(27.01.2001 00:34)
San Diego/Hamburg (dpa) – Frei zugängliche Informationen für und von jedem – so lautet der Grundgedanke des World Wide Web (WWW). Herausgekommen ist die wohl größte von Menschenhand gemachte Datensammlung.
Ist das WWW das Ende des Lexikons? Im Gegenteil, meinen die beiden Gründer des Internetprojekts «Nupedia»: Lawrence M. Sanger und Jimmy Wales wollen eine weltweit zugängliche und von einer freien Autorengruppe geschriebene Universal-Enzyklopädie online aufbauen.
Nach dem so genannten «Open-Source-Prinzip» soll nicht wie bei herkömmlichen Lexika ein fester Autorenstamm einer Institution die Einträge schreiben. Bei «Nupedia» sollen Experten einer freien Gemeinde ihren Sachverstand einbringen. Die Macher hoffen auf einen ähnlichen Erfolg wie bei dem freien Betriebssystem Linux, das ebenfalls von vielen, unabhängigen Programmierern geschrieben wurde. Zugangsbeschränkungen gebe es für die Enzyklopädie nicht: Bei entsprechender Herkunftsnennung dürfe jeder die Inhalte nutzen, zitieren und übersetzen, sagen die Nupedia-Macher.
Anglist Rainer Holtei von der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf hält die Umsetzung einer Enzyklopädie mit Freiwilligen für möglich: «Das ist ein gutes Modell.» Mit einem ähnlichen Ansatz hatte einst auch das renommierte Oxford English Dictionary (OED), das Referenzwerk für die Entstehung englischer Wörter, begonnen. Im 19. Jahrhundert rekrutierte die Philologische Gesellschaft in London ehrenamtliche Helfer, die Wörter und Zitate sammelten – alles auf Papierschnipseln.
Die Idee hält auch Xipolis-Geschäftsführer Michael Munz grundsätzlich für richtig: «Das Internet ist dafür prädestiniert.» Xipolis selbst ist einer der größten Anbieter von Wissenssammlungen im Internet. Für Munz ist aber vor allem die Qualitätssicherung wichtig: «Eine Enzyklopädie ist mehr als eine Expertenplattform.» Einträge müssten offiziell zitierbar sein, für Falschmeldungen müsste eine juristische Person gerade stehen.
Nach Angaben von Nupedia-Chefredakteur Sanger sind zurzeit über 150 Artikel in Arbeit. Rund 90 Wissenschaftler, meist renommierte Akademiker aus aller Welt, würden Lexikon-Einträge zu Wissensbereichen wie Biologie, Geschichte und Geologie schreiben, redigieren und überprüfen.
Auch Nupedia verlange bestimmte Qualitätskriterien: Korrekturleser hätten meist einen Doktortitel in ihrem Wissenbereich, betont Sanger. Redakteure müssten renommierte Experten auf ihrem Gebiet sein und bereits Arbeiten publiziert haben. Die Qualität der Inhalte will Nupedia zusätzlich durch ein «Mehr-Augen-System» sichern. Mindestens drei Experten würden jeden Eintrag überprüfen. Die Verantwortlichen stehen mit Namen unter dem Artikel. Über die Expertenmeinung hinaus könnten die rund 3 000 Nupedia- Mitglieder Einträge in Diskussionsgruppen besprechen.
Sollte Nupedia über ausreichend Kapazitäten verfügen, soll das Lexikon auch in mehreren Sprachen im Netz stehen, kündigt der Chefredakteur an: «Wir hoffen, innerhalb eines Jahres mit Übersetzungen ins Deutsche und andere Sprachen beginnen zu können.»
Mit einem Universallexikon macht Nupedia bereits existierenden Online-Lexika Konkurrenz, zum Beispiel der Encarta von Microsoft oder der Internet-Ausgabe der Encyclopedia Britannica. Das Open-Source-Projekt will durch seinen Expertenpool sogar besser sein als die renommierte Britannica-Ausgabe. Allerdings droht weitere Konkurrenz: Der renommierte Open-Source-Guru Richard Stallmann kündigte Anfang des Jahres ebenfalls ein Universallexikon des Wissens an, unter dem fast gleichlautenden Titel «Gnupedia».