Der Boykott findet in den Köpfen statt

(28.05.2004 21:16)

Ob Coca Cola, McDonalds, Nike oder Microsoft – das Image US-amerikanischer Marken ist weltweit angekratzt. Betroffen sind in erster Linie diejenigen Marken, die als typisch amerikanisch gelten. Zu diesem Ergebnis kommt eine weltweite Konsumentenstudie des US-amerikanischen Marktforschungsunternehmens NOP World. Danach sei die Zahl der Konsumenten, die US-Markenprodukte schätzen, innerhalb des vergangenen Jahres erstmals seit 1998 signifikant zurückgegangen. Ursache sei ein eklatanter Imageschaden der Vereinigten Staaten, hervorgerufen durch den Irakkrieg sowie durch den von der Bush-Regierung praktizierten „Krieg gegen den Terrorismus“.

Der Irakkrieg hat mächtig an der amerikanischen Marktwirtschaft gerüttelt

Die Marktforscher von NOP World haben weltweit 30.000 Menschen befragt. Die Studie wurde zwischen Januar und März dieses Jahres durchgeführt. Befragt wurden die Konsumenten u. a. danach, ob und inwieweit sie großen US-amerikanischen Marken derzeit vertrauten. Die Marktforscher ermittelten einen erheblichen Vertrauensverlust.

So ging die Zahl der nicht-amerikanischen Konsumenten, die Coca-Cola vertrauen, von 55 Prozent im Vorjahr auf 52 Prozent zurück. Ein Rückgang ist auch bei McDonalds (von 36 auf 33 Prozent) sowie bei Nike (von 56 auf 53 Prozent) festzustellen. Den größten Vertrauensverlust hat laut Studie Microsoft zu verzeichnen. Der Anteil an Konsumenten, die Microsoft vertrauen, verringerte sich von sowieso schon schlechten 45 Prozent noch einmal um 6 Prozentpunkte auf 39 Prozent.

„Es ist nicht so, dass es einen massiven Boykott gibt“, erklärte Tom Miller, Manager von NOP World, bei der Vorstellung der Studie im noblen New Yorker Millennium Broadway Hotel vor über fünfhundert geladenen Werbefachleuten. Es gehe vielmehr um einen schleichenden Erosionsprozess, der das Image der US-amerikanischen Marken erheblich ankratze. Miller spricht von einem deutlichen Warnsignal für die betroffenen Konzerne.

– ohne Worte –

Die Wirkungen eines solchen Erosionsprozesses gehen wesentlicher tiefer als zum Beispiel Boykottaufrufe wie jene zu Beginn des Irakkrieges (Deutsche, kauft nicht beim Amerikaner …). Massenhaft befolgte Boykottaufrufe mögen eine kurzfristige Wirkung auf den Absatz einzelner Konzerne haben. Sie sind aber vielfach an einen aktuellen, tagespolitischen Boykottgrund geknüpft und haben somit ein Verfallsdatum. Verliert dieser Grund an Aktualität, dann ebbt die Wirkung von Boykottaufrufen ab.

Die Idee, mit Konsumentenboykotts politischen Einfluss zu nehmen, hat eine lange Tradition. Schon Mahatma Gandhi rief im Kampf gegen die britischen Kolonialherren in Indien zum Verzicht auf britische Waren auf. Zu erinnern ist auch an die weltweiten Boykottmaßnahmen gegen das südafrikanische Apartheidregime. Dass letztere schließlich Wirkung zeigten, lag allerdings in erster Linie daran, dass die Aufrufe zum Boykott südafrikanischer Produkte nicht nur von Konsumenten kamen, sondern auch von den Regierungen vieler Staaten mitgetragen wurden.

Wir bleiben heute von der Speisekarte

Die langfristige ökonomische Wirkung von Boykottaufrufen einzelner gesellschaftlicher Gruppen ist in der Regel gering. Werden Boykottaufrufe allerdings mit der Einführung von alternativen Produkten gekoppelt, kann es für die boykottierten Konzerne durchaus zu signifikanten längerfristigen Umsatzrückgängen kommen. So verzeichnete beispielsweise das arabische Coca-Cola-Substitut Star Cola nach Beginn des Afghanistan-Kriegs erhebliche Umsatzzuwächse. Im Iran kamen die Produzenten von Zam Zam Cola der beinahe explosionsartig gestiegenen Nachfrage nach der Coca-Cola-Alternative kaum noch hinterher.

Ähnliches erlebte im letzten Jahr auch die türkische Marke Cola Turka. Der Siegeszug der braunen Brause vom Bosporus wurde durch die anti-amerikanische Stimmung in der Türkei seit dem Irakkrieg befördert. Hinzu kam eine clevere Werbestrategie, die diese Stimmung geschickt ausnutzte. Als Werbeträger hatten sich die Manager von Cola Turka den ur-amerikanischen Komiker Chevy Chase geangelt. In zwei Werbespots, die in allen türkischen Fernsehsendern geschaltet wurden, mutieren typische US-Durchschnittsbürger nach dem Genuss von Cola Turka schrittweise zu Türken unter der augenzwinkernden Werbebotschaft („Trink Cola Turka und werde türkisch“).

Döner – eine echte Alternative zum Ami-Burger; dazu vielleicht noch die begehrte Zam Zam Cola?

Die NOP-Studie wertet den schleichenden Vertrauensverlust in US-amerikanische Marken und Produkte als ein Warnzeichen für die betroffenen US-Konzerne. Boykottaufrufe konnte man bisher getrost aussitzen und abwarten, bis die jeweils aktuelle Woge der Empörung abgeebbt war. Die schleichende Markenerosion lässt sich demgegenüber nicht so einfach umkehren. Sie hat ihre Wurzeln in einer US-amerikanischen Politik, die von den Konsumenten weltweit zunehmend negativ eingeschätzt wird. Ihr Boykott findet (noch) nicht an den Ladenkassen, sondern in den Köpfen statt.

Quelle: Heise Zeitschriften Verlag, Hannover, 25.5.2004