Ein großartiges Land

Von unserem UO-Redaktionsleiter Hans-Joachim Prauß (03.12.2005 18:44)

„Du bist Deutschland“ ist die größte Marketing-Kampagne der deutschen Mediengeschichte. Sie wurde am 26. September 2005 gestartet, als ein zweiminütiger TV-Spot nahezu zeitgleich auf zahlreichen TV-Kanälen gezeigt wurde. Durchgeführt wird die Aktion von über 25 Medienunternehmen, die mehr als 30 Millionen Euro unentgeltlich zur Verfügung gestellt haben; auch die beteiligten Agenturen, Produktionfirmen und Prominenten engagieren sich ohne Honorar für die Sache. Das Ziel dieser überparteilichen Aktion ist es, für eine neue Aufbruchstimmung in Deutschland zu sorgen, einen Impuls zu setzen und einen Bewusstseinswandel zu mehr Selbstvertrauen und Motivation anstoßen.

Der Start der Kampagne

Eckhard Spoerr von der Tageszeitung DIE WELT erläutert die Hintergründe dieser Aktion damit, dass wir als vergleichsweise kleine Nation über Jahrhunderte die Welt mit überragenden Leistungen – zum Beispiel in der Musik, Kunst und Architektur, in Philosophie, Wissenschaft und Sport – bereichert hätten. Auch die deutschen Unternehmen und deren Produkte würden in vielen Bereichen nach wie vor zur Weltspitze zählen. Die deutschen Menschen seien weltoffen und liberal, engagiert und strebsam, ehrlich und zuverlässig, diszipliniert und im positiven Sinne kritisch, sogar mit sich selbst. Sie hätten sich auch – im Gegensatz zu vielen anderen Nationen – mit den eher düsteren Epochen unserer Geschichte gründlich auseinander gesetzt und sie akzeptiert.

Damit aus deinem Traum eine Goldene Schallplatte wird…

Die Deutschen könnten und sollten stolz auf unser Land sein! Was ihnen derzeit fehlen würde, seien mehr Selbstvertrauen aufgrund des Geleisteten sowie Zuversicht und Entscheidungskraft bei der Gestaltung ihrer Zukunft. Andere Nationen – etwa die Briten oder die Amerikaner – hätten uns da seit jeher einiges voraus. „Wie ärgerlich und enttäuschend sind da einmal mehr die derzeitigen kleingeistigen Machtspielchen und verzagten „Reförmchen“ unserer Politiker.“
(Eckhard Spoerr aus: http://www.welt.de/ vom 14. November 2005)
P.S.: Mit einer zynischen Gegenkampagne auf diese Aktion reagiert offensichtlich ein Teil der Medienlandschaft. Zwei der alternativen Vorschläge sind unten angefügt.

Auch Du kannst dein Wunder erarbeiten. Ob du dein Ziel erreichst, entscheidest Du…

Kommentar von
H.-J. Prauß
Sicher, diese Werbeaktion ist für mich durchaus verständlich. Gerade in der Herbst- und Weihnachtszeit benötige ich einen „Muntermacher“, der meine depressiven Gedanken wegbläst. Diese Aktion ist daher zuerst wohltuend, ich bin ja schließlich ein fleißiger Deutscher, sogar in Bayern geboren. Denn Trübsal ist ein schlechter Ratgeber und hält mich richtig von der Arbeit ab. So gibt es auch schon die ersten Unternehmer in Deutschland, die Neueinstellungen von verordneter Fröhlichkeit am Arbeitsplatz abhängig machen – in den USA übrigens fast selbstverständlich.

Sich zu unterschätzen bringt nichts. Wer dagegen alles aus sich herausholt, kann nach den Sternen greifen…

Aber bei näherer Betrachtung werde ich skeptisch. Schulden über Schulden, Entlassungen bei den Großkonzernen und Klagen über Konkurse in Deutschland – und unsere Medien-Eliten, angefangen von Bertelmann über RTL zu Springer, von Burda bis Bauer, schmeissen ihre Millionen für eine Werbeaktion zum Fenster hinaus. Dürfen sie vielleicht auch, ist ja ihr Geld. Aber soll ich nun selbst ein Lächeln aufsetzen oder mehr arbeiten?
Vielleicht bin ich ja gar nicht der Ansprechpartner. Vielleicht zielt diese Aktion auf die Hartz IV-Empfänger, die aufhören sollen, so trübselig in die Zukunft zu blicken. Oder sind die zukünftigen Lehrlinge gemeint, die in der Warteschleife auf eine Lehrstelle warten?

Egal was du tust, Du bist ruiniert…

Die ca. 100.000 Asylanten ohne Aufenthaltgenehmigung, die faktisch im Untergrund wohnen, kommen auch nicht in Frage, denn die können keine Zeitung lesen, und ins Kino gehen sie auch nicht. Das gilt auch nicht für die Obdachlosen. Da können eigentlich nur die Zehntausenden von Menschen gemeint sein, die jetzt schon wissen, dass ihre Arbeitskraft nur noch in diesem Jahr gebraucht wird, weil sie im nächsten Jahr entlassen werden?

Hast Du schon mal versucht, deine Gedanken aufzuschreiben und an eine Zeitungsredaktion zu schicken oder bist Du einfach zu faul…?

Aber nur Mut, Du bist Deutschland! Was Ludwig Erhard, Ferdinand Porsche, August Thyssen und Beckenbauer konnten, kannst du auch. Zum Fußballspielen brauchst du nur einen Ball von ALDI für 3,50 Euro. Fang doch schon mal an.