Auf dem Weg zum Völkermord

Von unserem Mitarbeiter Christian Heine (10.11.2005 18:55)

Stellt dir vor, du bist ein Jugendlicher und sitzt auf einer Parkbank irgendwo in Deutschland. Plötzlich schreit dich ein Mann in Uniform an: „Jugendlichen ist das Sitzen auf Parkbänken verboten! Verschwinde!“ Völlig verwirrt erhebst du dich und wirst gestoßen und geschlagen. So etwas hältst du für unmöglich? Zu Recht.

Nach dem Judenpogrom sollte Deutschlands Jugend arisch (!) sein

Vor 70 Jahren jedoch erlebten viele Deutsche täglich ähnliche Szenen. Damals wurden Juden Tag für Tag durch die sogenannten „Nürnberger Rassengesetze“ schikaniert, gedemütigt, ausgegrenzt und verfolgt. Diese Gesetze wurden1935 in Hitlerdeutschland eingeführt, um die Bevölkerung gegen die Juden aufzuhetzen, sie tagtäglich zu diskriminieren und letztlich auch so den Holocaust vorzubereiten, indem man die Juden systematisch von der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ausschloss und ihren Umgang mit Nichtjuden zu verhindern suchte.

NS-Propaganda-Heftchen als Lektüre im Kindergarten

Die perverse NS-Vision vom „judenfreien Deutschland“ begann Schritt für Schritt in den Köpfen der Menschen zu wirken. „Juden ist das Betreten von Bürgersteigen verboten“ oder „Juden ist der Kauf von Zeitungen und Zeitschriften verboten!“ – das waren vermeintlich harmlose Vorschriften, die keine Proteste der Nichtjuden hervorriefen.
Am 15. September 1935 aber erließen die Nationalsozialisten die „Gesetze zum Schutz des deutschen Blutes“ und stellten damit Ehen zwischen sogenannten arischen Herrenmenschen und Juden als Rassenschande unter Strafe. Bereits geschlossene Ehen sollten annulliert oder geschieden werden. Zur Abschreckung band man jungen, sogenannten arischen Frauen, die eine Beziehung zu einem Juden hatten, Schilder mit gemeinen Aufschriften um den Hals. So las man dann: „Ich bin im Ort das größte Schwein und lass` mich nur mit Juden ein.“

Die übelsten Pamphlete wurden täglich von Julius Streicher herausgegeben

Doch nicht nur die Parteischergen der NSDAP und die NS-Justiz setzten die schrecklichen, menschenverachtenden Gesetze um, sondern viele Beamte, auch Lehrer, erwiesen sich als Träger des Systems. Vom Kindergarten bis zum Gymnasium waren Antisemitismus und Loyalität zum Führer Unterrichtsziele. Durch Bilderbücher, in denen Juden als bösartig und hinterhältig dargestellt worden sind, wurden Schüler gegen Kameraden aufgehetzt. Lehrer maßen den Kopfumfang, betrachteten die Form der Stirn und der Nase und leiteten daraus die Überlegenheit der arischen Rasse ab. Nach Erscheinen der Nürnberger Gesetze wurde jüdischen Schülern der Schulbesuch ganz verboten. Im Kasernenhofton gedrillt und vom Jungvolk und der Hitlerjugend indoktriniert wurden diese Kinder in sogenannten „Feldübungen“ gezielt auf jüdische Mitschüler und Nachbarkinder gehetzt. Freundschaften zerbrachen. Menschen verschwanden über Nacht.

Die Legende vom ewigen Juden

Wer traute sich dann nach dem Wohin zu fragen, wenn diese Kinder oder Nachbarn mit einem Koffer an den Sammelstellen standen. Nicht erst heute wissen wir es, damals wollten es viele nicht wissen oder wahr haben: Endstation Vernichtungslager!

Die Zeichnungen wurden in den 70-er Jahren wiederentdeckt und entstammen einer Broschüre, die als NS-Agitationsmaterialien z.B. in Kindergruppen Verwendung fand.

Bernd Ginzel u. a. (Hrsg.): Mit Hängemaul und Nasenzinken …
Erziehung zur Unmenschlichkeit. Medienpaket für Gruppenleiter und Lehrer. Der kleine Verlag, Düsseldorf 1984 (vergriffen). Thema ist das Nazi-Kinderbuch „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid!“. An diesem Beispiel wird deutlich, was Erziehung zur Unmenschlichkeit heißt. Das Material ist eigentlich unentbehrlich für den Unterrichtsalltag. Eine Neuauflage wäre wünschenswert.