Von Anina Vetter, Jgst. 11 (19.05.2002 01:39)
Neid = Missgunst, feindseliges Gefühl gegen einen anderen wegen eines Wertes, dessen Besitz einem selbst nicht gegeben ist.
Motiv: allgemeiner Benachteiligungsverdacht
So steht es zumindest im Lexikon geschrieben, und mal ehrlich: Wer kennt nicht dieses ätzende Gefühl, das sich hauptsächlich im Kopf abspielt. Das fängt doch schon im Kinderwagenalter an, eine Art Machtkampf zwischen den Kleinkindern bzw. zwischen deren Müttern. Wenn der Lolli der Kinderwagenfreundin einfach besser schmeckt als der eigene, dann wird wutentbrannt die eigene Mutter beschuldigt, die wiederum ihren Ärger gegenüber der weiblichen Konkurrentin nicht verbergen kann.
Später regt frau sich über die angebliche Arroganz von Frauen auf, die entweder die schönsten Klamotten, das schnellste Auto, den hübschesten Freund oder das meiste Geld haben. Sind diese Kriterien erfüllt, dann ist diese Frau total unsymphatisch, auch wenn man sich noch nie mit ihr unterhalten hat. Beobachtet frau dann noch, dass die Kontrahendin hübsch ist und beim anderen Geschlecht immer gut ankommt, redet frau sich tröstend ein, dass es wahrscheinlich so eine Zicke ist, die auf Schokolade verzichtet und an Sonntagen früh aufsteht, um ihren Allerwertesten in Form zu halten. So etwas kann frau schon garnicht leiden. Wenn frau dann noch mitbekommen muss, dass das Weib total nett ist und gerade studiert, dann ist das echt übel. Dann kann frau eigentlich einpacken und heimgehen, um dort im eigenen Selbstmitleid zu versinken.
Der Grund, warum ich mich bis dato nur auf Frauen beziehe, ist natürlich völlig beabsichtigt. Aus welchen Gründen auch immer sind sie mit dem Gefühl von Hass – im Altdeutschen mit „nid“ übersetzt – vertrauter als Männer. Obwohl das nicht heisst, dass Männer nicht neidisch sein können. Wenn ein junger Mann ein schnelles Auto fährt, dann ist das aus Sicht der betroffenen Männer entweder sponsered by Papa oder vom LKW gefallen. Und wenn er eine hübsche Freundin hat, dann kann ihr IQ nur dem eines Strohballens entsprechen.
Dabei geht es natürlich nicht nur um äußere Werte. Es kann auch ein großer Freundeskreis, eine gute Note, nette Eltern oder einfach eine gute Ausstrahlung sein. Und gerade bei jungen Leuten ist dieses Gefühl sehr ausgeprägt. Wahrscheinlich sind die Minderwertigkeitsgefühle in den pupertären Jahren einfach stärker. Und so bilden sich Burschen wie Mädels ein, dass die kleinsten Vorzüge der Mitmenschen einfach mehr Wert seien als die eigenen.
Im Grunde ist zwar alles Quatsch, aber für uns Deutsche insofern von Bedeutung, weil diese Art von Komplexe und Machtkämpfe untereinander nirgens so hochgespielt werden wie in Deutschland. Während sich der Amerikaner bei einem vorbeifahrenden Ferrari wünscht, selbst ein stolzer Besitzer zu werden, beklagt der Deutsche seine Benachteiligung. Und wie sieht es in den wirtschaftlich benachteiligten Länder aus? Dort gibt es weniger Neid, zumindest nicht öffentlich, was sich durch Umfragen bestätigen lässt. Wir Deutsche gehören zu den unglücklichsten Völkern.
Liegt es nun an den ausdifferenzierten Karrieremöglichkeiten, an den individualisierten Familienverhältnissen oder spielt vielleicht die Werbebranche die entscheidende Rolle? Wenn Models im Fernsehen und auf Plakaten vorexerzieren, dass Schönheit IN ist, dann wird Schlanksein zum MUSS. Wie soll man dann mit sich selbst zufrieden sein, wenn Heidi Klum in der Regenbogenpresse erzählt, dass sie mit 16 Jahren Anti-Falten Cremes benutzt hat, Pamela Anderson sich für ihre Schönheit nicht mehr die Fussnägel lakieren kann oder das Absaugen von Fett zum Standart gehört? Da springen die eigenen Schwachstellen deutlich ins Auge. Und so erscheinen immer andere Leute so perfekt, weil wir so schrecklich zu kurz gekommen sind und deshalb nicht akzeptiert werden. Neid wird so zum Leitbild einer Gesellschaft.