Lärm im Klassenraum

WDR-Radio (13.05.2007)

Lärmmessungen in Schulen haben gezeigt, dass es in durchschnittlichen Klassenräumen oft so laut zugeht wie auf einer Autobahn. Kein Wunder, dass der erhöhte Pegel Lehrer und Schüler stresst und die Aufmerksamkeit erschwert. Erst wenige Schulen ergreifen wirkungsvolle Gegenmaßnahmen. Und auch an unserer Schule ist die Akustik an manchen Tagen in einigen Räumen unerträglich.

Bettina Sievert im Anfangsunterricht: „Fahr-rad. Fe-der,“ Bettina Sievert betont langsam und deutlich jede Silbe. „Die Silbensegmentierung im Anfangsunterricht ist ganz wesentlich zur Vorbereitung für die Rechtschreibung“, sagt die Grundschullehrerin, „und da ist eine gute Akustik sehr entscheidend. Die Kinder müssen jeden einzelnen Laut verstehen können.“ Ob Rechtschreibübungen, fremdsprachige Vokabeln oder Handlungsanweisungen – der überwiegende Teil des Schulunterrichts läuft mündlich ab. Damit die Kommunikation gelingt, muss das Gesagte überall im Raum deutlich zu verstehen sein. Leider wird die Sprachverständlichkeit in der Praxis jedoch oft genug durch Lärm und Halligkeit stark beeinträchtigt. Die Schüler müssten deshalb störende Nebengeräusche ausblenden und fehlende Informationen ergänzen können. Dazu sind Grundschüler aber entwicklungsgemäß nicht in der Lage. Besonders benachteiligt sind Lernende mit Hörbeeinträchtigungen oder Aufmerksamkeitsstörungen.

 

Seit Beginn der 1990er Jahre haben mehrere Studien zur Lärmsituation in Klassenräumen Lärmpegel zwischen 60 – 85 dB(A) nachgewiesen. Damit wird der festgelegte Grenzwert für Arbeitsplätze mit geistigen Tätigkeiten in Höhe von 55 dB(A) deutlich überschritten. Das liegt zum einen am Lärmverhalten der Schüler, zum anderen an der in vielen Schulen herrschenden ungünstigen Akustik. Glatte Wände, große Fensterflächen und harte Ausstattungsmaterialien bewirken zu lange Nachhallzeiten. Idealerweise liegen diese bei einem Wert unter 0,55 Sekunden, in der Praxis liegen sie meist deutlich darüber. Das bedeutet, ausgesendete Sprachsignale werden zu lange reflektiert. So überlagern sich gesprochene Silben mit den vorangehenden, die Sprachverständlichkeit leidet. Aber auch die Schallenergie wird nicht schnell genug abgebaut, so dass Schallpegel unnötig hoch sind. Ganz normale Hintergrundgeräusche wie Räuspern, Husten, Stühlerücken oder Blättern werden dadurch vergrößert. Vor allem in Fluren und Turnhallen mit ihren oftmals schlechten physikalischen Eigenschaften geht es, wie Stichprobenmessungen ergeben haben, oft so laut zu wie auf einer Autobahn.

 
Stressfaktor Lärm  

Auch moderne Unterrichtsformen wie Projekt- und Kleingruppenarbeit mit mehreren gleichzeitig sprechenden Personen bringen erhöhte Lärmpegel mit sich. Hier setzt sich schnell ein Teufelskreis in Gang, wenn eine Stimme die andere zu übertönen versucht. Lärm gehört bei Lehrern und Schülern bekanntlich zu den größten Stressfaktoren. Die meisten Tinnitus-Patienten kommen aus der Berufsgruppe der Lehrer. Aber auch die Lernenden sind unter Lärm nachweislich in ihrer Leistungsfähigkeit deutlich beeinträchtigt. Das erfuhren auch die Schüler der Klasse 9 an der Düsseldorfer Hulda-Pankok- Gesamtschule, als sie sich im Selbstversuch einem Konzentrationstest in stiller und in lauter Umgebung unterzogen. Dass sie bereits zuvor bei ihren Lärmpegelmessungen in verschiedenen Schulbereichen zu hohe Werte gemessen hatten, schien ihnen zwar bedenklich, aber irgendwie hinnehmbar. Als sie dann aber ihre eigene Leistungsfähigkeit unter Lärmeinwirkung deutlich beeinträchtigt sahen, erkannten sie dringenden Handlungsbedarf.

 
Forschungsprojekte bestätigen Handlungsbedarf  

Der Dringlichkeit des Themas widmen sich auch die Aktivitäten des Kooperationskreises „Lärmprävention in Bildungseinrichtungen“, zu dem sich verschiedene Institutionen in NRW zusammengeschlossen haben. Unter anderem können Schulklassen und andere Interessierte in der Deutschen Arbeitsschutzausstellung (DASA) in Dortmund zwei baugleiche Unterrichtsräume besuchen, in denen die Kinder unterschiedliche Akustiken erfahren können: Einer der beiden Räume besitzt eine schallabsorbierende Decke und Pinnwand. „Da braucht man nicht einmal laut zu klatschen, der Unterschied ist bereits bei normal leisen Sprachäußerungen für die Kinder deutlich hörbar,“ erklärt Dr. Peter Becker, wissenschaftlicher Oberrat in der Gruppe Lärm der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und Mitglied des Kooperationskreises. Derartige bautechnische Interventionen können den Grundgeräuschpegel schon fast halbieren. Allerdings nicht nur aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften: Die Kinder verhalten sich erfahrungsgemäß in einer ruhigeren Umgebung auch selber leiser, was sich wiederum positiv auf die Lerneffizienz auswirkt.

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