Von unserem Redakteur Sebastian Szczepaniak (17.12.2004 22:11)
Man kann nun wirklich nicht mehr behaupten, dass der deutsche Film in
seiner größten Krise ist. Im Gegenteil: Die Produktionen des Jahres 2004
konnten sowohl künstlerisch als auch kommerziell überzeugen.
Filme wie „Gegen die Wand“ von Fatih Akin, Gewinner des diesjährigen Goldenen Bären, Oliver Hirschbiegels „Der Untergang“, Volker Schlöndorffs „Der neunte Tag oder… hmm, ja gut, auch dem Bully sein „Traumschiff Surprise“ boten für jeden Geschmack und Anspruch die richtige Unterhaltung. Seit dem 25.11 läuft mit „Die fetten Jahre sind vorbei“, dem Zweitling des Österreichers Hans Weingartner, eine weitere großartige heimische Produktion, übrigens die erste deutsche seit 11 Jahren, die an den Filmfestspielen in Cannes als Wettbewerbsbeitrag lief.
Das Hauptthema der Tragikomödie ist der Sozialismus und die Idee der Revolution beziehungsweise wieviel heute noch von ihr übriggeblieben ist. Die Ideen der Revolution scheinen verschwunden oder vom Mainstream indoktriniert; Che Guevara kann man im H&M auf T-Shirts kaufen und die ehemaligen 68’er fahren mit ihrem Porsche über die Edelboulevards der Metropolen. Jan (Daniel Brühl) und Peter (Stipe Erceg), zwei idealistische Studenten, stellen sich diesem Status Quo entgegen. Als „Die Erziehungsberechtigten“ brechen sie in Millionärsvillen ein, ohne etwas zu klauen, stapeln die Luxusmöbel zu sonderlichen Skulpturen auf und hinterlassen stets eine Botschaft wie „Die Fetten Jahre sind vorbei“. Diese Praxis gerät erst ins Wanken, als Jule (Julia Jentsch), Peters Freundin, hinzustößt und beim Einbruch in die Villa Hardenbergs (Burghart Klaußner) ihr Handy verliert. Beim Versuch, es wiederzukriegen, begegnen sie dem früher aus dem Urlaub zurückgekehrten Hardenberg. In Panik überwältigen sie ihn und entführen ihn in eine Berghütte in den Tiroler Alpen.
In der surrealen Abgeschiedenheit der Bergwelt kommt es zu ideologischen Diskussionen mit Hardenberg, der sich als Alt-68’er entpuppt und den Parolen der drei „Erziehungsberechtigten“ seine nüchterne, leicht bittere Weltsicht entgegenstellt, die er treffend mit „Auf einmal erwischst du dich dabei, wie du in der Wahlkabine stehst und das Kreuz bei der CDU machst.“ zusammenfasst.
Weingartner inszeniert also keine 08/15-Entführungsgeschichte, sondern zeichnet ein spannendes Porträt des Zusammenstoßes zweier Generationen und stellt zugleich die Frage nach der Identität der linken Bewegung im 21. Jahrhundert, wobei er die Antwort darauf dem Kinozuschauer überlässt. Fest steht, dass kaum ein Zuschauer den Kinosaal ohne Nachdenken verlassen wird.
Die vier Hauptdarsteller liefern eine beeindruckende Vorstellung ab. Daniel Brühl, der schon in Weingartners Debüt „Das weiße Rauschen“ die preisgekrönte Hauptrolle spielte und gerade erst für „Was nützt die Liebe in Gedanken“ den Cesar, den europäischen Oscar als bester Hauptdarsteller bekam, spielt mal wieder gewohnt erstklassig die Rolle des couragierten, wütenden Jan. Auch die relativ unbekannten Jungdarsteller Julia Jentsch und
Stipe Erceg können als Jule und Peter locker mit Brühl mithalten und bilden mit ihrem Charisma ein sympathisches und vor allem glaubwürdiges Revoluzzertrio. Burkhart Klaußner stellt Hardenberg als Personifikation des Scheiterns der Revolution dar, ohne unsympathisch zu wirken, und gibt dem Film viel von seiner Ambivalenz und Tiefgründigkeit.
In einer Szene schreiben Jan und Jule den Satz „Jedes Herz ist eine revolutionäre Zelle“ an die Wand einer Wohnung. So gesehen ist „Die fetten Jahre sind vorbei“ wirklich ein Film fürs Herz. Weingartner, der mit dem Film seine eigene Vergangenheit als Jungrevolutionär aufarbeitet, zeigt, dass die Revolution beim Einzelnen startet. Ohne ihre Idee zu idealisieren, regt der Film doch zum Nachdenken über die Gesellschaft, in der wir leben, an; eine Wirkung, die der Kinobesucher im heutigen massentauglichen Mainstream-Kino oft vergeblich sucht. Also, Leute! Auf ins Bali und gönnt eurer revolutionären Zelle mal was richtig gutes.