Verbrannt, verboten, verbannt

Von Alexandra Mindlina und Alina Pinkhasik (20.05.2003 18:37)

„Stellt euch vor, ihr habt ein Lieblingsbuch oder einen Lieblingsautor, und eines Tages werden sie plötzlich verboten.“ Mit diesen Worten eröffnete der Stadtrad Thomas-Erik Junge am 19. Mai 2003 die Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der „Bücherverbrennung“ in Kassel.

Vernichtung von Gedanken und Worten

10. Mai 1933: In Berlin versammeln sich Studenten des nationalsozialistischen Studentenbundes und verbrennen öffentlich Werke von zeit- und gesellschaftskritischen Autoren, welche den Vorstellungen der kurz vorher an die Macht gekommenen nationalsozialistischen Regierung widersprechen. Nur wenige Tage später lodern in ganz Deutschland die „Bücherbrände“, unter anderem auf dem Friedrichsplatz in Kassel.

Der Bürgersaal der Stadt Kassel

Das gesamte Programm der Gedenkveranstaltung im Bürgersaal des Kasseler Rathauses wurde von Schülern aus den Klassen 5 bis 13 verschiedener Kasseler Schulen getragen und durch musikalische Darbietungen der Kasseler Musikakademie unterstützt. Die Schüler stellten Autoren wie Erich Kästner und Bertolt Brecht vor, die in der Nazi-Zeit verboten waren. Es wurden Gedichte und Passagen aus damals „verbotenen“ Büchern vorgetragen. Die etwas jüngeren Schüler sangen sogar Lieder oder führten kleine Rollenspiele vor.

Die „verbrannten“ Dichter

Auch unsere Schule war dabei. Unser Programm bestand aus den Gedichten Gottfried Benns „Sieh die Sterne, die Fänge“ und Erich Kästners „Marschliedchen“. Außerdem wurde von uns ein Auszug aus dem Buch „Im Westen nichts Neues“ vorgelesen und „Feuersprüche“ vorgetragen. Die Sprüche wurden direkt während der Bücherverbrennung von den Studenten des NS-Studentenbundes ausgerufen.

Die musikalische Begleitung

Obwohl alle Auftritte insgesamt etwa zwei Stunden dauerten, unterlagen die Zuschauer und die Vortragenden einer ernsthaften, traurigen Spannung. Aus jedem einzelnen Text spürte man die Verbitterung und Empörung der Autoren gegen das damalige Regime. Bewegende Lebensläufe vieler Schriftsteller zeigten deutlich, wie gefährlich es früher war, seine Gedanken zu offenbaren und Kritik über die bestehenden Verhältnisse zu äußern.

Die Schüler der Leimbornschule

Mit dieser Veranstaltung setzen wir, die Beteiligten, und auch die Zuschauer ein Zeichen gegen das Vergessen eines barbarischen Verbrechens des NS-Regimes. Jeder aus der jüngeren Generationen, der in einer Gesellschaft aufgewachsen ist, in der Meinungsfreiheit als selbstverständlich gilt, bekam deutlich vor Augen geführt, was damals geschah, wenn sich jemand der allgemeinen öffentlichen Meinung widersetzte. Wir sind fest davon überzeugt, dass sich solche Verbrechen auf keinen Fall wiederholen dürfen: deshalb das Erinnern und Gedenken – zum Schutz der Meinungsfreiheit, der Literatur, den Büchern und ihren Verfassern.

Die Schüler der Valentin-Traudt-Schule

P.S.: In vielen Teilen der Welt werden Presse und Literatur immer noch einer strengen Zensur unterzogen und letztendlich Menschen zum Schweigen verurteilt.