Der nationale Denkzettel war deutlich

Von unserem Redakteur Julian Lippert (25.06.2004 00:34)

Europa hat gewählt. 342 Millionen Europäer in 25 Ländern haben die 732 Abgeordneten des einzigen EU-Organs bestimmt, das direkt gewählt wird. Aber irgendwie scheint fast jeder, der von „Europa“ spricht, eher an Portugal und die Europameisterschaft zu denken. Aber ist diese Wahl wirklich nur ein demokratisches Feigenblatt“

Kursfahrt nach Straßburg zum Europa-Rat

Da können die sogenannten MdEP (Mitglieder des Europäischen Parlamentes) wieder zurückkehren nach Straßburg, dem Hauptsitz des Europäischen Parlamentes. Sie waren jetzt acht Wochen in ihrer Heimat, haben Wahlkampf gemacht und die gute, kollegiale Atmosphäre und den europäischen Geist im Parlament gelobt. Jetzt entfleuchen sie wieder in die langen Flure des Parlaments, sitzen in Ausschüssen hinter verschlossenen Türen oder tragen sich einfach in Anwesenheitslisten ein, ohne wirklich anwesend zu sein. Nebenbei bemerkt sind es die Italiener, die am häufigsten die Sitzungen schwänzen und dabei mit die höchsten Gehälter der Abgeordneten im Europäischen Parlament am Ende des Monats erhalten.

Gebäude des Europa-Rates

Soweit jedenfalls die Vorurteile. Aber ist an der Ferne der Wähler und „ihrer“ Abgeordneten nicht auch etwas Wahres dran“ Wer kennt schon Helmut Nassauer von der CDU, Barbara Weiler von der SPD oder Wolfgang Klinz von der FDP. Selbst bei Umfragen vor der Wahl wusste gerade mal knapp ein Drittel der Befragten, wie der Präsident des Parlamentes heißt. Pat Cox übrigens ist sein Name.

Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl in Deutschland lag im Durchschnitt bei knapp über 45%. Die CDU gewann fast 45% der Stimmen, die SPD fiel auf fast spektakuläre 22%, die Grünen lagen bei 11% und die FDP zieht mit 6% wieder in das Europaparlament ein. Aber warum haben mehr deutsche Wähler CDU gewählt als SPD“ Was hat die CDU in Europa besser gemacht als die SPD“ Der Verdacht drängt sich auf, dass da etwas gewählt wurde, was gar nichts mit Europa zu tun hat, sondern der Wähler – die nationale Politik vor Augen – der Regierung einen Denkzettel verpassen wollte. Somit ist scheinbar offensichtlich, dass der Wähler vielmehr an der Politik auf der nationalen als auf der europäischen Ebene interessiert ist.

Aber betrachtet man den Wahlkampf der etablierten Parteien, dann entspricht das Wahlergebnis weitgehend dem, was sie durch ihre Werbefeldzüge suggeriert haben: eine Abrechnung über die Politik auf nationaler Ebene. Zumindest bei der CDU ist diese Strategie aufgegangen. Aber wird da nicht Politik auf Kosten der zukünftigen Europäer, unseren jetzigen Jugendlichen gemacht, die für ihre eigenen Zukunft ein stabiles, gewachsenes Europa brauchen, das die Grundlage für ihre spätere Ausbildung, für ihre Berufstätigkeit, für ihren Urlaub, für eine wirtschaftliche Entwicklung und für eine weltweite Friedenssicherung bietet.

Vergessen wird auch, dass das EU-Parlament inzwischen einer der beiden wichtigsten Institutionen in Europa ist: Es entscheidet in vielen Fragen gleichberechtigt neben dem Ministerrat über Gesundheitsschutz, Kennzeichnungspflicht, Umweltpolitik und Wirtschaftsrecht. Ein großes Manko jedoch bleibt. Das europäische Parlament wählt keine Regierung. Während bei nationalen Wahlen für jeden Wähler die Alternative klar ist – links oder recht, konservativ oder grün, liberal oder sozial – ist dies in Europa noch nicht so. Es gibt Fraktionen im EP, die konservative als größte, dann die sozialdemokratische, die drittgrößte ist die liberale und schließlich die grüne Fraktion. Aber eine Wahlentscheidung für oder gegen eine Regierung gibt es eben nicht.

Wie viele Sternchen sind dazugekommen?

Die Wähler haben daher kaum das Gefühl, dass ihre einzelne Stimme über die Mehrheitsverhältnisse der Fraktionen im Europäischen Parlament entscheidet. Doch das ist ein eklatanter Trugschluss: die Fraktionen haben eine große Rolle, wenn das Parlament mit einfacher Mehrheit entscheidet, dann kommt es darauf an, ob eine Umweltschutzrichtlinie mit den Stimmen von Konservativen und Liberalen durchkommt, oder ob die Sozialdemokraten andere Mehrheiten organisieren können. Doch auch diese Wahrheit lässt sich in 8 Wochen Wahlkampf nicht ausreichend vermitteln.

Europa wurde in den 50er Jahren durch Regierungskonferenzen ins Leben gerufen. Dass es heute in fast allen Bereichen außerordentliche hohen Einfluss auf das tägliche Leben eines jeden EU-Bürgers hat, ist vielen noch nicht bekannt. Solange sich die europäischen Bürger darüber nicht im Klaren sind, wird die Europawahl auch weiterhin nichts weiter bleiben als ein Stimmungsbarometer für nationale Politik. Und diese marginale Rolle wird einer zukunftsweisenden Europapolitik nicht gerecht. Das Engagement des jugendlichen Teils der Bevölkerung könnte sicherlich einiges ändern, schließlich ist es ihr zukünftiger Lebensraum.