(13.11.2004 15:19)
Die Zahl der Gewalttaten an Berliner Schulen ist erneut drastisch gestiegen. Im Schuljahr 2003/04 meldeten die Schulen 560 gewaltbelastete Vorfälle. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einer Zunahme von 32,7 Prozent, sagte Bildungsstaatssekretär Thomas Härtel (SPD).
Zugenommen haben vor allem Fälle von einfacher und gefährlicher Körperverletzung. Wurden im Schuljahr 2002/03 insgesamt 231 Fälle gemeldet, waren es 2003/04 365 Fälle. Als besorgniserregend bezeichnete Härtel außerdem die Zunahme schwerer Angriffe gegen Lehrerinnen und Lehrer. Kam es im Schuljahr 2002/03 bei rund 20 Prozent der gemeldeten Angriffe auf Pädagogen zu Körperverletzungen, so wurden im Schuljahr 2003/04 bei der Hälfte der Übergriffe Lehrerinnen und Lehrer verletzt.
Vorfälle, die jetzt veröffentlicht wurden, sprechen diesbezüglich eine deutliche Sprache. So bedrohte in einer Grundschule in Mitte ein Schüler sein Opfer vor einer Toilette mit den Worten: „Ich will dich töten, ich habe ein Messer dabei.“ Um einen Euro zu erpressen, quälen, schlagen und bespucken zwei Jungen an einer Hauptschule in Neukölln einen Mitschüler; sie treten ihn und verbrennen ihn mit Zigaretten. In einer Grundschule in Neukölln droht ein Schüler einer Lehrerin, die ihn ermahnt hatte, sie umzubringen.
Der Staatssekretär sagte, er gehe davon aus, daß der deutliche Anstieg der gemeldeten Gewalttaten vor allem auf eine zunehmende Erhellung der Dunkelziffer zurückzuführen sei. „Schulen nehmen ihre Pflicht, jeden Vorfall zu melden, inzwischen deutlich stärker wahr“, sagte Härtel. Das führe dazu, daß sie zunehmend Taten öffentlich machten, die früher nicht der Rede wert waren. Laut diesjährigem Bericht „Gewaltvorfälle an Berliner Schulen“ von Bildungs- und Innensenatsverwaltung gab es an den Schulen außerdem 96 gemeldete Fälle von Bedrohung, elf gemeldete Sachbeschädigungen und 24 Raubtaten. Von 26 auf 39 gestiegen ist auch die Zahl rechtsextremistisch, fremdenfeindlich, antisemitisch oder islamistisch motivierter Vorfälle.
Staatssekretär Härtel warnte angesichts der Statistik davor, Schulen als „Horte der Gewalt“ zu bezeichnen. Die Zahl der gemeldeten Fälle entspreche bei rund 1000 Berliner Schulen mit 460 000 Schülern pro Jahr einem Vorfall in jeder zweiten Schule. Trotzdem müsse jeder Fall ernstgenommen werden, fügte er hinzu. So sei die Zunahme schwerer Angriffe auf Lehrer äußerst beunruhigend. Deutlich angestiegen sei auch die Zahl der Fälle von Gruppengewalt. Im Schuljahr 2003/04 wurden 132 Fälle registriert, im Vorjahr waren es 77 Fälle.
Regina Köhler, in: WELT vom 13. November 2004