Benimm dich!

Von unserem Redakteur Lazar Backovic (21.11.2003 00:12)

Am 19. November, Mittwochabend des Buß- und Bettages 2003, trafen sich Vertreter verschiedener Kasseler Schulen mit interessierten Eltern zu einer Diskussionsrunde in der Johanniskirche in Wolfsanger, um sich mit dem Thema Benimm-Unterricht und Erziehung in der Schule auseinander zu setzen. Eingeladen waren Herr Leibold, Schulseelsorger des Engelsburg-Gymnasiums, Herr Schrader, Rektor der Fuldatalschule, Herr Gryschzyk, Schulleiter der Carl-Schomburg-Schule, Frau Artelt, Pädagogische Leiterin der Schule Hegelsberg, Herr Prof. Dr. Heinemann, Religionspädagoge an der Uni Kassel und Ex-Goetheschüler sowie Herr Gries, Schulleiter des Goethe-Gymnasiums. Organisator der Veranstaltung und Diskussionsleiter war der Pfarrer der Johanniskirchengemeinde Wolfsanger, Herr Köhler.

Das Podium mit der engagierten Elternschaft

„Ist die Erziehung und damit auch das Benehmen eine Aufgabe der Schule?“ Diese Frage hatte sich jeder der Anwesenden bereits im Vorfeld gestellt. Erziehung sei zwar eine Angelegenheit von Eltern, aber die Klagen über unzureichende Verhaltensweisen von Jugendlichen in Schule und Öffentlichkei gehen so weit, dass von Erziehungsnotstand gesprochen werde, so Pastor Hermann Köhler als Moderator in seinem Eingangsreferat. Als Gegenmaßnahme weist er auf den Benimm-Unterricht des Bremer Schulsenators Lemke hin.

Pfarrer Hermann Köhler im Gespräch mit Rektor Klaus Schrader (v.l.)

Finden sich Überlegungen, Schülern das „richtige Benehmen“ beizubringen? „Nein, das gibt es in dieser Form bei uns nicht,“ antwortete unser Schulleiter. Herrn Gries ging es vielmehr um den Umgang miteinander. „Es gibt gewisse Regeln, an die man sich halten solle,“ meinte Herr Gries. Er möchte, dass Schüler ihre Kameraden mit Respekt behandeln und die Lehrer gegenüber ihren Schülern eine Vorbildrolle einnehmen. Lehrer sollten zudem, mahnte der Pädagoge, Respekt und Würde von Menschen immer wieder in den Mittelpunkt ihrer Erziehungsbemühungen stellen.

Frau Helga Artelt von der Hegelsbergschule, Herr Gries vom Goethe-Gymnasium, Herr Alfred Gryschzyk von der Schomburgschule und Herr Prof. Dr. Heinemann von der Uni Kassel (v.l.)

„Kinder und Jugendliche sind genauso wie wir sind,“ stellt Prof. Dr. Heinemann fest. Die Gesellschaft gebe das Verhalten vor. Ein dauerhaftes Gegenprogramm mache Modelle wie z.B. „Schulverträge“ aussichtslos, meinte Prof. Heinemann fasst resignierend. Demgegenüber verweist Herr Leibold, Schulseelsorger und Pädagoge am Engelburg-Gymnasium“ auf eine christliche Erziehung als Ziel. Mit dieser Erziehung und einem ganzen Bündel von Eltern-Schüler-Projekten möchte die Schule ihre Erziehungsziele erreichen. Über einen Benimm-Unterricht am Gymnasium habe aber auch dieEngelsburg-Schule nicht nachgedacht.

Herr Schrader von der Fuldatalschule, Herr Otmat Leibold von der Engelsburg und Herr Prof. Dr. Heinemann

Herr Gryschzyk von der benachbarten Schomburgschule wiegelt ab. Nach 35 Jahren Schuldienst sei Erziehung immer ein aktuelles Thema gewesen und „damit nichts Neues“. Den vielen Schulordnungen mit ihrer Funktion als Sittenwächter stelle seine Schule u.a. Schüler-Eltern-Verträge gegenüber. Konkreter stellte Frau Artelt, Pädagogische Leiterin iner weiteren Gesamt- und Ganztagsschule, der Hegelsberg-Schule ihren Weg zu verantwortlichem Handeln von Schülern und Lehrern vor. Von der Jg.-Stufe 7 bis 10 sei ein Sozialdienst für die Gemeinschaft eingerichtet. Kiosk, Hausaufgabenbetreuung, Schulwerkstatt, Spieltheke oder Schülerbüro sind verpflichtende Tätigkeiten für die Schüler. Wertschätzung ergebe sich aus der Tätigkeit, „das Tun wird geschätzt“ und führt zur Vorbildfunktion.

Viele Eltern, überraschend aber auch viele Lehrer

Herr Schrader, Rektor der Fuldatal-Grundschule, weist nicht ohne Stolz auf die guten PISA-Ergebnisse hin, um zu verdeutlichen, dass der Reformprozess an Grundschulen schon lange vor PISA begonnen habe. Tasächliche könne er sich erinnern, dass die Erziehungsfrage in den 70er Jahren um die Tugend, in den 80er um die Werte und Normen kreiste. Eine Umfrage im Rahmen des Schulprogramms habe zwar keine manifesten Bedrohungen von Schülern aufgezeigt, aber in Einzelfällen seelischen Verletzungen offenbart. Der eingeführte tägliche Morgenkreis bricht ein vorhandenes Konfliktpotenzial auf und führt zu erhöhter Gelassenheit.

Unser Schulleiter Waldemar Gries im Gespräch mit Herrn Alfred Gryschzyk von der Schomburgschule (li.) und Herrn Prof. Dr. Horst Heinemann (re.)

Gemeinschaft war eins der meistverwendeten Wörter dieses Abends. Die Eltern wollen die Gemeinschaft ihrer Kinder wachsen sehen. Die Pädagogen sehen dies als Entwicklungsschritt und als äußerst fördernd für eine funktionierende Gesellschaft, die sich ja wiederum an gewisse Regeln hält. Damit wäre das Ziel ja erreicht. Die anwesenden Eltern möchten aber nicht, dass diese Gemeinschaft gestört wird. Dies geschehe in manchen Fällen durch störende Schüler und durch Streitigkeiten untereinander, die nicht oder vielleicht falsch gelöst wurden. Und diese Faktoren sollten reduziert werden, am besten im Elternhaus oder durch Gespräche. „Störende Schüler können andere Schüler in ihrer schulischen Entwicklung behindern,“ tönten die Elternstimmen. Allerdings sollten an keiner Schule die „Störer“ durch demotivierende Kommentare ruhig gestellt werden, sondern durch sinnvolle Gesprächsangebote.

Herr Klaus Schrader von der Fuldatalschule mit Herrn Otmar Leibold von der Engelsburg (v.l.)

Generell sollten Probleme friedlich gelöst werden, durch verbale Auseinandersetzungen und nicht durch Prügeleien und Gewalt. Damit wäre schon ein großer Schritt in die richtige Richtung getan. Aber auch Lehrer sollten nicht über Schülerkleidungen herziehen, zumal einige Lehrer selbst ihr Äußeres verbessern könnten. Kinder und Jugendliche sollen motiviert werden am Unterricht teilzunehmen. Die Pädagogen meinten, dass sie eine Einschätzung der Leistung in Form einer Zensur gerne abschaffen würden. Denn, wenn man es sich recht überlegt, üben Noten und Klausuren doch einen unglaublichen Druck auf (uns) Schüler aus. Allerdings würde der Ehrgeiz vieler Schüler dadurch auf ein Minimum sinken. Die rege Teilnahme der Eltern – davon etliche aus dem Erziehungsbereich – zeigte, dass ein hohes Bedürfnis an pädagogischen Inhalten vorhanden war, so dass einer Wiederholung nichts im Wege stehen sollte.

Eine pädagogisch-gesellschaftliche Diskussion in der Johannis-Kirche-Wolfsanger am Buß- und Bettag wäre auch in Zukunft begrüßenswert