OECD warnt: In Deutschland fehlen Studienanfänger und -absolventen

(16.06.2001 14:58)

Berlin/Paris (dpa) – Deutschland verfügt im Vergleich zu anderenIndustrienationen über einen hohen Bildungsstand in der Bevölkerung, hat aber viel zu wenig Studienanfänger und Hochschulabsolventen. Diese alarmierende Situation hat der am Mittwoch in Paris und in Berlin veröffentlichte Bildungsbericht 2001 der Industrieländer- Organisation OECD bestätigt. So nehmen in Deutschland nur 28 Prozent der jungen Erwachsenen ein Studium auf, im Durchschnitt aller OECD- Staaten sind es 45 Prozent.
Vor allem an mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern und an Ingenieurwissenschaften gibt es in Deutschland zu wenig Interesse. Vergleichbare oder noch niedrigere Studienanfängerquoten finden sich dem Bericht zu Folge lediglich in Belgien, der Tschechischen Republik, Mexiko und der Schweiz. In allen anderen Ländern studierten teilweise beträchtlich mehr junge Leute – bis zu zwei Drittel der gleichaltrigen Bevölkerung.
In Island, den Niederlanden, Norwegen und Ungarn nehme über die Hälfte der Jugendlichen ein Studium auf.
Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn und – als Vertreter der Kultusministerkonferenz (KMK) – Der Berliner Schulsenator Klaus Böger (beide SPD) beklagten die mangelnde Zahl an Studienanfängern und – absolventen in Deutschland. Da hervorragend ausgebildete Menschen entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft und die Sicherung des Wohlstandes seien, müssten die Anstrengungen im Bildungsbereich weiter
verstärkt werden. Die Vorsitzende des Bundestags-Bildungsausschusses, Ulrike Flach (FDP), meinte, weder Bulmahns geplante Reform des Hochschuldienstrecht noch die «mäßige Erhöhung» der Bafög-Sätze werde die Neigung zum Studieren in Deutschland erhöhen.
Bulmahn betonte, die OECD-Zahlen bezögen sich vor allem auf die Jahre 1998/99. Deshalb hätten sich die Anstrengungen der letzten beiden Jahre, die Bildungsinvestitionen erheblich zu steigern, in dem Bericht noch nicht niederschlagen können. Verstärkte Bildungsausgaben der rot-grünen
Koalition, die auf den Weg gebrachte Dienstrechtsreform für die Hochschulen und die Verbesserung der Ausbildungsförderung (Bafög) stärkten die Attraktivität der Hochschulen und bewegten mehr junge Leute zu einem Studium. Niemand müsse mehr aus finanziellen Gründen auf ein Studium verzichten.
Beim Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt liegt Deutschland mit 5,5 Prozent leicht unter dem OECD-Durchschnitt (5,7 Prozent). Auf den absehbaren Fachkräftemangel in Deutschland vor allem in akademischen Berufen hatte dieser Tage auch eine Prognose der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK) aufmerksam gemacht. Ohne massive Änderungen in deutschen Schulen und Hochschulen würden bald noch mehr Naturwissenschaftler, Ingenieure, Informatiker und Lehrer fehlen, warnte die BLK. Dies drohe zu einer «gefährlichen Wachstumsbremse» für die deutsche Wirtschaft zu werden.
Der OECD-Bericht stellt dem Bildungsstand in Deutschland generell ein gutes Zeugnis aus: Hier hätten 81 Prozent der Bevölkerung mindestens einen Abschluss des so genannten Sekundarbereichs II – Abitur oder eine abgeschlossene berufliche Ausbildung mit Lehre und Berufsschule beziehungsweise an Berufsfachschulen (OECD-Durchschnitt: rund 60 Prozent). Lediglich die USA (87 Prozent), die Tschechische Republik (86 Prozent) und Norwegen (85 Prozent) wiesen höhere Werte auf.
Die Einkommenssituation von deutschen Lehrern ist nach dem Bericht im internationalen Vergleich sehr gut. Lediglich Lehrkräfte in der Schweiz
verdienten noch besser als ihre Kollegen in Deutschland. Allerdings seien die Lehrer in Deutschland wesentlich älter als im OECD-Durchschnitt: Mehr als ein Drittel sei älter als 50 Jahre.