Schlaffis und Jammergestalten

Gefunden von unserem Chemie- und Sozialkundelehrer H.J. Prauß (17.03.2001 15:58)

Maßlosigkeit bei Geschenken und Süßigkeiten, Erfüllung aller Wünsche sofort, dauerndes Verhätscheln, Inkonsequenz, In-Watte-Packen bei kleinstem Unwohlsein, Aufgaben oder Konflikte dem Kind ersparen: Verwöhnung hat viele Gesichter. Ein Blick in die Schule zeigt folglich, wie wenig belastbar Kinder und Jugendliche heute sind, kaum noch fähig, Kraft und Ausdauer als Voraussetzung von Erfolg zu sehen.
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Dabei muss zwischen Verwöhnung und gezielter Zuwendung deutlich unterschieden werden. Zuwendung orientiert sich am anderen, an seinen Entwicklungsschritten, Erwartungen, Möglichkeiten und Grenzen, ist wohlwollend und ermutigend und auf Eigenverantwortung gerichtet. Dagegen tritt Verwöhnung zwar in Gestalt der Zuwendung auf, orientiert sich aber an den Bedürfnissen des Verwöhnenden. Es geht um dessen Vorteil, nicht um das Wohl des Kindes. Ein konfliktfreies Miteinander wird zum Ideal. Erfolg wird ohne Vorleistung erfahrbar, Passivität belohnt. Es lebt sich wie im Schlaraffenland. Das Kind gewöhnt sich an den bequemen Mechanismus, alles leicht zu bekommen. Verwöhnen und Gewöhnen werden ein Paar.
Die Folge ist eine Abnahme jeglicher Anstrengung. Das Kind wird permanent entmutigt. Anfangs wehrt es sich noch. Später gibt es auf. Eigene Interessen haben keine Chance zur Verwirklichung, Willens- und Persönlichkeitsbildung findet nicht statt. Die Kraftlosigkeit führt auf Dauer zu Verwahrlosung, Aggression, letztlich zu Gewalt. Das Scheitern in Schule und Beruf ist vorprogrammiert. Der postmoderne Asoziale steht vor uns. Verwöhnung hat einen hohen, nicht selten lebenslang zu zahlenden Preis. Daraus folgt: „Jedes Kind hat das Recht, vor verwöhnenden Eltern geschützt zu werden!“
In der Erziehung zu einem mündigen Menschen geht es nicht um „mein ein und alles“, sondern darum, die anvertrauten Kinder zu einem eigenständigen Leben zu befähigen. Das Kind ist kein kuscheliger Schoßhund, darf fehlendes Glück in der Partnerschaft nicht ersetzen. Verwöhnung aber treibt das Kind dazu, permanent auf die unterschwelligen Erwartungen des überlegenen Verwöhners fixiert zu sein. Es gibt sich willfährig, hat Angst groß zu werden, weil dann die Zuwendung aussetzen könnte und konzentriert sich aufs Gefallenwollen. Meist rächen sich solche Kinder später dafür. Die zukünftige Generation wird zu kraftlosen, ängstlichen, leistungsschwachen, unmotivierten und angepassten Egoisten, die sich nach Versorgtsein sehnen. Aber auf Dauer wird die vorgegaukelte Leichtigkeit des Seins zur Unerträglichkeit.
Die wachsenden Erwartungen an Familie, Schule, Beruf und Freizeit erfordern vom einzelnen ein hohes Maß an sozialer Einsatzbereitschaft. Aufgeweichte Jammergestalten, ideenlos, frustriert, ohne Kraft, Mut und Zukunftsperspektive gibt es schon genug. Damit kann weder die Verantwortung für die nachwachsende Generation übernommen noch der Wirtschaftsstandort Deutschland abgesichert werden. Ob die Zeit noch ausreicht, die Mutation vieler Jugendlicher zum Homo schlaraffiensis rückgängig zu machen, dem Lebensideal der Made im Speck ein Ende zu bereiten?

(Kurzfassung eines Artikels von Albert Wunsch aus der ZEIT vom 1. Oktober 1998)

Was haltet Ihr von dieser Meinung oder hat Euch die körperliche und geistige Trägheit bereits übermannt/überfraut?
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