Spielplatz der Phantasie

Von unserem Redakteur Felix Fischer (25.01.2004 04:23)

Lesen bedeutet das Zusammenfügen einzelner Buchstaben zu einem sinnvollen Satzgebilde. Doch was veranlasst begeisterte Leser dazu, sich immer wieder über Stunden in ihrer Lektüre zu vergraben und den Rest der Welt auszuschließen und nur noch am Rande, durch das Klopfen an die abgeschlossene Tür, wahrzunehmen? Was bringt sie dazu, ein Buch nicht nur schlicht zu lesen, sondern jede Einzelheit in sich aufzusaugen, die Lektüre regelrecht zu verschlingen?

Lesen bildet!

Lesen ist – durch viele verschiedene Genres – ein weit gefächertes Spektrum. Andere Unterhaltungsmedien sind weniger abwechslungsreich: Sei es hier ein Brett-, Karten- oder Gesellschaftsspiel. Das Spiel folgt konkreten, unveränderlichen Regeln und kann sich zwar von Spielablauf zu Spielablauf unterscheiden, wird aber nie den Rahmen der Grundregelung sprengen; es ist damit ein begrenztes Medium. Gerade daraus folgert einer der besonderen Reize des Lesens, denn die Literatur kennt solche Einschränkungen nicht.
Einen Großteil der Begeisterung am Lesen macht also dessen Flexibilität, die Weitläufigkeit dieser Art der Unterhaltung, aus. Auch ist Lesen eine subjektive Erfahrung. Jeder Mensch interpretiert gelesenes anders, identifiziert sich mit anderen beschriebenen Situationen, Gedankengängen und Gefühlen, oder lehnt sie ab.

Im jungen Alter ist das Lesen enorm wichtig

Ein weiterer Anreiz, sich in einem guten Buch zu vergraben, liegt darin Dinge zu erleben, die einem in der realen Welt schlicht und einfach nicht möglich sind: Ein Kind unserer Zeit kann nun einmal nicht so einfach ein großer Held im Mittelalter, ein Jugendlicher aus der dritten Welt nicht so einfach ein bekannter Mime in Hollywood werden, ein junger Mensch nicht das gesammelte Wissen von Jahrhunderten besitzen. Also lesen diese Menschen, um Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln, die ihnen durch ihr soziales Umfeld oder schlichtweg menschliche Unzulänglichkeit verwehrt sind.
Durch intensives, hingebungsvolles Lesen wird geschriebenes im Geist des Einzelnen lebendig; dadurch kann ein „das-habe-ich-schon-erlebt“ Gefühl bei der Konfrontation mit bestimmten Situationen entstehen, dass voreilige Reaktionen verhindert oder Entscheidungen erleichtert, da die Folge von bestimmten Handlungsmöglichkeiten schon im gelesenen Roman beschrieben wurden. Ein Beispiel dafür, wie Lesen Wissenslücken füllen kann.

Wer nicht liest, bleibt dumm

Das Buch ist der Spielplatz der Phantasie, denn lesen heißt auch, der Phantasie freien Lauf zu lassen. Denn es gilt, nur schriftlich dargestellten Schauplätzen, Personen, Handlungen aktives Leben einzuhauchen. Die tragende Rolle der Phantasie während des Lesens zeichnet sich dadurch aus, das sie dem Leser keine Grenzen außer die seiner eigenen Phantasie aufzeigt; das gelesene ist einzigartig, ein Unikat der menschlichen Vorstellungskraft und damit über alle anderen Formen der Unterhaltung erhaben.
Wenn nun ein anderes Unterhaltungsmedium verkündet, über vier Millionen Deutsche seien Analphabeten, kann ich mir das nur in sofern erklären, dass diese bemitleidenswerten Menschen nun einmal nie in den Genuss eines gutgeschriebenen Romans gelangt sind. Denn sonst würde die Statistik höchstwahrscheinlich anders aussehen.