(24.11.2000 20:12)
Leipzig (gms) – Wenn andere Jugendliche sich im Kino treffen, muss Corinna oft absagen. Und will die Freundin sie zu einer Shoppingtour überreden, dann wandert der Blick der 19-Jährigen sorgenvoll zum Portemonnaie. Nur mit «dem Bafög» kommt die Amerikanistik-Studentin nicht über die Runden. Doch von den Eltern kann Corinna keine finanzielle Unterstützung erwarten: Die Mutter ist seit drei Jahren arbeitslos, der Vater hat erst vor kurzem einen neuen Job in den weit entfernten Niederlanden gefunden.
Während sich die Clique abends amüsiert, sitzt Corinna also oft beim Babysitten. Schon als die Studentin noch zur Schule ging, musste sie sich jedes Wochenende ein paar Mark zu ihrem Taschengeld dazu verdienen. Trotz finanzieller Engpässe zog es Corinna aus der Plattenbauwohnung in Bitterfeld in eine eigene Wohnung nach Leipzig: «Zu Hause hätte ich es einfach nicht mehr ausgehalten. Da wäre mir die Decke auf den Kopf gefallen.» Ihre Mutter glaubt schon lange nicht mehr an einen neuen Job in Bitterfeld, und auch ihr Bruder ist zermürbt nach einjähriger Lehrstellensuche.
So wie Corinna geht es vielen Jugendlichen, deren Eltern plötzlich ohne Job dastehen. Zunächst wird das Geld knapp. Dann kommt es in der Familie zu Spannungen. «Jugendliche sind an Freiräume gewöhnt. Ist dann plötzlich ein Elternteil den ganzen Tag zu Hause, ist der Krach oft programmiert», sagt Margitta Krupp von der Erziehungsberatung des Jugendamtes Leipzig.
Die Psychologin weiß aus Erfahrung, dass das Zusammenrücken in vielen Familien auch in den Köpfen zu bedrohlicher Enge führen kann: «Die Eltern empfinden zunächst einen Frust mit sich selber. Sitzen sie dann den ganzen Tag zu Hause, ärgern sie sich plötzlich auch über Dinge, die ihnen vorher nie aufgefallen sind.» Oft fühlten sich die Jugendlichen dann sehr kontrolliert und gemaßregelt.
Für Corinna ist das fehlende Geld von Anfang an das größte Problem gewesen: «So richtig Zoff hat es aber zum Glück noch nicht gegeben. Meine Mutter weiß sich zu beschäftigen. Außerdem muss man als Familie doch zusammenhalten.» Kinder arbeitsloser Eltern sollten versuchen, ihrem Vater oder ihrer Mutter Mut zu machen, findet Corinna. «Wenn ich ihnen noch zusätzliche Schuldgefühle aufdrücke, würde das die Situation noch verschlimmern.» Die Studentin gibt deshalb anderen Jugendlichen in einer ähnlichen Lage den Tipp: «Versucht, auf eigenen Füßen zu stehen! Verdient dazu und hört auf, euch alles hinten reinschieben zu lassen.» Wenn Corinna nicht als Babysitterin arbeitet, verdient sie sich Geld als Kellnerin.
«Am wichtigsten aber ist, dabei auch die eigenen schulischen Leistungen im Auge zu behalten», betont Christian Lamß vom Leipziger Erwerbslosenzentrum des Arbeitslosenverbandes Deutschland. Es sei eine Doppelbelastung: Verständnis für die Eltern aufbringen und sich um die eigenen beruflichen Qualifikationen kümmern.
Kommt es zu einer Krise, können oft die Beratungszentren helfen. So warnt Jugendamts-Mitarbeiterin Margitta Krupp vor voreiligen Aktionen: «Ganz zu Beginn geben wir Eltern und Kindern den Rat, sich der Situation zu stellen und nicht etwa abzuhauen. Manchmal hilft es, wenn die Familienmitglieder aufschreiben, wo sie sich mehr Freiraum wünschen.»
Viele Jugendliche wollten sich aber nicht an eine Beratungsstelle wenden. «Wenn es zu Hause kracht, dann hilft es manchmal auch schon, wenn bei einem Freund der Frust abgelassen wird. Abnabeln heißt hier die Devise», so Krupp.
«Ich bin nicht zuletzt durch die Arbeitslosigkeit meiner Eltern zum Stehaufmännchen geworden», sagt Corinna. «Durch einen festen Willen und Unterstützung kann man fast alles schaffen.» Wenn die 19-Jährige trotzdem manchmal ein bisschen verzweifelt, leistet sie sich einen Lottoschein: «Ach, und wenn ich gewinne, dann kaufe ich mir ein schönes, neues Fahrrad oder entspanne mich mal so richtig auf einer Weltreise.»