Keinen Respekt vor Lehrern!

Von unserer Mitarbeiterin Anina Vetter (17.03.2003 23:35)

Die Stimmung in der Bücherei der Goetheschule ist eher aufgelockert als angespannt: Neun Austauschschülerinnen aus Schweden, die hier zur Zeit die 11. Klasse besuchen, sitzen um einen runden Tisch herum, zusammen mit ihrer Lehrerin Christina, und warten gespannt auf das, was ihnen bevor steht. Auch Herr Kräbs, Herr Müller und drei der deutschen Austauschschüler lassen es sich nicht nehmen, bei unserem Interview dabei zu sein. Jennie, Henriette, Sofie, Joanna, Malin, Sandra, Frida und die zwei Elins lernen seit sechs Jahren Deutsch. Kommuniziert wird heute jedoch in einer Mischung aus Englisch, Deutsch und Schwedisch.

Die schwedisch/deutschen Austauschschüler mit Betreuern: Frau Silquist (li), Herr Kräbs (mitte); Online Mitarbeiterin Frau Vetter (re)

Nach anfänglicher Schüchternheit erzählen die Mädchen von ihren Eindrücken und Erfahrungen, die sie in den acht Tagen in Deutschland gesammelt haben. Zunächst berichten sie, wie begeistert sie von Deutschland und den Deutschen sind. Alle seien sehr nett, überhaupt nicht schüchtern, und vor allem die Jungs hier seien eine Augenweide.

Überraschenderweise sei es in Deutschland auch nicht viel wärmer als in Skandinavien, was sie eigentlich nicht erwartet hätten. Weitere „Vorurteile“ werden nicht zur Sprache gebracht. Ängste hatten die Schwedinnen jedoch gehabt, bevor sie endlich in Kassel ankamen: Alle fragten sich, wie wohl die Gastfamilie sein werde, ob man sich gut mit dem Austauschpartner verstehen und wie das tägliche Miteinander vor sich gehen würde. Anscheinend gibt es aber jetzt überhaupt keine Probleme mehr: „Wir sind eine super Gruppe, wir machen nur Party!“, sagt der deutsche Felix.

Als wir nun zu den Unterschieden zwischen Deutschland und Schweden kommen, platzt es aus Jennie heraus: „Das Essen ist komplett anders, vor allem das Frühstück! Der Tisch wird mit lauter süßen Sachen gedeckt, die es bei uns gar nicht gibt!“ Auch das Schulsystem hier sei völlig anders und viel komplizierter. In Schweden besuchen alle Kinder für neun Jahre die Grundschule, was die Schülerinnen positiv finden, denn immerhin sei man nach der 4. Klasse noch viel zu jung für das Gymnasium. Und Jennie fügt lächelnd hinzu: „Die Deutschen haben überhaupt keinen Respekt vor dem Lehrer, im Unterricht werde laufend geredet – bei uns ist das zum Glück nicht so.“

Auch kulturelle Kurzausflüge wie der zum Kassler Herkules kamen nicht zu kurz. Besonders beeindruckt aber waren die neun Mädchen von dem Konzentrationslager Buchenwald, in dem sie sich u.a. einen Film ansahen und Fotos bestaunten, die das Leid der vom Naziregime verfolgten Menschen zeigten. Eine Schwedin erzählt, wie geschockt sie von diesen Bildern war. Auf die Frage, ob man noch gern andere Städte wie z.B. Berlin gesehen hätte, antworten alle mit einem klarem Nein.

Die deutschen Austauschschüler, Herr Kräbs (re) und im Hintergrund Herr Müller

Ein von Herrn Kräbs angesprochenes Thema war Schwedens Annäherung an Europa und der Euro, der in Schweden noch nicht eingeführt ist. Eine Abstimmung zum EU-Beitritt stehe jedoch kurz bevor. In der Runde ist man geteilter Meinung. Auf der einen Seite wird angeführt, dass Schweden durch den Euro seine eigene Identität verliere, dass man nicht an die EU glaube und dass es in der Wirtschaft bergab gehen könnte, was eine höhere Arbeitslosenzahl nach sich ziehen würde. Auf der anderen Seite wird erwähnt, dass man mit dem Euro kein Geld mehr wechseln brauche und dass er notwendig für die Zugehörigkeit zu der EU sei. Ein Störfaktor seien aber ebenfalls die vielen kleinen Münzen.

Wenn man in Schweden das Fach Gesellschaftskunde belegt, dann würde man über Europa und auch über die deutsche Geschichte, wie zum Beispiel den zweiten Weltkrieg, reden. Dass sich im Übrigen die Unterschiede zwischen Schweden und Deutschland in Grenzen hielten, zeige sich auch in den Sprachen. Das sei auch ein Grund, warum die Mädchen Deutsch als Schulfach belegt hätten. Andere führen die Bedeutung deutscher Sprachkenntnisse für die EU an. Eine interessante Begründung kam von Jennie: Sie heißt Schäfer mit Nachnamen und möchte wissen, woher sie herkomme.

Zum Abschluss fügt die Goetheschülerin Anja hinzu: „Wenn wir in acht Wochen nach Schweden fahren, dann habe ich nur Angst vor Langeweile – und vor den Elchen – die sind ja so groß!“ Weitergehende Erwartungen haben die deutschen Austauschschüler noch nicht, sie hoffen allerdings, die schwedischen Mädels von einer ganz anderen Seite zu erleben.

Das Fazit des Gesprächs: Alle freuen sich auf ein Wiedersehen und finden, dass die Zeit viel zu schnell herum ging und überhaupt: die deutschen Familien hätten es nicht besser machen können, meinten die Schwedinnen zum Schluss.