Pädagoge: Medienfreier Kindergarten antiquiert – Ran an Videospiele?

(22.12.2000 14:24)

Der «schwarze Mann» aus dem alt bekannten Kinderspiel bekommt im Medien-Zeitalter einen neuen Namen. «Pokemon»-Monster nehmen seine Rolle ein. Auf diese Weise werden in den Kindergärten alte Spiele mit Hilfe von Helden aus Fernseh-Serien «erneuert», wie eine Fuldaer Kindergarten-Leiterin erzählt. Fulda/Frankfurt (dpa) – Der «schwarze Mann» aus dem alt bekannten Kinderspiel bekommt im Medien-Zeitalter einen neuen Namen. «Pokemon»-Monster nehmen seine Rolle ein. Auf diese Weise werden in den Kindergärten alte Spiele mit Hilfe von Helden aus Fernseh-Serien «erneuert», wie eine Fuldaer Kindergarten-Leiterin erzählt. Andere Erzieherinnen wollen Computer, Videospiele und TV-Figuren am liebsten ganz von den Drei- bis Sechsjährigen fern halten. Medienfreie Kindergärten seien antiquiert und klammerten den Lebensalltag der Kinder aus, sagt hingegen der Geschäftsführer des Frankfurter Instituts für Medienpädagogik und Kommunikation, Detlef Ruffert.
Viele Kindergärten wollten die Kinder vor der «bösen Medienwelt» bewahren, sagt Ruffert. Dagegen muss seiner Ansicht nach heute auch der Computer zur Ausstattung gehören, um den Kindern frühzeitig einen sinnvollen Umgang mit dem Medium beizubringen. Der Diplom-Pädagoge kritisiert, dass viele Erzieherinnen die Lieblingssendungen der Kleinen gar nicht kennen. Bei einer Fachtagung in Marburg habe sich herausgestellt, dass «nur 20 Prozent mal so was gesehen hatten». «Wie sollen sie sich mit den Kindern beschäftigen, wenn sie deren Lebenswirklichkeit gar nicht kennen?»
«Pokemon wird sogar verboten», berichtet Waltraud Kirchmeier, Geschäftsführerin des Verbandes Evangelischer Kinder-Tageseinrichtungen in der Landeskirche Kurhessen-Waldeck. Dennoch schließt sie nicht aus, dass bald auch die ganz Kleinen vorm Computer sitzen. Der Verband bietet dazu im kommenden Jahr eine Fortbildung an. Allerdings sei das bei einigen Erzieherinnen «verpönt», sagt Kirchmeier.
Die Geschäftsführerin betrachtet elektronische Lernspiele als eine Chance gerade für jene Kinder, die zu Hause keinen Kontakt damit haben. Verbote brächten gar nichts. «Dann machen sie es heimlich, und das Interesse wird noch größer.» Aber auch klassische Kinderspiele werden in den Kindergärten nach wie vor hoch gehalten: Hüpf-Gummi, Seilspringen, Fußball oder auch «Mensch ärgere dich nicht» seien immer noch beliebt, erzählt die Leiterin des Kinderhauses in Großauheim, Renate Krüger. Gerade weil viele Kinder heute motorische Probleme hätten, setzt sie auf Bewegungsspiele.
Lauf- und Fangspiele, die schon anno dazumal auf den Straßen gespielt wurden, hätten ihre Faszination für Kinder behalten, weiß Gertrud Muth, Leiterin des katholischen Kindergartens Maria-Ward- Schwestern in Fulda. Dort werden die Kinder aber vielleicht auch bald am Computer sitzen können. Für eine Neuanschaffung fehle zwar das Geld, aber eine Familie wolle ihr altes Gerät abgeben, sagt Muth. In ihrem Kindergarten sind ausgemistete Computer-Tastaturen, Schreibmaschinen und Fernbedienungen bereits ein beliebtes Spielzeug.
In vielen Kindergärten und -tagesstätten rückt der Einzug des PCs als Lern- und Spielgerät näher. Es «dämmere» ihnen, dass sie sich mit den Medien auseinander setzen müssten, meint Ruffert, der Kindergärten praktische Tipps zum Medien-Umgang gibt. Dabei greift er auch aktuelle Fernsehsendungen wie die «Pokemons» auf. Den Geschmack der Kinder haben die kleinen TV-Monster jedenfalls getroffen – sie haben im Weihnachtsgeschäft noch einmal die Kasse klingeln lassen.