Die Grüne Welle- Iran im Aufruhr

von unserem Redakteur Schahin Saket (03.07.2009)

12 Juni 2009: Über 80 Prozent der iranischen Wahlberechtigten gingen erstmals wieder zu einer Präsidentschaftswahl. Wochen zuvor überrollte eine Welle der Euphorie die iranischen Straßen und die westlichen Medien. Alle mit der gleichen Aussage: Diese Präsidentschaftswahl bringt eine Veränderung. Ein „gemäßigter Reformer“ namens Mussawi soll wieder Freiheit und Menschenrechte in der iranischen Nation etablieren. Der Schock saß jedoch tief, als am 13. Juni, einen Tag nach der Wahl schon feststand, dass der vorherige Amtsinhaber und Hardliner Mahmoud Ahmadinejad sein Amt für weitere vier Jahre behalten darf. Die Reaktionen des Volkes: Unglaube, Resignation, Schock, aber vor allem Wut.

 

Die stärksten Revolten seit 1979 im Iran
(Quelle: Spiegel.de)

 

Bereits im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen wurde die Zahl der kandidierenden Politker von 400 auf lediglich vier einzelne reduziert, darin inbegriffen der Amtsinhaber Mahmoud Ahmadinejad und sein größter Gegner, der Reformer Mir Hossein Mussawi.

 

Mussawi trifft vor allem in der Jugend auf  Anhänger, die sich von seinen Reformvorhaben viel versprechen. Darüber hinaus favorisierten ihn auch die weiblichen Jugendlichen, die sich durch Mussawis Frau – eine Advokatin für Gleichberechtigung – einen Wechsel erträumten.

 

 

Mussawis Chancen wurden im Voraus schon von sämtlichen Medien extrem aufgebauscht und hoch angesetzt. Amerikanische Medien berichteten von einem „Grünen Tsunami“ in Teheran (Grün ist die Farbe der Reformer). Riesige Demonstration prägten in der Woche vor den Wahlen vor allem die Hauptstadt Irans. Jungen und Mädchen priesen Mussawi und SMS-Wellen gingen durchs ganze Land, die die Empfänger aufforderten, Mussawi zu wählen.

 

 

Die iranische Bevölkerung lebte in einer kurzweiligen Euphorie. Hoffnungen und neue Perspektiven prägten das Land. Menschen sahen wieder einen Sinn im Wählen und gingen von einer radikalen Veränderung aus – von einem Tag auf den Anderen.

 

 

 

So erschütterte die Nachricht, dass Mussawi mit lediglich knapp 35 Prozent die Wahl gegen den Gewinner Ahmadinejad, der sage und schreibe unglaubwürdige 80 Prozent der Wahlstimmen bekam, verlor. Rufe gingen durchs Land: Wahlfälschung!

 

Das iranische Volk, dessen Mehrheit unter 30 Jahre alt ist, war wutentbrannt. Folglich begannen die Proteste. Die Straßen Teherans füllten sich, sie wurden von der Farbe Grün geflutet. Steinwürfe, Brände und Schreie wie „Tod dem Diktator“ wurden Teil der iranischen Hauptstadt Teheran. Und schon begann die Welle noch weiter zu rollen: Städte wie Isfahan oder Tabriz folgten. Irans Oppositionsanhänger revoltierten, zunächst mit dem Ziel einer Neuwahl und in den darauffolgenden Tagen mit dem Ziel eines neuen Systems.

 

 

 

 

 Die 27-jährige Neda wird Opfer eines unbekannten Schützen. Sie ist nun das Idol der Bewegung.

 

Die Reaktion des Machtinhabers: Repression. Die Iranische Regierung ließ Mobilfunknetze ausfallen, Politiker und Journalisten festnehmen, zensierte das Internet. Der Zugang zu Portalen wie Facebook, in denen sich die iranischen Jugendlichen vor allem über die Wahlen austauschten, wurde völlig unterdrückt. Westliche Journalisten wurde gefangen genommen, geschlagen oder ausgewiesen und das staatliche Fernsehen berichtete von „wunderschönen und fairen“ Wahlen.

 

Das Schauspiel war fast perfekt. Aber eben nur fast. Die iranische Regierung machte ihre Rechnung ohne Rücksicht auf das mediale Zeitalter, das auch den Iran erreicht hat. Twitter und Youtube wurden zu den meist-aufgerufensten Seiten und Informationen, Bild- und Videomaterial gelangen so an die Außenwelt. Videos von blutenden Demonstranten und aggressiven Polizeibeamten gingen durchs Netz und durch die westlichen Medien.  Mit Tränengas und heißem Wasser ging die Polizei gegen die tausenden Demonstranten in Teheran vor. Diese suchten Zuflucht in Läden, nebenstehenden Wohnhäusern oder im Krankenhaus, doch selbst an solchen Orten fanden sie keine Sicherheit. Polizeibeamte zerstörten die Türen der Häuser, in denen sich Flüchtlinge aufhielten oder verfolgten Demonstranten sogar durchs ganze Krankenhaus.

 

 

Da niemand die Echtheit der Internet-Bilder bezeugen kann, ist es schwierig, sich ein genaues Bild von der Lage im Iran zu machen. Die westlichen Medien reagieren weitestgehend mit Zurückhaltung, da klar ist, dass beide Parteien des Konflikts Informationen als Propaganda verwenden und keine neutralen Beobachter mehr vor Ort sind.

 

 

 

„Die Bilder aus dem Iran sind schockierend. Die letzten Tage wurden vom iranischen Fernsehen geprägt. Ständig versuchten wir so viele Informationen wie möglich zu bekommen. Ich bin besorgt und muss ganz ehrlich sagen, dass ich enttäuscht von der Reaktion des Auslands bin. Ich wünschte mir, man würde stärker Stellung nehmen, um den Leuten zu helfen!“, so berichtet Niagara Rassuli, Schülerin unserer Oberstufe betroffen über die Ereignisse im Iran.

 

 

 

 

 

Mittlerweile dauern die Proteste im Iran schon über eine Woche lang. Das Volk fragt nach Selbstverständlichem: Freiheit. Und dafür haben schon mehr als 20 Demonstranten mit ihrem Leben bezahlt. Sie werden immer schwächer und die iranische Polizei umso aggressiver.

 

 

Und wie reagieren die westlichen Staaten auf die Tumulte? Mit Zurückhaltung.

 

Lediglich  in einer Sache sind sich der amerikanische Präsident und die europäischen Spitzenpolitiker einig: Man solle sich sorgen. In der Zwischenzeit bezahlen iranischen Demonstranten mit ihrem Leben. Nur wie lange noch?