Deutschland hat gewählt – und nun?

Von unserem Redakteurt Sebastian Szczepaniak (25.09.2005 16:24)

Nun war es endlich so weit. Nach fünf Monaten Abwägen der Parteiprogramme, Bestimmung der persönlichen Sympathie und beinahe exzessiven Polittalk-Konsums traten wir gut vorbereitet den Urnengang an. Schließlich ist die Teilnahme an der Wahl ja eigentlich unsere Pflicht als Staatsbürger.

So sieht kein Sieger aus

Für die meisten Schüler, die die Oberstufe des Goethegymnasiums besuchen, war die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag am letzten Sonntag auch die erste. Dass die zwei Kreuze, die wir jeweils für den Direktkandidaten und die Partei unseres Vertrauens auf den Wahlzettel niederschrieben, solche Verwirrung stiften könnten, war fernab jeder Vorstellung.

Dementsprechend unvorbereitet stürzen sich die Parteien in den Nach-Wahlkampf: Die Union, die eigentlich als strahlender Sieger aus der vorgezogenen Bundestagswahl hervorgehen wollte, stellt mit sagenhaften 0,9 Prozentpunkten Vorsprung die größte Bundestagsfraktion und verfehlt das Ziel einer schwarz-gelben Mehrheit deutlich. Gerhard Schröder lässt sich vom Verlust der Wahl, die die Verhältnisse in Deutschland eigentlich klären sollte, nicht beeindrucken und ruft sich in der Berliner Runde am Wahlabend schon mal prophylaktisch zum alten und neuen Bundeskanzler aus. Die Grünen verlieren leicht und werden mehr oder weniger freiwillig zum Protagonisten abenteuerlicher Koalitionsvorschläge (Stichwort: Schwampel oder Jamaika). Als Gewinner stellen sich die FDP und die Linkspartei heraus, wobei eine Regierungsbeteiligung dieser Parteien nach Vorgesprächen schon jetzt unwahrscheinlich ist.

Die große Koalition mit Kiesinger und Brandt

Nach einer guten Woche stellt sich die geschmähte Große Koalition als einzige realistische Variante heraus. Damit bewahrheiten sich die Befürchtungen der beiden Volksparteien, ihre Macht miteinander teilen zu müssen. Hierzu wurden schon im Wahlkampf allerlei Ängste bei den Wählern geschürt. Von Stillstand war da die Rede, von zu großen Kompromissen, die Deutschland nicht voranbringen könnten.

Sind diese Aussagen berechtigte Sorgen oder Wahlkampfkalkül? Fakt ist, dass sich SPD und Union in ihrer Politik ähnlicher sind als sie es selber wahrhaben möchten. Die Agenda 2010 ist ein Geschöpf beider Parteien. Überdies sollte nicht vergessen werden, dass die bislang einzige große Koalition auf Bundesebene, die mit dem Führungsduo Kiesinger-Brandt von 1966 bis 1969 regierte, für Wachstum und mehr Freiheiten sorgte und damit auch die moderne Bundesrepublik entscheidend mitgestaltete.

Fast zu Dosenfleisch verarbeitet?
Wahlkampfplakat an der Druseltalstraße
Foto: Prauß

Ob die nächste große Koalition, die voraussichtlich die Regierung stellen wird, den inflationär häufig beschworenen „Wechsel“ oder „Aufschwung“ bringen kann, bleibt abzuwarten. Schließlich zeigt der deutliche Stimmverlust bei beiden Volksparteien vor allem eins: Dass die Wähler mit der gemachten Politik nicht zufrieden sind. So stellt sich die spannende Frage, was in den nächsten Wochen und Monaten folgen wird: Folgen Reformen oder der befürchtete Stillstand? Wie viel Gewicht wird der Opposition beigemessen? Wie stabil ist eine mögliche große Koalition? Wer wird eigentlich Kanzler? Also: Wohin steuert das Schiff Deutschland? Und inwiefern bestimmen wir Wähler jetzt eigentlich noch den Kurs? Zur Zeit sind mehr Fragen offen als Antworten gegeben werden können. Warten wir es ab. Oder noch besser, machen wir uns selber auf die Suche nach Antworten.

Das waren noch Zeiten!