Überall fehlen Menschen

Von unserem Religionslehrer Michael Kräbs (06.11.2005 16:47)

Meine Klasse 7 aus dem Goethe-Gymnasium hat sich Gedanken gemacht, was der Mensch noch alles ist. Hört euch einmal diese Definitionen an:

Diakon Michael Kräbs

Der Mensch …..

…….ist ein egoistisches Wesen. (Yannick)

…… ist ein Mensch, weil er reden und Gefühle ausdrücken kann.

…… ist ein Auto ohne Motor. (Daniel W.)

…… ist eine Gefahr und eine Hoffnung. (Sebastian + Michele)

….. ist ein Egoist der die Umwelt vernichtet. (Daniel K.)

….. ist wie ein Fisch und schwimmt im Leben. (Anna Katharina)

….. ist wie ein Ball, der über die Erde rollt. (Nina)

….. ist leider auch ein Terrorist, der den Krieg will. (Daniel G.)

….. spielt auch Fußball. (Jana)

….. klaut den Tieren die Heimat. (Philipp)

….. kann mit allen mithalten, ist aber nirgends der Beste. (Daniel K.)

….. ist einzigartig, weil sich alle unterscheiden. (Thomas)

….. muss nicht wirklich viel tun, aber er muss sterben. (Sebastian)

….. ist ein kleiner Punkt im Universum. (Torben)

Das Altarbild der Bonifatiuskirche

Der Text von Kurt Tucholsky (Text siehe Link) ist dagegen eine Satire. Eine Satire ist meist lustig, aber oft gefriert einem das Lachen, wenn man selbst etwas „abbekommt“. Dann tut eine Satire weh.

Ich bin sicher, dass der Text von Tucholsky weh tut. Mindestens an einer Stelle, mindestens den Mädchen. Natürlich können auch Mädchen und Frauen denken und wer das nicht begreift, der will eben nicht denken. Kurt Tucholsky aber will, dass die Menschen denken. Er will sie aufrütteln mit seiner Satire und Ironie. Schauen wir uns ein paar Aussagen gemeinsam an:

Menschen hören gerne Schmeicheleien.
Stimmt das? Hört ihr lieber Komplimente oder einen Tadel?
Die Frage ist blöd, weil jeder gerne Komplimente hört, am liebsten drei Nummern gröber als noch zulässig. Auch schlechte Lehrer hören zum Beispiel gerne, dass sie guten Unterricht machen. Und Schüler? Welches Kompliment glauben Schüler gerne ohne es zu prüfen? Vielleicht: die Hausaufgabe hast du aber gut gemacht?

Eine zweite Aussage von K. Tucholsky:
Menschen sind Geschöpfe, die sich zu Klumpen ballen. Ein jeder Klumpen hasst die anderen, weil sie die anderen sind und er hasst die eigenen, weil sie die eigenen sind.
Stimmt das? Wenn man über die Schulhöfe geht, könnte man das meinen. Manche wollen um Gottes Willen nicht mit ihrer Klasse gesehen werden, lieber zeigen sie sich mit anderen Freunden. Und mit der Familie ist es manchmal leider ähnlich. Es kommt vor, dass man sich seiner Familie schämt. Fürchterlich. Ist euch aufgefallen, dass Tucholsky kein gutes Haar an uns Menschen lässt? Wir geben keine Ruhe, wir machen Krach, wir streiten, wir gönnen den anderen nichts, wir hassen die anderen, wir kämpfen gegen die anderen, wir werden alt und wollen das Ganze ewig mitmachen…. Na super! Ein tolles Leben! Ein „toller“ Mensch“.
Und das allerschlimmste: Hat er nicht Recht? Ist es nicht irgendwo tatsächlich so? Waren die Aussagen der Klasse 7 so anders?

Menschen

Gibt es Ausnahmen? Seid ihr die großen Ausnahmen? Ich wünschte es mir! Aber ich fürchte, ich müsste uns ein Kompliment machen, dass unverdient ist. Sicher, ihr würdet es alle sofort glauben, weil ihr eben auch nur „Menschen“ seid. Ich würde es auch glauben: wenn man behauptete:
„Alle Menschen sind so, du bist die große Ausnahme!“ Wenn wir heute aber Allerheiligen feiern, dann feiern wir solche Menschen! Heilige!
Dann geht es um die Ausnahme von der Regel, dann geht es um Vorbilder, die es auch verdienen Vorbilder zu sein.

Ich glaube sehr wohl, dass wir alle – auch ich – unsere guten Seiten haben. Wir haben tatsächlich unsere „heiligen Momente“! Immer dann, wenn wir uns gegenseitig helfen! Auch den anderen „Klumpen. Immer dann, wenn wir jemanden zeigen, dass wir ihn mögen und sogar lieben! Auch den anderen, fremden, Unbekannten. Und immer dann, wenn wir einander verzeihen können! Auch demjenigen, der uns feindlich gegenüber steht

Und wo immer wir dies auch tatsächlich tun, und nicht nur die Möglichkeit dazu haben und auslassen, sind wir allen Heiligen die doch nichts anderes waren als wirkliche Menschen tatsächlich auf der Spur und ihnen ähnlich.

Wo immer aber wir uns verstecken hinter Ausreden, dass wir eben nicht dem anderen helfen können oder eben nicht mögen können, wie er ist und ihm schon gar nicht verzeihen können, verpassen wir die große Chance, Mensch zu sein.

Menschen

Tuchholsky hat behauptet: Menschen miteinander gibt es nicht.

Zeigen wir, wo wir können, dass das Gegenteil der Fall ist. Nämlich überall dort, wo wir sind. Du, und du und ich!
Zeigen wir uns dort als Mensch, wo Menschen fehlen: In der Klasse. In der Schule. Im Verein. In der Familie. In der Straßenbahn und im Bus. Überall fehlen Menschen: Ihr fehlt! Ich fehle! Du fehlst!- Amen.

Der Mensch heißt Mensch, weil er schwärmt und liebt, weil er mitfühlt und vergibt, sich anlehnt und vertraut, weil er lacht und weil er lebt.
Immer dann ist der Mensch: Mensch!

Michael Kräbs ist Katholischer Diakon und Religionslehrer am Goethe-Gymnasium Kassel