(28.05.2006 13:38)
Ein bundesweit einzigartiges Konzept gegen den kurzfristigen Stundenausfall an hessischen Schulen hat Kultusministerin Karin Wolff vorgestellt. „Die Eltern müssen darauf vertrauen können, dass ihr Kind in der Schule von der ersten bis zur sechsten Stunde durchgehend unterrichtet oder betreut wird“, umriss die Ministerin das Ziel ihres umfangreichen Vorhabens.
Schulpolitik könnte so einfach sein, wenn…
Ab dem Schuljahr 2006/07 solle es deshalb für alle Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 1 bis 10 feste Schulzeiten geben. „Für die Eltern ist die vollständige Abdeckung der Stundentafel heute Standard. Die Probleme entstehen dann, wenn ihr Kind wegen der Erkrankung eines Lehrers plötzlich mitten am Vormittag wieder vor der Haustür steht“, erläuterte Wolff.
Die Landesregierung habe seit 1999 mit erheblicher Kraftanstrengung die Unterrichtsgarantie erreicht. „Damit gewährleisten wir, dass im Stundenplan der Schülerinnen und Schüler der Unterricht steht, der ihnen nach der Stundentafel zusteht“, erklärte Wolff. Dazu habe Hessen über 3.500 Stellen für Lehrer und 1.600 Stellen für Referendare neu geschaffen. Damit Schulen flexibel auf kurzfristigen Stundenausfall reagieren könnten, habe Hessen trotz der immer angespannteren wirtschaftlichen Lage die Mittel für Vertretungsunterricht kontinuierlich auf aktuell 26 Mio. Euro aufgestockt. „Dennoch gelingt es derzeit noch nicht, Unterrichtsausfall bedingt durch Krankheit oder andere Gründe vollständig zu verhindern. Hier müssen und wollen wir noch besser werden“, fasste Wolff zusammen. (…) Quelle: TeachersNews
Gegen die Umsetzung regt sich aus Kreisen der Lehrer- und Elternschaft Widerstand, der zum Teil in massive Aktionen mündete. Einen Höhepunkt in Nordhessen bildet ein Sternmarsch zum Kasseler Rathaus am 1. Juni 2006 um 14 Uhr. Unter dem Aufruf „Es reicht! Für eine ausreichende Lehrerversorgung, für Qualität, Professionalität und Gebührenfreiheit“ ruft der GEW-Bezirksverband Nordhessen unter Beteiligung von DGB, IGM, Ver.di, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, Kasseler Linke.ASG, AStA Kassel, Stadt- und Kreiselternbeirat, Elternbund, Ausländerbeirat, Stadt- und Kreisschülerrat sowie die Landesschülervertretung zu einer Demonstration auf.
Die Gründe für den Widerstand gegen die Hessische Bildungspolitik sind vielschichtig, die Gegenargumente speziell im Fall der „Unterrichtsgarantie Plus“ sollen am Beispiel des Personalrates des Grimmelshausen Gymnasiums Gelnhausen, einer renommierten südhessischen Schule, verdeutlicht werden.
Die Personalversammlung des Grimmelshausen Gymnasiums Gelnhausen weist in der vorliegenden Resolution das vom Kultusministerium vorgelegte Konzept „Unterrichtsgarantie plus“ zurück.
„Die hessische Landesregierung kündigt zur Zeit in der Öffentlichkeit an, ab Sommer 2006 genügend Mittel zur Verfügung zu stellen, um für die Klassen 1 bis 10 von der 1. bis zur 6. Stunde eine verlässliche Unterrichts- garantie sicher zu stellen. Bei den Eltern wird der Eindruck erweckt, dass ab dem 3. Fehltag einer Lehrkraft der Vertretungsunterricht sogar ein qualifizierter Fachunterricht sein wird.
Die Schulen sollen für den Vertretungsunterricht Personen aller Fachrichtungen mit möglichst pädagogischer Ausbildung finden, die morgens um 7 Uhr darauf warten, von der Schule angerufen zu werden, ob sie gebraucht werden oder nicht, dann aber nur für die gehaltenen Stunden bezahlt werden. Dass sich für eine derartige Zeit raubende und wenig lukrative Tätigkeit kaum Interessenten finden werden, liegt auf der Hand. Aber von Seiten des Kultusministeriums wird den Schulen der schwarze Peter zugeschoben, wenn sie dieses Vorhaben nicht realisieren können. Dann wird ihnen Unfähigkeit vorgeworfen werden, die angebotene Eigenverantwortlichkeit auszunutzen.
Wir behaupten, dass mit den zur Verfügung gestellten Mitteln höchstens eine verlässliche Betreuung (die wir aus Sicht berufstätiger Eltern für wünschenswert halten) mit einer irgendwie gearteten Beschäftigung möglich ist. Diese kann jedoch den Unterricht einer ausgebildeten Fachlehrerin nicht ersetzen, in dem Fachprobleme kompetent diskutiert werden und methodisch und didaktisch reflektiert und somit Interaktion und Kommunikation zwischen Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Lehrern stattfinden.
Auf die Mitglieder der Schulleitungen, die den Vertretungsunterricht organisieren, würde durch die neu geplante Vertretungsregelung eine erhebliche Mehrbelastung zukommen, die sie neben ihrer Unterrichts- verpflichtung und der jetzt schon zu großen Verwaltungstätigkeit zu tragen hätten.
Innerhalb der letzten 10 Jahre wurde die Lehrerarbeitszeit für Gymnasiallehrer bereits sukzessive um (je nach Altersstufe) bis zu vier Stunden erhöht. Abgesehen davon, dass wir die Rücknahme dieser Arbeitszeiterhöhungen fordern, lehnen wir weitere zusätzliche durch die Unterrichtsgarantie Plus vorauszusehende Belastungen strikt ab. Das Hessische Beamtengesetz sieht unbezahlte Mehrarbeit nur vor, ‚wenn zwingende dienstliche Verhältnisse es erfordern‘. Damit ist der Ausnahmefall, nicht die Regel gemeint. Eine regelmäßige, im Stundenplan quasi schon vorgesehene Mehrarbeit ist von dieser Formulierung in keiner Weise gedeckt.
Selbst wenn es den Schulen und dem Schulamt gelänge, eine ausreichende Anzahl von Menschen zu finden, die bereit wären, immer nur kurzfristig Vertretungsunterricht zu übernehmen, bedeutet das für die Schüler und Schülerinnen einen ständigen Lehrerwechsel, also Flickwerk. Wir fordern Klassengrößen von nicht mehr als 25 Schülerinnen und Schülern und auf dieser Basis zunächst eine 100%ige Unterrichtsabdeckung (statt wie seit Jahren Usus eine gleichmäßige Unterversorgung der Schulen) und auf dieser Basis eine zusätzliche Vertretungsreserve von mindestens 10%. Die entsprechenden Lehrerinnen und Lehrer können, falls kein aktueller Vertretungsbedarf besteht, Förderunterricht für besonders begabte oder schwache Schüler anbieten.
Alles in allem sehen wir durch das Konzept ‚Unterrichtsgarantie Plus‘ enorme zusätzliche Arbeitsbelastungen auf die Kollegien zukommen (z.B. für die Beratung der Aushilfskräfte, Zusammenstellung von Unterrichtsmaterial, zusätzliche Vertretungsstunden usw.). Das Konzept suggeriert, es gebe noch Kapazitätsreserven bei den Beschäftigten an den Schulen, die es nur auszunutzen gelte. Dem halten wir in aller Entschiedenheit entgegen, dass die Grenzen der Zumutbarkeit durch die bereits erfolgten Maßnahmen zur Arbeitszeitverlängerung und Arbeitsverdichtung schon längst überschritten sind, und kündigen unseren entschlossenen Widerstand gegen das vorgelegte Konzept an.“
Der Personalrat des Grimmelshausen Gymnasium Gelnhausen