«Heimliche Kinder» ohne Bildung – Schulen nehmen keine Illegalen auf

(04.09.2001 19:04)

«Heimliche Kinder» werden sie genannt, die Mädchen und Jungen, die illegal in Deutschland leben. Frankfurt/Main (dpa) – «Heimliche Kinder» werden sie genannt, die Mädchen und Jungen, die illegal in Deutschland leben. Für die Behörden existieren sie nicht, und deshalb können sie auch offiziell nicht die Schule besuchen. Ihre Bildung holen sie sich zu Hause oder auf der Straße. Viele Eltern trauen sich nicht, ihre Söhne und Töchter in der Schule anzumelden, aus Angst entdeckt und ausgewiesen zu werden. Auf der anderen Seite scheuen die Schulleiter davor zurück, diese Kinder aufzunehmen.

Wie viele Betroffene es gibt, darüber kann nur spekuliert werden. Heiko Kauffmann, Sprecher der Flüchtlingshilfeorganisation «Pro Asyl», geht von mehreren 10 000 Kindern in Deutschland aus, die ohne Papiere hier leben. Viele Jungen und Mädchen im schulpflichtigen Alter seien ohne Eltern da. In den ehemaligen Ostblockstaaten, beispielsweise Rumänien, «machen sich die Kinder schon mal alleine auf die Flucht», sagt Kauffmann. Hier leben sie meist auf der Straße, an Unterrichtsbesuch ist nicht zu denken. Der Pro-Asyl-Sprecher begrüßt den Vorschlag der Süßmuth-Kommission, dass Ärzte und Schulleiter, die sich um Illegale kümmern, nicht mehr juristisch belangt werden sollen.

Die Statistik in Hessen sagt nur, dass von den rund 698 500 Schülern in dem Bundesland etwa 15 Prozent Ausländer sind. Ob sie legal oder illegal hier leben, ist nicht verzeichnet. Michael Bußer, Sprecher des Hessischen Innenministeriums, kann nur vermuten, dass die meisten illegalen Kinder wohl im Großraum Frankfurt untergetaucht sind. Schätzungen sprechen von bis zu 20.000 Betroffenen. Für die Schulbehörden fällt das Thema in eine Grauzone. «Wir dürfen es ja nicht wissen», sagt Rolf Hahn, Pressesprecher des Staatlichen Schulamtes in Frankfurt. Das bestätigt auch sein Kollege Ralf Hörnig vom Kultusministeriums in Wiesbaden: «Uns liegen dazu keine Erkenntnisse vor.» Das Ministerium fahnde allerdings auch nicht nach Schulleitern, die den Kindern ohne Aufenthaltsrecht den Unterrichtsbesuch ermöglichen, fügt er hinzu.

Gegen diese Behördenignoranz kämpft Judith Rosner, Sozialberaterin bei der Arbeitsgemeinschaft gegen internationale und rassistische Ausbeutung (Agisra) in Frankfurt: «Wir haben viele, die sich sehr zäh darum bemühen, ihren Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen, aber wir kriegen sie nur in Einzelfällen unter.» Vor allem auf dem Land reagierten die Schulleiter meist abweisend. In Großstädten wie Frankfurt gebe es schon eher die Möglichkeit, den Kindern den Weg in den Unterricht zu ebnen. Nicht zuletzt deshalb suchten sich viele in der Stadt einen Unterschlupf.
Mit Schule allein ist es allerdings nicht getan. Die Kinder bräuchten oft eine besondere Förderung. Doch dafür stehen keine Mittel zur Verfügung. In einem Fall hat Rosner drei Jahre um die Einschulung eines geistig behinderten Kindes einer Kolumbianerin gekämpft: «Wir haben alle Schulen abgeklappert. Aber keine wollte ihn aufnehmen.»

Harald Löhlein, Referent für Flüchtlinge beim Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Frankfurt, sieht die Lage nicht ganz so düster. «Dass Schulen Kinder Illegaler aufnehmen, ist so sicher wie das Amen in der Kirche». In einem Fall hätten sich sogar Eltern anderer Kinder an einem Fonds beteiligt, um einem «heimlichen Kind» den Unterricht zu ermöglichen. Die Namen der Schulen will Löhlein allerdings nicht nennen: «Das geschieht ja alles unter der Hand.»