Von Ingeborg Bachmann (Ingeborg Bachmann)
Als sie einmal hilflos weinend zu ihm kam, weil einer ihrer Freunde, den sie nicht besonders gut kannte, aber sie hatte immer so viele Freunde unter allen, in Budapest bei den Straßenkämpfen getötet wurde, während er fotografierte und mit seiner Kamera in der Hand verblutete, ließ Trotta sie weinen und schwieg hartnäckig.
„Iwan, geh nach Hause!“
Später verloren sie und die Redaktion und das bessere, das gewissenhaftere Frankreich vor allem drei Fotografen und einen Reporter in Algerien und zwei Journalisten in Suez, und damals sagte Trotta: Der Krieg, den ihr fotografiert für die anderen zum Frühstück, der verschont euch also auch nicht. Ich weiß nicht, aber ich kann deinen Freunden keine einzige Träne nachweinen. Wenn einer mitten ins Feuer springt, um ein paar gute Fotografien nachhause zu bringen vom Sterben der anderen, dann kann er, bei diesem sportlichen Ehrgeiz, auch umkommen, daran ist doch nichts Besonderes, das ist ein Berufsrisiko, nichts weiter! Elisabeth war fassungslos, denn sie hielt das für das einzig Richtige, alles, was sie taten zu der Zeit, die Leute mussten erfahren, genau, was dort vor sich ging, und sie mussten diese Bilder sehen, um „wach gerüttelt“ zu werden. Trotta sagte nur: So, müssen sie das? Wollen sie das? Wach sind doch nur diejenigen, die es sich ohne euch vorstellen können.
Glaubst du, dass du mir die zerstörten Dörfer und Leichen abfotografieren musst, damit ich mir den Krieg vorstelle, oder diese indischen Kinder, damit ich weiß, was Hunger ist? Was ist denn das für eine dumme Anmaßung. Und jemand, der es nicht weiß, der blättert in euren gelungenen Bilderfolgen herum, als Ästhet oder bloß angeekelt, aber das dürfte wohl von der Qualität der Aufnahmen abhängen, du sprichst doch so oft davon, wie wichtig die Qualität ist, wirst du denn nicht überall hingeschickt, weil deine Aufnahmen Qualität haben? fragte er mit leisem Hohn. Der Verdacht blieb in ihr, dass etwas Beleidigendes in ihrer Arbeit war, dass Trotta, der nicht recht hatte, doch in einem Punkt recht hatte, denn was unterschied so sehr die Fotos von Fensterstürzen, Zugunglücken, weinenden Müttern und grauenvollen Slums von den Bildern, die von allen Kriegsschauplätzen geschickt wurden, und hätten nicht so viele Fotografen das wirklich fotografiert, dann hätte man diese Aufnahmen genauso geschickt herstellen können, wie ein geschickter Bilderfälscher ein Original eben fälschen kann, ohne sieh der Gefahr des Misslingens auszusetzen und ohne einen anderen Einfall zu haben, als gut zu fälschen.
Die Fotoserien, die erschienen, waren fast nie gefälscht, aber Elisabeth sah sie jetzt manchmal anders an, besonders die letzten Fotos von dem jungen Pedrizzi, der kurz danach mit einigen Algeriern und einem anderen Franzosen, Leuten, die man nur nebenbei betrauerte, weil man in der Presse nur Pedrizzi kannte und ihn zum Helden einiger Nachrufe machte, in die Luft gesprengt worden war. Trotta fing immer wieder an, sie und ihren jungen festen Glauben zu verunsichern.
Die Leute sollen doch lesen, und überdies wissen sie alles schon, ehe sie es gelesen haben. Du liest doch auch, als wüsstest du es nicht ohnedies, alle Berichte über die Folterungen, einer gleicht dem anderen, und du liest es und weißt, dass es wahr ist, unmenschlich, dass es ein Ende haben muss, und dann möchtest du es vielleicht noch fotografieren, damit Hunderttausende auch sehen dürfen, wie man gefoltert wird.
Wissen genügt wohl nicht! Ich sage nur, es ist eine Zumutung, es ist eine Erniedrigung, eine Niedertracht, einem Menschen auch noch zu zeigen, wie andere leiden. Denn es ist natürlich anders in Wirklichkeit. Also so etwas zu tun, bloß damit einer seinen Kaffee einen Moment stehen lässt und murmelt, ach, wie schrecklich!
Frage?
Inwieweit muss es für einen Presse-Fotografen moralisch-fotografische Grenzlinien geben (Ästhetisierung und Vermarktung von Not, Leid und Gewalt) gegenüber seiner Wahrheitssuche bzw. Informationspflicht (lukrative Sensations-, „Schockfotos“)?
(Aus: Simultan Erzählungen; München 1974, Seite 111 – 113)