Von unseren Redakteuren Clemens Herwig und Sebastian Szczepaniak (06.02.2004 22:45)
Die Niederlage im 1. Weltkrieg und die Novemberrevolution 1918 beendeten das deutsche Kaiserreich und waren die Geburtsstunde der Weimarer Republik. Im Zuge der Demokratisierung fand noch eine andere Revolution statt: Schon lange gefordert, doch nie umgesetzt, errangen Frauen ab dem 12. November 1918 erstmalig in der deutschen Geschichte politische Gleichheit.
Agitation für das Frauenwahlrecht 1914
Den Anstoß zur Umsetzung dieses Massengedankens gaben Frauen wie Hedwig Dohm, Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, die in öffentlichen Reden und Schriften immer wieder die Benachteiligung der Frau publizierten, Frauenbewegungen gründeten und, letztendlich erfolgreich, jahrelang für ihre Rechte kämpften.
„Die Wahlen zur Casseler Stadtverordneten-Versammlung gingen am gestrigen Sonntag in aller Ruhe und ohne jede Störung von sich. Wie zu erwarten war, blieb die Wahlbeteiligung hinter den früheren Wahltagen zurück. Gegen 88 Prozent am 19. Januar (Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung) und 79 Prozent am 26. Januar (Wahl zum preußischen Landtag) haben diesmal ungefähr 70 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Recht Gebrauch gemacht.“ Dies meldete vor genau 85 Jahren, am Montag, dem 3. März 1919, das Casseler Tageblatt – auf der ersten Seite groß aufgemacht – seinen Lesern.
Das wahrhaft Sensationelle aber war, dass erstmals sechs Frauen ins Stadtparlament einzogen. Dabei hatten die Männer der einzelnen Parteien sich bei der Listenaufstellung vor der Wahl nur ungern von vorderen sicheren Plätzen verdrängen lassen. Immerhin waren von 19 aufgestellten Frauen dann diese sechs durchgekommen.
Schon ab Dezember 1918 erschienen in den Tageszeitungen große Annoncen aller Parteien, die die Frauen Kassels zu reger Beteiligung an den bevorstehenden Wahlen aufriefen. Es verging Anfang 1919 keine Woche, dass nicht in irgendeinem der großen Säle Kassels eine Versammlung stattfand, die besonders die wahlberechtigten Frauen ansprach. Hier engagierten sich besonders die Frauen der bürgerlichen Parteien. Sie waren die Arbeit in der Öffentlichkeit längst gewohnt, da sie seit langem in der Frauenbewegung, in den Kasseler Frauenvereinen wirkten. Die Sozialdemokratinnen, die ins Stadtparlament einzogen, waren längst nicht so bekannt wie ihre bürgerlichen Kolleginnen. Die SPD-Frauen waren im Gegensatz zu jenen meist verheiratet und hatten für große Familien zu sorgen; politisch waren sie noch unerfahren. Im Oktober 1919 wurde dann erstmals eine Frau ehrenamtliche Stadträtin.
Nach 85 Jahren können die Frauen auf einen jahrzehntelangen Kampf um die Gleichberechtigung zurückblicken: Nach anfänglichem weiblichen Ansturm auf die Wahlurnen haben sich die Prozentzahlen der wählenden Frauen denen der Männer angepasst. Appelle wie „Fordert das Stimmrecht, denn über das Stimmrecht geht der Weg zur Selbstständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau“ sind verklungen, kurz: Das damalige Krisenthema ist längst zur Selbstverständlichkeit abgeflaut.
War es Frauen um 1920 zwar möglich zu wählen, konnten sie doch selten ein hohes politisches Amt belegen. Zwar ist heute Angela Merkel Vorsitzende einer der beiden einflussreichsten Parteien Deutschlands, der CDU, und auch im Ministerkabinett der Bundesregierung haben mehrere Frauen Posten inne, aber große Politikerinnen wie Margareth Thatcher, englische Premierminsterin, und Hillary Clinton, die als erste Frau ein Senatorenamt im US-Parlament innehat, haben bei uns die Politik nicht beeinflusst und tun es wahrscheinlich auch in Zukunft nicht.
Die Forderung, dass endlich nach 85 Jahren einmal eine Frau in das Amt des Bundespräsidenten gewählt werden müsste, wurde spontan formuliert, aber im Streit der Parteien ebenso schnell zu den Akten gelegt. Gesine Schwan, Kandidatin von SPD und Grüne, ist sicherlich bei der kommenden Bundespräsidentenwahl nur eine Zählkandidatin. Ob da die Frauenbeauftragen nicht mal in der Öffentlichkeit ein paar Takte dazu sagen müssten?