französische Musikstücke sein müssen. Kann man hier von HipHop existieren oder eine Familie ernähren?

Toni L.: Das geht auf jeden Fall, aber es steckt auch viel Arbeit dahinter. Das passiert nicht einfach so per Fingerschnips. Wir haben zum Beispiel ein eigenes Label, ein eigenes Studio und das ist nicht von heute auf morgen passiert. Das ist ein langer Weg und du musst dafür kämpfen. Ich sage immer: Wenn du Erfolg haben willst, dann musst du leidenschaftlich arbeiten, dann kommt der Erfolg von alleine. Diese französische Regelung ist natürlich klasse, weil sie die heimische Szenen sehr fördert und die DJs dazu auffordert, sich nicht abzugucken, was gerade in Amerika rauf- und runtergespielt wird, sondern sich im eigenen Umfeld umzuschauen. Wenn das in Deutschland auch mal eingeführt werden sollte, dann werden sich die Sender auch neu orientieren und auch die eigene Szene noch viel besser beobachten müssen.

Umlauf: Du warst zuerst mit DJ Stylewarz unterwegs, dann mit den Massiven Tönen und Karibik Frank, jetzt die Funkjoker Clubtour. Das heißt, dass du seit knapp einem Jahr auf Tour bist. Was und wo war es am Besten?

Toni L.: Die Collabo, die ich im Moment dabei habe, ist die, die ich mir am meisten gewünscht habe. Die Funkjoker Clubtour ist in dem Sinne ne Tour auf nem sehr kleinen Rahmen. Es sollen familiäre Vibes entstehen, es sollen kleine Räume sein mit nicht zu vielen Leuten, die dann eben diese Familienvibes bekommen und die Magie des Funks und auch die Magie der Ursprünge soll wieder zum Vorschein kommen, dass die Leute den Künstler auch ein bisschen zu spüren bekommen. Nicht dass dann zehn Security-Leute dauernd um einen herumstehen, sondern den Jam-Aspekt mal wieder ein bischen zum Vorschein bringen kann. Einfach Party feiter, ohne dieses „Ich-bin-der-Fan-und-du-der-Star“-Gehabe. Man ist an dem Abend eine Posse und rockt zusammen. Ich habe alle dabei, die mir wichtig sind. Mit Eza HipHop aus Italien, Rival ist für Belgien mit am Start und ich habe meine „Funky Axt“, meine Gitarre, dabei. Es wird also auch musikalisch wieder lustig werden.

Umlauf: Ich danke Dir für das Interview