Schlangen im Alltag

Von unserer Mitarbeiterin Anina Vetter (18.05.2003 18:55)

Als Tier ist sie das Sinnbild für Verführung und purem Gift. Sie ist taub, fast blind und nimmt äußere Umwelteinflüsse nur durch ihren Tast- und Geruchsinn war…

Als Sternbild ist sie seit 1928 ein festgelegtes Himmelsreal, dessen Grenzen durch Stunden- und Deklinationskreisen bestimmt sind…
Als Tierkreiszeichen im alten chinesischen Horoskop wird sie als sehr offen und kontaktfreudig beschrieben….

Währungsreform-Schlangen 1948

Auch wir begegnen dem Phänomen Schlange im Alltag häufiger als wir denken…vor allem im Supermarkt. Wenn man den Einkaufswagen kaum noch allein schieben kann, wenn das Klopapier dauernd unter dem Ellbogen wegrutschen will, wenn einem einfällt, dass das Portemonnaie ganz unten in der Handtasche liegt, wenn an der anderen Hand das Kind oder der Partner/ die Partnerin quengelt, wenn man doch noch die Butter vergessen hat und die Schweißperlen schon auf der Stirn stehen – dann trifft man sie in der Form von purem Gift: Die Schlange an den lediglich zwei geöffneten Kassen am Freitag Nachmittag zieht sich über die Eistruhen bis zu den Kosmetikartikeln hin.

Demo-Schlange 2003

Von positiver Sommerstimmung kann hier nicht mehr die Rede sein. Mürrisch bildet man unwillkürlich das Ende dieser Schlange und zählt die voll gepackten Körbe, Taschen, Hände und Wagen, die noch vor einem stehen. Am liebsten würde man vordrängeln, sich beim Chef beschweren, losheulen, die Schlange erwürgen. Die einzige Verführung, der man hier widerstehen muss, sind die Schokoriegel und Zigarettenpackungen, die sich rechts und links stapeln. Obwohl das jetzt natürlich genau das Richtige wäre. Ein Himmelsreal, das durch Stunden bestimmt ist? Hm, wohl eher der Wunsch nach freien Himmel statt drei Stunden im Real. Offen und kontaktfreudig? Das ist sie allemal. Während der ganzen Woche hört man nicht so viele spannende Geschichten, wie an den Kassen.

City-Point-Schlangen 2002

Die ältere Frau vor uns ist gerade erst 78 geworden. Ihr Sohn, der sehr glücklich mit der Silvia verheiratet ist, arbeitet von morgens bis abends und wird bald einen Schlaganfall erleiden. Ihr Enkelchen geht zur Grundschule und hat große Schwierigkeiten in Mathe. Er wird nie einen guten Beruf bekommen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Silvia in der Schwangerschaft zu viel geraucht hat… Hinter uns fragt ein Mann mit einer einzigen Zahnbürste, ob er vorgehen kann… “ Nein!“ Obwohl, da wären wir die Oma los… „Ok, gehen sie nur!“ Genervt schauen wir uns um, beobachten Gleichgesinnte und hören die neusten Fisch- Angebote im hauseigenem Radio. Mir wird schlecht. Endlich erklingen Töne eines Liedes. Bei „Like ice in the sunshine… “ kann sich unsere Laune jedoch nicht wirklich bessern, denn wir haben gerade weder ice, noch sunshine.

Der Mann, der mittlerweile hinter uns steht, pfeift eifrig mit. Solange er uns nicht anspricht, ist das völlig in Ordnung. Auf einmal sehe ich den Mann mit der Zahnbürste durch die Tür in die Freiheit laufen. Die Flucht vor der Schlange? Nein, die gute Oma hat ihn ebenfalls vorgelassen. Jetzt muss sie unbedingt erwähnen, dass sie ihren Einkauf niemals allein nach Hause bekommt, aufgrund ihrer unbeschreiblichen Rückenschmerzen. Die gute Silvia wird sie später abholen. Mit einem vom Schmerz verzerrten, völlig übertriebenen Gesicht hebt sie im Schneckentempo ihre Ware auf das Band. Ich bin einfach gezwungen, ihr zu helfen. Aber sie mache sowieso nicht mehr lange, sagt sie. Welch eine Beruhigung. Sie bedankt sich, lässt ihre Geldbörse von der Verkäuferin durchwühlen und ihre Ware einpacken. Endlich, endlich, ENDLICH sind wir an der Reihe. Zeug auf das Band schmeißen, blödes Grinsen der Verkäuferin imitieren, Zeug zurück in den Wagen schmeißen, bezahlen, Kassenzettel liegenlassen, kein schönes Wochenende wünschen und nur noch raus hier.

Dass Menschen also Angst vor Schlangen haben und dass diese Menschenmasse vor den Kassen ihren Namen trägt, ist mir also völlig klar geworden. Fazit dieser Untersuchung: Man geht Schlangen aus dem Weg, es sei denn, man heißt Eva, braucht Milch oder will sich von Silvia abholen lassen.