Hassen ist schlimmer als morden

(31.01.2003 19:15)

Ihre Gesichter spiegeln Entsetzten, Trauer und Unfassbarkeit wider. Die Stimmung ist beängstigend. Die Leistungskurse Geschichte und Gemeinschaftskunde der Jahrgangsstufen 12 und 13 sitzen gemeinsam in einem Raum. Die Augen sind auf eine ältere, kleine und zarte Person gerichtet. Sie spricht über ihr Leben, ihre Vergangenheit. Im Prinzip ist es normal, dass ältere Menschen über ihr Erlebtes berichten, aber nicht so in diesem Fall.

Frau Pudla und Herr Peter, LK 12

Frau Blanca Pudla ist eine Überlebende des Holocaust. Sie hat das durchgemacht, was heute nüchtern und meist andeutungsweise in Geschichtsbüchern überliefert steht: die unfassbaren Greueltaten des NS-Systems. Frau Pudla hat sich zur Aufgabe gemacht, darüber zu reden, es der Nachwelt aufzuzeigen und es nicht vergessen zu lassen. Lange Jahre konnte sie nicht darüber sprechen, hatte sie Alpträume. Erst als ihre Tochter 17 Jahre alt war, erzählte sie die ganze Wahrheit über ihre Kindheit.

Die wichtigsten Konzentrationslager

1929 wurde Frau Pudla in der Ukraine geboren. Ihr Vater war Herrenschneider und die sechsköpfige Familie war arm, aber religiös. Zu Hause wurde deutsch gesprochen. Nachdem Ungarn ihr Land besetzten wurden sie ausgewiesen und mussten umsiedeln. Als 1944 das Deutsche Reich Ungarn besetzte, war Frau Pudla knapp 14 Jahre alt. Zur gleichen Zeit verschlechterte sich die Lebenslage der jüdischen Bevölkerung, da neue antijüdische Gesetze in Kraft traten. Die Familie wurde aus ihrem Haus getrieben und mit einem LKW ins Getto transportiert. Dies war aber erst der Anfang einer schrecklichen Tortur.

Frau Pudla und Herr Peter, LK 12

Anfang Juni 1944 wurde Frau Pudla und ihre Familie zum Bahnhof abtransportiert. Dort wurden alle in Viehwaggons gesteckt, 75 bis 80 Personen pro Waggon. Es waren zwei Eimer in diesen Waggons vorhanden. Einer war mit Trinkwasser gefüllt, ein zweiter diente als Klo. Die Fahrt dauerte drei bis vier Tage. Sauerstoffmangel herrschte in den Waggons und die Menschen hatten maximal zwei Schluck Wasser pro Tag zu Verfügung. Viele fielen in Ohnmacht, einige starben.

An der Rampe

Die Fahrt ging nach Auschwitz. Frau Pudla hatte zuvor noch nie etwas von diesem Ort gehört. Sofort nach der Ankunft mussten sich alle in einer Fünferreihe aufstellen. Männer wurden von den Frauen getrennt und somit verlor sie ihren Vater aus den Augen. Am Lagereingang mussten sich die Frauen einer Selektion durch den berüchtigten Lagerarzt Mängele unterziehen. Er hatte Leben und Tod in der Hand. Frau Pudla musste nach rechts treten und ihre Mutter nach links. Es war das letzte mal, dass sie ihre Mutter sah. Hinterher erfuhr sie, dass alle über 49 Jahre sofort in die Gaskammer geschickt wurden. In der Desinfektionsstelle wurden ihr alle Haare am Körper abrasiert. Sie bekam eine Spritze verabreicht und wurde anschließend zum Duschen geschickt. Danach standen alle nackt auf dem Hof . Kleidung wurde ausgeteilt. Dort fand sie auch ihre Schwester wieder. Ihre Schwester wurde allerdings später ebenfalls selektiert.

Handzeichnungen aus Ausschwitz

Das Leben in Auschwitz war schrecklich. Morgens um drei Uhr mussten sie aufgestehen. Es gab kein Gras und keine Bäume auf dem Gelände. Essen war für die Gefangenen kaum vorhanden. Morgens eine Brotscheibe und eine Art Kaffee-Ersatz. Das wenige Mittagessen teilten sich die Inhaftierten in ihrer Fünferreihe, und abends gab es manchmal Marmelade, aber ohne Brot. Fließendes Wasser war nicht vorhanden. Manchmal kam ein LKW und kippte Trinkwasser in einen Behälter. Allerdings wusch der Fahrer erst seinen LKW mit diesem Wasser, bevor die Inhaftierten davon trinken durften.

Der Marsch in den Tod

Ständig wurden Selektionen durchgeführt und Gerüchte über Gaskammern machten die Runde. Es gab nur eine Überlebenschance, gesund bleiben! Ende Juli 1944 wurden 1000 ungarische Mädchen für eine Sonderaufgabe ausgewählt. Sie bekamen mehr zu essen und eine bessere Kleidung. Frau Pudla war auch unter ihnen. Per Viehwaggon wurde sie sieben Wochen nach ihrer Ankunft in Auschwitz nach Hirschhagen in Nordhessen transportiert. Dort wurde sie in dortigen Munitionsfabrik als Arbeiterin eingesetzt. Unter gesundheitsschädlichen und gefährlichen Umständen wurden dort Geschosse und Granaten produziert. Schwäche oder Krankheit durfte man sich nicht leisten, da sonst sofort selektiert wurde. Dies bedeutete der sichere Tod. Die Zwangsarbeiter wussten das.

Gerettet

Im März 1945 wurde Hirschhagen durch das SS-Leitungspersonal evakuiert. Nach einer dreiwöchigen Odyssee wurde Frau Pudla von den Amerikanern befreit und an die Russen übergeben, die sie ärztlich behandelten. Mit neu ausgestellten Pässen machte sie sich etwas später auf den Weg en ihre Heimat. Dort fand sie allerdings nicht sehr viel mehr vor. Da ihre Wohnung besetzt war, wurde sie in einem Lager für Überlebende untergebracht, bis sie schließlich nach Budapest zu ihrer Schwester zog, die im Getto überlebt hatte.

Dorf-Idylle
Karikatur Schoenfeld

Noch heute leidet Frau Pudla an den Nitro-Vergiftungen, die sie sich in der Munitionsfabrik zuzog. Auch sobald sie einen Schäferhund sieht, bekommt sie es mit der Angst zu tun, da sie diese im Lager beständig vor Augen hatte.
Es ist Frau Kudla ein unglaublicher Respekt zu zollen, dass sie so ausführlich über ihre Vergangenheit gesprochen hat. Es ist Frau Kudla sehr wichtig, dass der Zuhörer versteht, warum sie die Geschichte erzählt, nicht um Mitleid oder Schuldgefühle zu erwecken, sondern weil wir lernen sollen, den Hass zu bekämpfen.