Rasche Hilfe bei Beschwerden

(11.11.2005 00:33)

Das von 1957 bis 1961 von der Stolberger Pharmafirma Grünenthal vertriebene Beruhigungsmedikament Contergan führt, innerhalb der ersten drei Monate der Schwangerschaft eingenommen, zu schweren Missbildungen oder sogar Fehlen von Gliedmaßen und Organen der Kinder. Da Contergan unter anderem auch gegen die typische, morgendliche Übelkeit in der frühen Schwangerschafts- phase hilft, wurde es gezielt als das Beruhigungs- und Schlafmittel für Schwangere empfohlen.

Obwohl der Stolberger Herstellerfirma 1961 bereits 1.600 Warnungen über beobachtete Missbildungen an Neugeborenen vorlagen, wurde Contergan nach wie vor vertrieben. Zu jenem Zeitpunkt hatte es 46% des barbituratfreien Schlafmittelmarktes erobert. In der Zeit nach 1961, nachdem Contergan vom Markt zurückgezogen wurde, wurde es weiterhin an verschiedenen Tierarten getestet. Die Resultate waren größtenteils negativ oder zeigten keine vergleichbaren Missbildungen am Nachwuchs. Im Nachhinein zeigt sich hier die noch immer aktuelle Problematik der Übertragbarkeit von Tierversuchen auf den Menschen und gleichzeitig die Ursache des größten Medizin-Skandals der deutschen Nachkriegsgeschichte – vor genau 35 Jahren.

Bild statt Spiegelbild löste die Katastrophe aus

Ca. 5.000 contergangeschädigte Kinder wurden laut Bundesverband Contergan in den darauffolgenden Jahren geboren. Andere Quellen sprechen von 10.000 Fällen weltweit, von denen 4.000 auf Deutschland entfielen, von denen die Hälfte bereits gestorben ist. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von während der Schwangerschaft gestorbenen Kindern.

Die Folgen des Wirkstoffs Thalidomid wurden unabhängig voneinander in Deutschland, Großbritannien und Australien entdeckt. Der deutsche Humangenetiker Widukind Lenz machte seine Erkenntnisse auf einem Kongress publik und löste dadurch den Skandal aus. Die Firma Grünenthal reagierte zunächst nicht auf die Warnungen.

Unschuldig lebenslang geschädigt

Der Bundesverband Contergan gibt weiterhin an, dass Grünenthal die rechtliche Verantwortung erst nach insgesamt zehn Jahre dauernden Prozessen im Dezember 1970 übernahm. Die Verantwortlichen von Grünenthal gingen straffrei aus. So ist es kein Wunder, dass am 18. Dezember 1970, also vor 35 Jahren, wegen der angeblich geringfügigen Schuld der Angeklagten und einem angeblich mangelnden öffentlichen Interesse das Strafverfahren gegen die Grünenthalverantwortlichen eingestellt wurde.

Kurz vorher am 10. April 1970 schloßen die Eltern der Geschädigten mit der Firma Chemie Grünenthal einen Vergleich. Sie verzichteten darin auf Schadensersatzansprüche in Milliardenhöhe gegen einen Entschädigungsbetrag von 100 Millionen DM plus Zinsen.
Der größte medizinische Skandal in der deutschen Nachkriegszeit wurde von massiven politischen Auseinandersetzungen begleitet und gilt als Lehrbeispiel.

Die ehemalige Verursacherfirma

Heute wird mit dem Inhaltsstoff Thalidomid auch in Deutschland wieder ganz offiziell experimentiert – als möglichem Heilmittel gegen Knochenkrebs und Lepra. Nur Schwangeren darf es nicht verabreicht werden. Tragisch? Skandalös? Unfassbar? Nein. Nur realistisch.

nach: Wikipedia, Stichwort Contergan