Von unserem Redakteur Jan Schmidt Fotos: Jan Schmidt (15.09.2002 16:56)
Rund um den Königsplatz ist kein einziger Mülleimer mehr zu finden, mit Masken unkenntlich gemachte Polizisten postieren sich auf den Dächern der umliegenden Häuser, Polizeibeamte mit Schutzwesten, Handschellen und Pistolen säumen die Absperrungen, immer wieder kann man an dem transparenten Knopf im Ohr erkennen, dass der vermeintliche Passant, an dem man gerade vorbeigegangen ist, eigentlich ein Mann vom Sicherheitsdienst ist.
8000 Menschen erwarteten Kanzler Schröder auf dem Königsplatz
Die Angst vor dem 11. September, vor neuem Terror ist deutlich zu merken. In Kassel, besonders im Bereich des Königsplatzes, herrscht Alarmstufe 1. Der Bundeskanzler hat sich angekündigt. Schon eineinhalb Stunden vor Beginn der Veranstaltung tummeln sich die Menschenmassen vor der großen Bühne und rund um die Absperrungen für Journalisten und Sondergäste. Nach musikalischem Vorgeplänkel und zweier Gesprächsrunden mit Kommunalpolitikern, unter anderem Gerhard Rubenkönig, der für die SPD in Kassel antritt, ist es soweit. Gegen 17 Uhr betritt der Bundeskanzler in Begleitung des SPD-Ministerpräsidentenkandidaten Gerhard Bökel die Bühne. Sein Erscheinen wird von den 8000 Menschen, die sich auf dem Königsplatz zusammengefunden haben, mit lautstarkem Jubel und teilweise frenetischen Applaus begrüßt.
Der Kanzler gibt sich souverän und weltmännisch. In siegessicherer Geste betritt er die Bühne, genießt den Jubel der Menge und reiht sich dann ohne zu zögern in die Reihe der Kommunalprominenz ein, die sich anlässlich seines Erscheinens auf der Bühne versammelt hat. Boenike übernimmt das Wort am Rednerpult.
Jetzt beginnt der Wahlkampf mit klaren Worten gegen Stoiber und die Union sowie siegessicheren Parolen für Nordhessen. „Wir in Nordhessen haben vor vier Jahren gesagt, wir sorgen dafür, dass sie Kanzler werden und jetzt sagen wir: Nordhessen sorgt dafür, dass sie Kanzler bleiben“, so Bökels Worte zu Schröder. Der Beifall aus der Menge verdeutlicht die Zustimmung.
Und dann schließlich ist es soweit. Der Moment, auf den alle gewartet haben. Gerhard Schröder geht ans Rednerpult. Er erinnert betroffen an den traurigen historischen Beigeschmack des Datums, verdeutlicht aber zugleich, dass man sich darüber klar sein müsse, dass der Kampf gegen die Taliban und gegen den organisierten Terrorismus noch lange nicht gewonnen sei. Gleichzeitig festigt der Kanzler erneut den Standpunkt, dass sich Deutschland nicht auf einen Interventionskrieg gegen den Irak einlassen werde. „Man muss unterscheiden, ob wir einem Freund zu Hilfe kommen, der angegriffen wird, denn das haben wir schon zur Genüge getan oder ob wir uns auf das Abenteuer eines Interventionskrieges einlassen“.
Nachdem Schröder in den ersten 10 Minuten seiner Rede teilweise anmerkte, dass der Stress des Wahlkampfes doch an ihm nage, so entwickelte sich der restliche Teil der Rede zu einer rhetorischen Meisterleistung. Schröder fand klare Worte. Sei es für die Jugend, „Wer die Jugend auf den Dämmen von Oder und Elbe hat arbeiten sehen, der ist stolz auf unsere Jugend, ich bin es jedenfalls“ oder sei es in Bezug auf die Umweltpolitik. „Deutschland hat eine Vorreiterrolle in Europa angenommen, wenn es darum gehe, auf alternative Energien zu setzen. Und diese Rolle müssen wir weiter festigen und ausbauen“. Er hob hervor, wie wichtig die Familienpolitik und die Bildungspolitik sei. „Wir wollen es Frauen ermöglichen ihre Kinder und ihren Beruf unter einen Hut zu kriegen, indem wir dafür sorgen, dass ganztätige Betreuung der Kinder in Schulen angeboten wird“, so Schröder. Im Punkt Bildungspolitik setzt die SPD auf ein quantitativ und qualitativ hochwertiges Schulsystem, das es jedem ermöglicht, nach seiner Intelligenz und seinem Fleiß eine gute Ausbildung zu erhalten und nicht nur diejenigen weiterführende Schulen besuchen können, bei denen „Mami und Papi das passende Portemonnaie haben“
Schröder verstand es ohne Polemik eine Wahlkampfrede zu halten, die gleichzeitig seine ablehnende Meinung gegenüber der Union und deren Kanzlerkandidaten Stoiber deutlich vermittelte, ohne jedoch einen einzigen direkten verbalen Angriff auf die Union zu fahren. Nur ein einziges Mal konnte er sich eine kleine Stichelei in Richtung CDU/CSU nicht verkneifen. Zum Hauptthema dieses Wahlkampfes, der Arbeitsmarktpolitik, meinte Gerhard Schröder: „Ich lasse mir von Leuten, die in ihrer Spitzenzeit 4,9 Millionen Arbeitslose hatten, keine guten Ratschläge geben, die taugen nämlich nichts“.
Nach einer dreiviertel Stunde war dann alles vorbei. Mit lautem Beifall und sogar „Gerhard, Gerhard“ – Rufen ließ sich Schröder von der Menge feiern und zeigte sich in Siegerpose. Gerhard Schröder war selbstbewusst, siegessicher und rhetorisch überzeugend. Die Zuschauer auf den Königsplatz hatte er für sich gewonnen, wie vom „Medienkanzler“ nicht anders erwartet, aber wer nun nach Meinung der Deutschen wirklich der bessere ist – Schröder oder Stoiber – das wird erst der kommende Wahlsonntag zeigen.
P.S.: Auch wenn immer wieder der Eindruck erzeugt wird, dass mit der eigenen Stimme der Kanzler direkt gewählt werden kann, sei – nicht belehrend – darauf hingewiesen, dass natürlich mit der Zweitstimme auf dem Wahlzettel die Abgeordneten im Parlament gewählt werden, aus deren Mitte heraus wiederum die Wahl des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland – mit einer Stimme Mehrheit – erfolgt.