RZA in Kassel

Von unserem Mitarbeiter Jörn Perlwitz (27.04.2003 22:39)

„Eigentlich sollte doch um 19.00 Uhr Einlass sein, oder?“ „Eight!“ „Wir haben jetzt aber schon 20.00 Uhr!“ Um ca. 20.11 Uhr machten sie die Tore schließlich doch noch auf und ließen all die Leute ins Hotel Reiss, die das RZA-Konzert sehen wollten. Als ich um 20.30 von der Toilette komme, sehe ich Bojan: „Und, wann geht’s los?“ – „Ähm, RZA ist noch beim Verhör!“ – „Wie, jetzt?“ – „Der Bus wurde von der Polizei festgehalten. Die sitzen jetzt seit 18.00 Uhr auf irgendeinem Polizeirevier zwischen Jena und Kassel fest.“

Jörn Perlwitz bei RZA

Zehn Minuten später verkündete der Mann, der mir das Interview „besorgt“ hatte, diese Info auch auf der Bühne, doch alle nahmen es eigentlich ganz gelassen. So hatten Alme88 auch kaum Probleme, die Leute wenigstens ein bisschen anzuheizen. Nach Tracks wie „DriveIn“ und „Lipgloss“ ging die Bude auch schon langsam hoch, doch man sah, dass alle hier auf jemand ganz anderem wartete. Um 23.30 Uhr startete die Show dann doch noch. Den Anfang machte Cilvaringz, der dem Publikum erklärte, warum sich die Angelegenheit so verzögert hatte. Nach einigen mehr oder weniger politischen Ansagen („Fuck Bush!“ oder „Fuck America!“) begann Tekitha ihre Show mit einigen Songs von ihrem neuen Album und dann kam er: Der RZA! Jetzt war zu merken: Die Leute sprangen, alle Hände gen Himmel, und die Köpfe nickten! Nach gut 90 Minuten, die lange nicht für alle Wu-Tang-Hits reichten, konnte ich mich schließlich mit dem RZA zusammensetzen. Auch die Aftershowparty wurde eine tolle Nacht, aber es war mir leider vergönnt, weitere Interviews mit Masta Killah, Beretta9, Tekitha, Cilvaringz, Ghostface Killah oder den vier von Alme88 aufzuzeichnen!

Hotel Reiss,
alt und stilvoll

UO: Wie ist die WU-Idee entstanden und wie hat diese ganze Sache angefangen?
RZA: Ich war so um die 19 Jahre, als sich ein paar junge kräftige Typen in Brooklyn zusammenfanden und wir sofort wussten: Wir sind füreinander bestimmt. Das ist wie Mathematik: Alles ist logisch. Wir haben angefangen einfach miteinander rumzuhängen, angefangen mit dem „emceeing“. So nach dem Motto: „walking, talking & teaching“. Wir haben angefangen es in unseren Blocks zu präsentieren, dann zog es über die Stadt und schließlich begann unser Feldzug über die ganze Welt.

UO: Und mit deinem neuen Album „The world according to RZA“ willst du jetzt Europa übernehmen?
RZA: (lacht) Nein, es geht nicht darum Europa zu übernehmen, aber „the world according to RZA“ soll dafür da sein, den Leuten zu zeigen, dass sich etwas tut in der Welt. Du weißt, was ich meine: Die Leute sagen immer „Westcoast – Eastcoast“, „American HipHop“, „German HipHop“, „European HipHop“, „Asian HipHop“, aber für mich ich ist es EINE Sache. Also habe ich dieses Album gemacht, um den Leuten zu zeigen, dass HipHop eine große Gemeinschaft ist, die von Kontinent zu Kontinent miteinander verbunden ist.

UO: Wie bist du auf die Idee gekommen, HipHop mit der alten Shaolin-Kunst zu verbinden?
RZA: Shaolin ist die Welt aus der Kung-Fu entstanden ist. Es gibt physisches und mentales Kung-Fu. Es gibt Schläge, Tritte und Härte, mit denen man seinen Geist trainiert. Auf der anderen Seite ist da die Kunst, seine Zunge zu trainieren, seinen Geist so zu formen, dass die Wörter, die über deine Lippen kommen, deine Feinde wie Schwerthiebe treffen können. Shaolin hatte außerdem einen großen Einfluss auf mich, weil es dort diese grenzenlose Disziplin gibt. Du hast einmal ein Prinzip und kannst es immer und überall leben. (Original:)“Walkin‘, talkin‘, sleepin‘, drinkin‘, smokin‘, f***in‘, rappin‘. It’s anything and always.“

UO: Und Angst hast du in deinem Leben auch nicht? Ich habe von Schüssen gehört, die auf das Label-Gebäude von Murder-Inc. (Irv Gotti) abgegeben wurden, oder auf das Auto von Busta Rhymes. Die Gewalt, die seit dem Mord an Tupac abgenommen zu haben schien, nimmt wieder zu, was ja auch der Tod von Jam Master Jay durch die Waffe beweist!
RZA: Der Tod von J.M.J. war eine sehr, sehr schlimme und traurige Angelegenheit. Er war immer ein Vorbild für mich. Aber aus Liebe kann oft grenzenloser Hass entstehen, und New York war schon immer eine wilde Stadt und viele, auch Busta und Irv, sind dort aufgewachsen. Vielleicht gibt es auch noch Feinde aus deiner Kindheit. Du weißt nie, wer dein Feind ist. Alles was passiert, ist vorherbestimmt. Wenn du anfängst, den falschen Leuten zu blöd zu kommen, ist es dir vorbestimmt, was früher oder später passieren wird.

UO: Du wirst als „Best Producer on the mic“ bezeichnet, was ja bedeutet, zu produzieren und zu rappen. Du hast ja schon groovige Beats gemacht, wie auf dem Debut von „Ol‘ dirty Bastard“, dann wiederum eine sehr „undergroundige“, dunkle Beat-Basis auf der „GZA – Liquid swords“ Platte, außerdem soulige Beats auf der „Bullet Proof Wallets“ von „Ghostface Killah“. Warum hören sich die Wu-Tang Compilations wie zum Beispiel „The Swarm“ so experimentell an? Die Samples auf „Co-Defendant“ hören sich an wie Schreie eines Mannes, der unter höllischen Schmerzen leidet!
RZA: (grinst) Nun ja, ein Track entsteht immer nach meiner derzeitigen Stimmung. Als wir „The Swarm“ aufnahmen, war es 1998, und ich hatte gerade einen meiner besten Freunde verloren. Bei der „Iron Flag“- Platte hört man doch förmlich, dass ich sie in einer Zeit produziert habe, in der es mir extrem gut ging.

UO: Wieviel Features hast du auf deiner neuen CD mit deutschen MC’s geplant?
RZA: Ich habe Curse, Kool Savas, Afrob aufgenommen, was sehr viel Spaß gemacht hat. Dann habe ich noch was mit Xavier Naidoo gemacht und mit noch einem … (überlegt) … G.E.R.M. Es sind also viele deutsche Leute mit drauf. Ich schätze die deutsche Szene auch als Beste in Europa ein, weil sie mit so vielen Styles am Start ist (Anm. d. R.: München, Hamburg, Berlin, Stuttgart, Heidelberg)

UO: Was denkst du denn über Künstler wie Eminem, speziell 8-Mile, oder Nelly?
RZA: Also über Eminem denke ich, dass er ein immenses Talent hat. In den USA gab es lange, lange Zeit viele 2White-Boys“ die keinen Flow hatten oder nur Schrott-Texte, aber mit Eminem hat es einer bis ganz oben geschafft. Er hat sein Ding durchgezogen und sich nicht von schlechten Leuten beeinflussen lasse, wie so viele vorher. Zu 8-Mile: Ich kann mich daran erinnern, dass ich selber ein paar ähnliche Situation mitgemacht habe. Aber jeder Head identifiziert sich für seinen Teil mit 8-Mile. Und Nelly? Nelly ist … Nelly ist … Für sein emceeing würde ich ihm eine „3-“ geben, aber er ist ein gigantischer Entertainer. Ich habe ihn vor einiger Zeit getroffen, und er ist sicherlich ein cooler Junge, und ich freue mich für ihn, dass er mit seiner Kunst Erfolg hat. Für mich ist er aber nicht der „MC“, sondern ein Mann, der es versteht, eine Party anzuheizen. Die Videos sind also nicht unbedingt gestellt. Er hat irgendwie die Fähigkeit dazu. Vielleicht braucht er das auch für sein Selbstbewusstsein? Ich weiß es nicht.

UO: Denkst du, dass im HipHop Schwarze grundsätzlich bessere Chancen haben? Auch in Deutschland haben wir ja eine extrem gemischte HipHop-Kultur, was letztendlich auf für die Vielfältigkeit sorgt. Dennoch gibt sehr wenige „deutsche“ MC’s wie Curse oder Nico Suave oder die Crew von Blumentopf.
RZA: Da stimme ich dir nicht zu. Ich denke, Kool Savas und Curse sind zwei Top-MC’s in Deutschland und sind doch auch weiß, oder? Und Afrob, der aus Eritrea kommt, wird doch hier auch voll akzeptiert. Jeder kann alles schaffen, was er sich vornimmt und ich denke, dass die HipHop-Welt so langsam in der Lage sein sollte, nicht dauernd diesen beschissenen Schwarz-Weiss-Konflikt wiederaufleben zu lassen. Das hatten wir doch schon zu Zeiten von Abe Lincoln oder jetzt sind auch in Amerika aktuell bei den Neonazis. Wir können doch nicht jedem MC eine Papptüte aufziehen, damit wir nicht sehen, welche Hautfarbe er hat, und ihn dann nach seinem Flow einteilen: „Du da: SCHWARZ! Du da: WEIß!“ Ich hatte eine Zeit, in der ich keine Female-MCs leiden konnte, ich war ein Chauvi, und jetzt habe ich doch auch Tekitha auf meiner Tour mit dabei. Man kann jeden respektieren. Cilvaringz und Eminem sind doch auch weiss. Also…?

UO: Ich muss auch politische Fragen stellen. Was denkst du zum Beispiel über den Irak-Konflikt?
RZA: Wir haben so verdammt viele Politik-Themen im Moment! Da ist es überall sehr schwer, nichts Falsches zu sagen. Zu diesem Krieg: Wir gehen jeden Tag durch einen Krieg. Schau doch mal zurück: Krieg. Guck dich jetzt um: Krieg. Was erwartet die Menschheit: Krieg.

UO: Ein paar Menschen in Deutschland vertreten den Standpunkt, es sei eine Tradition der Bush-Familie, Saddam zu kriegen, andere sagen es läge am Öl. Was sagst du dazu?
RZA: Da kann doch alles stimmen. Du kannst doch keinem hinter die Stirn gucken. Aber: Saddam hat eine Menge Geld, Bush hat eine Menge Geld, aber die Nigger in meiner Nachbarschaft sind arm. Ich höre das sehr oft. Es sind immer noch so viele Leute in den USA arm, nur sieht man das leider nie im Fernsehen.

UO: Meine Eltern waren in 1980 in NY…
RZA: (unterbricht) 1980? In 1980 war ich superarm!

UO: Meine Antwort: Kann sein… Aber was zum Beispiel meine Eltern denken: Nach 1980 kam Giuliani (Bürgermeister) und alles bekam wieder eine Richtung. Denn als auch ich in 2000 da war, sah man nichts von Armut..
RZA: (unterbricht wieder) Klar waren die Straßen sauberer, weil Giuliani in kürzester Zeit die Gefängnisse überfüllte. Er hat die Obdachlosen ins Gefängnis geworfen.

UO: Das kann der Besucher nie ahnen…
RZA: Es ist aber die Wahrheit. Er hat jeden ins Gefängnis geworfen. Die Polizei wurde verdoppelt. Die Stadt sieht sauber aus, aber die schlechteren Bezirke, nicht nur die Gettos, sind so abgefuckt wie eh und je. Er hat es für die Touristen sauber gemacht. Das ist Dasselbe wie in Brasilien: Rio de Janeiro ist die Stadt Gottes, aber wage dich ja nicht in die falsche Ecke. Wo Gott ist, ist auch meistens der Teufel nah. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Rio de Janeiro, oder auch Südafrika, lebt in Baracken, ohne eine Chance auf das, was wir Leben nennen. Es ist alles Film, Schauspiel und Tragödie. Eine Fassade.

UO: Was macht am meisten Spaß? Größen im Rap-Biz wie Big Pun und Notorious B.I.G., oder neue, unbekannte MCs, die du für die Wu-Family entdeckst? Oder sind es POP-Größen wie Björk oder Dog-Eat-Dog?
RZA: (grinst, lachen von Masta Killah im Hintergrund) Wen ich am besten finde?

UO: Nein. Mit wem es am meisten Spass macht zu produzieren?
RZA: Ich weiß nicht … Produzieren macht immer dann Spass, wenn du jemanden da hast, mit dem es Spaß macht, und der selber Lust darauf hat, gute Musik zu machen. Es hat natürlich mit den Großverdienern Spass gemacht, aber es ist auch lustig, mit Leuten wie Beretta9 (Killarmy) aufzunehmen, der ja nicht allzu bekannt ist. Ich produziere einen Song für 100.000 $ oder für 10.000 $ oder ich mache es für lau. Ich habe neulich mein Album ?According to RZA“ in Hamburg gemastert, in Hamburg wohlgemerkt, und da war im Studio nebenan ein Typ am Aufnehmen. Total unbekannt. Aber immer wenn ich an der Studio-Tür vorbeikam, und das war sehr oft, dann war dieser Typ am rappen. Part für Part, bis es perfekt war. Wir haben uns unterhalten, wir haben zusammen was geraucht und was getrunken und letztendlich ist ein Track herausgekommen. Jetzt weiß ich nicht einmal mehr seinen Namen, aber das ist doch verdammt noch mal HipHop, und ich liebe dieses Leben mit all seinen Querelen. Auch vielleicht fünf Stunden lang auf dem Weg von Jena nach Kassel, von 15 Polizisten mit Waffen verhört zu werden, und dann drei Stunden zu spät ein Konzert zu machen. Aber haben wir gerockt oder was?

UO: Wir danken Dir für das Interview