(15.11.2000 18:58)
Innerhalb von vier Wochen hat sich der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern dramatisch zugespitzt: Am Anfang war es Protest gegen den Besuch des israelischen Oppositionsführers Sharon auf dem Jerusalemer Tempelberg, mittlerweile spricht man vom „palästinensischen Unabhängigkeitskrieg“. Und mittlerweile ist klar geworden, dass ein Nebeneinander von Israelis und Palästinensern nicht im Bereich des Möglichen liegt. Zu stark ist der Hass aufeinander im Bewusstsein der Bevölkerung verankert, zu lange diskutierte man über Frieden, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.
Gerhard Schröder spricht mit dem ägyptischen
Präsidenten Hosni Mubarak (r.)
Die jüngsten Ausschreitungen im Nahen Osten sagen viel über Frustration, Wut und mangelnde Akzeptanz aus. Die israelische und palästinensische Bevölkerung geht mit einer Aggression aufeinander zu, die bislang mehr als 165 Tote forderte. Städte werden belagert, Menschen mit Steinen bombardiert, Teile der Autonomiegebiete unter Feuer genommen, Kampfhubschrauber und Panzer eingesetzt, die Angst vor Terroranschlägen schießt in Israel und den palästinensischen Gebieten um sich. Der israelische Ministerpräsident Barak und Palästinenserführer Arafat steuern zur Zeit einen Konfrontationskurs, von dem sie offensichtlich auch US-Präsident Clinton nicht abbringen konnte.
Vergangenes Wochenende ließ Arafat verlauten: „Die Unruhen gehen solange weiter, bis ein palästinensisches Mädchen oder ein Junge die palästinensische Flagge über Jerusalem hissen wird.“. Barak hingegen werde sich erst wieder Willens zeigen, die Friedensverhandlungen fortzuführen, wenn die Unruhen und die Gewalt im gesamten Bereich zwischen Mittelmeer und Jordan nachgelassen haben. Im gleichen Zuge kündigte der israelische Vize-Verteidigungsminister Sneh eine Großoffensive gegen die Palästinenser als Selbstschutzmaßnahme an. Arafat müsse aufhören zu versuchen, durch Frontkämpfe Frieden schaffen zu wollen.
Denn selbst als Friedensnobelpreisträger setzt jener auf Gewalt, wenn er mit diplomatischen Mitteln nicht weiterkommt. So scheint der Vorwurf Baraks gegenüber Arafat gerechtfertigt: „Mit Gewalt werden Sie nichts erreichen. Verhandlungen führt man am Tisch, nicht auf der Straße und nicht mit Schüssen und Steinen“ Doch das Problem des Friedens liegt im Bewusstsein der Menschen. Der palästinensische Extremistenführer Schakaki formulierte einst: „Wirklicher Friede kommt erst, wenn Israel von der Landkarte verschwindet.“.
So wie die Vorstellungen der beiden großen Regierungschefs und der Bevölkerung unvereinbar scheinen, disharmonieren derzeit auch die politischen Lager der israelischen Regierung, die zu einer Notstandsregierung zusammengefasst werden sollen. Barak, Vorsitzender der Arbeitspartei, sieht keine andere Möglichkeit den Staat Israel durch die Krisensituation zu lenken, als sich mit dem rechten Oppositionsführer Ariel Scharon zu verbünden. Zwar hätte man sich bereits auf eine gemeinsame Politik über die Palästinensergebiete geeinigt, es blieben jedoch letzte Hürden bestehen: Scharon fordert ein Vetorecht in allen Fragen des Friedensprozesses und Barak besteht auf seiner Zusage gegenüber Arafat, 90 Prozent des Westjordanlandes in palästinensische Selbstverwaltung zu entlassen. Beide Seiten wollen jedoch die Forderungen des Gegenübers unter keinen Umständen akzeptieren.
Wie soll demnach Frieden zwischen Israeliten und Palästinensern durchgesetzt werden, wenn die israelische Regierung derzeit mit sich selbst nicht im Reinen ist? Eines ist klar: Kommt es zu einer großen Koalition, wäre von Seiten der Palästinenser ein Ende des Konfliktes undenkbar. Ariel Scharon wird eine Atmosphäre der Eskalation schaffen, da er für Massaker in palästinensischen Flüchtlingslagern und dem jüngsten Ausbruch der Gewalt verantwortlich ist.
Überschattet von den Diskrepanzen innerhalb der israelischen Regierung und den neuen blutigen Zusammenstößen zwischen Israeliten und Palästinensern, hat Deutschlands Kanzler Gerhardt Schröder vergangene Woche seine schwierigste Nahostreise angetreten. Bei seinen Staatsbesuchen in den sechs Krisenländern Ägypten, Libanon, Jordanien, Syrien, Israel und den palästinensischen Gebieten verfolgte er vor allem das Ziel, die Stimmen der Vernunft bezüglich des Friedensprozesses zu stärken. Der Bundeskanzler appellierte als europäischer Vertreter an die Konfliktparteien, ihre Gewalt zu beenden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Dabei machte er deutlich, dass das europäische Engagement keineswegs ein Ersatz für das der USA sein soll. Er sehe sich selbst vielmehr als Vermittler zwischen den Krisenparteien. Vor dem Reiseantritt des Kanzlers setzte sich die deutsche Regierung als Ziel, de jeweiligen Vorstellungen der Staatsregierungen verständnisvoll aufzunehmen und verzerrungsfrei den anderen Beteiligten zu übermitteln. Erstaunlicherweise brachte Gerhardt Schröder von seiner 5-tägigen Reise äußerst positive Aussichten mit nach Europa: „Ich hatte den Eindruck, dass alle Verhandlungsparteien bereit wären, an den Friedenstisch zurückzukehren.“.
Bleibt nur noch zu hoffen, dass sich Israels Regierung möglichst bald wieder stabilisiert, Yasir Arafat sich wie früher kompromissbereit und friedenswillig zeigt und die israelische und palästinensische Bevölkerung einsieht, dass mit Gewalt keine Probleme gelöst werden können.