Von unserem Schuldiakon Michael Kräbs (03.03.2006 18:43)
Wer in den letzten Wochen Zeitung gelesen oder Nachrichten gesehen hat, kam mit Sicherheit an drei Nachrichten nicht vorbei: den olympischen Spielen, dem Karikaturenstreit und der Vogelgrippe, aber zu der kommen wir später.
Die olympischen Spiele sind für mich, der auch Sportlehrer ist, ein tolles Ereignis! Und man kann es super in Verbindung zum Karikaturenstreit sehen: Die olympischen Spiele zeigen, dass sich Menschen und Nationen über Religionen und Kulturen hinweg verstehen und miteinander umgehen können unter einer gemeinsamen Flagge der Toleranz. Diese Flagge hat fünf Ringe und ist die olympische Fahne, die für die fünf Kontinente stehen. 5 Ringe, die ineinander und miteinander verbunden sind und ein gemeinsames Ideal von Freundschaft und Wettbewerb ausdrücken: Toleranz im olympischen Geist.
Habt ihr während der olympischen Spiele in Turin gesehen, dass die Menschen sich wegen ihrer unterschiedlichen Religionen die Köpfe einschlugen oder Terror machten? Hier möchte man schnell rufen „Kreuz weg!“, „Moscheen und Synagogen weg!“. Denn offensichtlich taugt der „olympische Geist“ mehr als jeder „Heilige Geist“ in den Religionen der Welt. Religiöse Fanatiker und Fundamentalisten gehen mit Gott und der Welt – und mit den Menschen auf dieser Welt – sehr viel brutaler um, als Sportler es tun und vorleben zum Beispiel während der olympischen Spiele, während der Karikaturenstreit tobt.
Der heutige Aschermittwoch kann uns vielleicht helfen, eine andere Bilanz zu ziehen: Wenn ihr heute Abend die Nachrichten seht und morgen in die Zeitungen schaut, werdet ihr sehen, dass heute alle Parteinen kritisch Bilanz ziehen und zur Umkehr aufrufen. Man wird den „Anderen“ sagen, dass sie auf einem falschen Weg sind. Meist zeigen die Politiker mit den Fingern auf die anderen Parteien und rufen die Anderen zur Umkehr auf… Immer die anderen sind es, die sich falsch verhalten…
Die Christen beginnen mit dem Aschermittwoch den kritischen Blick auf sich. Dies nennen sie Fastenzeit. Es ist der Versuch, eine neue Perspektive in Bezug auf sich und den eigenen Lebensweg einzunehmen. Nicht die „Anderen“ werden kritisiert, sondern mit den 40 Tagen Vorbereitungszeit auf Ostern beginnt ein konzentrierter Blick auf sich: Wo läuft der eigene Weg in die falsche Richtung? Was ist zu korrigieren? – Und dabei – so behaupte ich – hilft der „Kreuzweg“.
Wenn ihr nach rechts und nach links die Wände entlang der Kirche schaut, dann seht ihr Bilder, die an Karikaturen erinnern: Karikaturen sind überzeichnete Darstellungen und Betrachtungen. In den Bildern des Kreuzweges seht ihr die Person Jesus, die in 14 sehr unterschiedlichen Stationen den Weg bis zum Tod am Kreuz geht – überzeichnet, karikiert: 14 Bilder, 14 Stationen eines Weges, der mit dem Tod endet. Heute bekommt jeder, der sich vornimmt, kritisch mit sich Bilanz zu ziehen, ein Aschenkreuz auf die Stirn. „Bedenke Mensch, dass du aus Staub bist und zum Staube zurückkehren wirst“, werde ich nachher jedem ins Gesicht sagen und das Kreuz auf die Stirn malen. Das klingt hart und soll zur Umkehr aufrufen.
Denn auch wir werden den Lebensweg mit dem Tod abschließen, genau wie Jesus. Jesus war zuallererst Mensch, wie du und ich. Auch sein Lebensweg endet zuerst mit dem Tod am Kreuz. Der Aschermittwoch erinnert daran, dass wir alle unser Kreuz zu tragen haben! Wir alle haben unser Päckchen zu tragen. Ihr kennt das: Viele fühlen sich von uns immer wieder „aufs Kreuz gelegt“: von den Mitschülern, von den Lehrern, manchmal sogar von der eigenen Familie.
Wenn ihr auf die Bilder des Kreuzweges von Jesus schaut, dann seht ihr folgendes:
3 Mal stürzt Jesus unter der Last des Kreuzes. Aber immer wieder rafft er sich auf. Einmal kommt eine Frau auf ihn zu – Veronika – , die ihm den Schweiß abtupft und Mut macht. Dann geht es wieder besser. Und später, gegen Ende, kommt ein Mann hinzu – er heißt Simon von Zyrene – der hilft Jesus, das Kreuz zu tragen. Sterben aber muss Jesus ganz allein.
Ich habe Schülerinnen und Schüler aus meinem Religionsunterricht gebeten, einmal nachzudenken, wie der Lebensweg von Menschen aussieht, wenn man ihn in 14 Bildern beschreiben würde. Ich möchte euch einige Beispiele nennen, die tatsächlich so als Lebensweg auf uns warten könnten; besonders dann, wenn wir keine Umkehr, keine Korrektur unseres Lebens schaffen.
Wie schön wäre es, wenn folgendes Leben auf uns warten würde:
Geburt – erster Kuss – erste Worte – erste Schritte – Kindergarten – erstes Fahrrad – Schule – Studium – Lottogewinn – Heirat – viele Kinder – Weltreise – Enkelkinder – Tod.
Es klingt wie ein wunderschönes Leben, aber ich glaube kaum, dass auch nur einer in diesem Raum ein derartiges Leben erleben wird. Jeder Lebensweg, den ihr gleich hört, ist auf seine Art ein Kreuzweg
Tim nennt folgende Stationen und diesmal werdet ihr merken, dass mehrere Päckchen zu tragen sind:
Geburt – Kindergarten – Schule – Erste große Liebe – Ausbildung – Heirat – Hausbau – Arbeitslosigkeit – Kind – Scheidung – Schulden – Neue Liebe – Tod der Eltern – eigener Tod.
Bei Lena klingt es noch drastischer, fast wie eine Karikatur:
Geburt – Vater haut ab – Mutter lebt von Sozialhilfe – Schule – erster Kontakt mit Drogen – Kalter Entzug – Ausbildung – Arbeitslosigkeit – neuer Kontakt mit Drogen – Gefängnis – Aufnahme ins Methadonprogramm -erneuter Rückfall – Aids – Goldener Schuss
Welches wird euer Leben sein? Lottogewinn oder Arbeitslosigkeit? Glückliche Partnerschaft oder Verlust von Freunden? Friedliches Entschlummern oder schwere Krankheit?
Der Sänger Xavier Naidoo hat ein Lied in den Charts, das heißt „Dieser Weg“. Darin singt er:
„Dieser Weg wird kein leichter sein!
Dieser Weg wird steinig und schwer.
Nicht mit vielen wirst du dir einig sein,
doch dieses Leben bietet so viel mehr.
Manche treten dich,
manche lieben dich,
manche geben sich auf für dich.
(Setz dein Segel nicht, wenn der Wind das Meer aufbraust.)“
Was überzeichnet und wie eine Karikatur klingt, macht dennoch klar: Wir haben nur dieses eine Leben! Mach was draus! Und wenn nötig: Mach eine Richtungsänderung und kehr um! Noch ist Zeit!
Vielleicht erlebt ihr Ostern schon das, was Jesus erleben durfte und worauf Glaubende fest vertrauen: Ostern heißt Auferstehung! Neuanfang! Eine bessere Zeit haben! Vielleicht schafft ihr es bis Ostern, die wichtigen Richtungsänderungen vorzunehmen, die einen Neuanfang zum Besseren möglich machen: Vertragt euch mit eurem Freund, gesteht einem Menschen, dass ihr ihn gern habt, so wie er ist, macht (einfach) den ersten Schritt!
Dieser Weg lohnt sich. Und er ist wie eine Auferstehung: Ostern eben!
Xavier Naidoo: „Dieser Weg“
Predigt von M. Kräbs, katholischer Diakon und Religionslehrer am Goethe-Gymnasium, am Ascher-Mittwoch, den 1. März 2006.