Viele schütteln nur noch den Kopf

 

UMLAUF-Interview mit Dr. Peter Strutynski (14.04.2002 02:40)

Die Ostertage stehen seit Jahrzehnten auch im Zeichen der Ostermärsche, die in Kassel in den letzten Jahren zahlenmäßig aber ständig abgenommen haben. UMLAUF wollte von Herrn Dr. Peter Strutynski, dem z.Zt. profiliertesten Vertreter der Kasseler Friedensbewegung wissen, wie der aktuelle Stand der Friedensbewegung ist, gerade unter den Eindrücken der Terroraktionen in New York und Israel, und wie er die Zukunft sieht.

UMLAUF: Herr Strutynski, Sie sind Sprecher der bundesweiten Friedensorganisation und haben das letzte Treffen am 17. März in Kassel maßgeblich mitorganisiert. Was war das Ergebnis des Treffens?

STRUTYNSKI: Ursprünglich war eine ganz normale Sitzung unseres Bundesausschusses geplant. Nachdem wir aber wenige Tage davor erfahren hatten, dass US-Präsident Bush im Mai die Bundesrepubklik besuchen wird, haben wir diese Sitzung kurzerhand umfunktioniert und zu einer Aktionskonferenz der Friedensbewegung eingeladen. In einem Kreis von rund 70 Vertreterinnen und Vertretern lokaler, regionaler und bundesweiter Friedensorganisationen haben wir beschlossen, Mr. Bush als dem Repräsentanten der größten und zur Zeit arrogantesten Militärmacht der Welt den Empfang zu bereiten, den er verdient hat. Es wird am 21. Mai (Dienstag nach Pfingsten) eine bundesweite Demo und Kundgebung in Berlin geben. Am Tag darauf, den 22. Mai, sollen im ganzen Land dezentrale Aktionen stattfinden. Da werden wir hier vor Ort auch etwas für Kassel vorbereiten.

UMLAUF: Wenn auch in diesem Jahr die Aktivitäten der Ostermärsche auf etwas breiterer Ebene stattfanden, so stellt sich doch die Frage stellt, ob die Ostermärsche nicht ein Auslaufmodell sind.

STRUTYNSKI: Die Ostermärsche gibt es schon sehr lange, genau genommen seit 1959. Anlass für die ersten Ostermärsche in Deutschland bzw. der damaligen Bundesrepublik war der Griff der Bundesregierung nach einer Verfügungsgewalt über Atomwaffen. Seit dieser Zeit haben die Ostermärsche sich mehrmals gewandelt: Anfang der 60er Jahre ging es um Atomwaffen, seit Mitte der 60er Jahre um den Vietnam-Krieg, Anfang der 70er Jahre standen die neue Ostpolitik und die Entspannungs- und Aussöhnungspolitik mit dem Osten im Mittelpunkt, in der 80er Jahren war das beherrschende Thema der Kampf gegen die Stationierung neuer Atomraketen, und in den 90er Jahre ging es vor allem um den Protest gegen die zunehmende Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Interventionen und Kriegen. Schon allein diese Aufzählung wechselnder Themen macht eigentlich deutlich, dass die Ostermarschbewegung kein zipfelmütziger Traditionsverein ist, sondern jeweils auf die neuesten kriegs- und weltpolitischen Herausforderungen reagiert. Das Problem liegt ja darin, dass das eigentliche „Auslaufmodell“ nicht wir sind, sondern die Bundeswehr und die anderen Armeen dieser Welt. Die denken aber nicht daran, sich aufzulösen, also müssen wir sie – auch mit den Ostermärschen – immer wieder in Frage stellen.

Die Kasseler Friedensinitiative

UMLAUF: Die Friedensbewegung ist eine Art Bürgerinitiative, die unserer Meinung nach auch immer von der SPD und den Grünen unterstützt worden ist. Wie stehen Sie zu den sicherheitspolitischen Beschlüssen dieser beiden
Regierungsparteien?

STRUTYNSKI: Dass die Friedensbewegung „immer“ von SPD und Grünen unterstützt worden wäre, ist nicht ganz richtig. Von den Grünen anfangs ja, die SPD tat sich mit uns schon etwas schwerer. Dennoch ist richtig, dass insbsondere in den 80er Jahre, der Blütezeit des friedenspolitischen Protests, beide Parteien der Friedensbewegung sehr nahe standen. Zur heutigen Politik fällt einem kaum noch etwas ein. Wenn man sieht, mit welcher Geschwindigkeit insbesondere die Grünen ihre außenpolitische Programmatik geändert haben, kann einem schwindlig werden. Das Prinzip der „Gewaltfreiheit“ passé, „zivile Konfliktbearbeitung“ kommt nur noch als Feigenblatt im Programm vor, und selbst vom früheren Widerstand gegen Prestige-Rüstungsprojekte wie dem Eurofighter oder jetzt dem Militär-Airbus ist nichts mehr übrig geblieben. Auch bei den Rüstungsexporten mischt die rot-grüne Regierung kräftig mit. Schließlich wird auch wieder mehr für Rüstung und Bundeswehr ausgegeben als noch vor zwei oder drei Jahren – Tendenz steigend. Wie man angesichts dieser Entwicklungen immer noch behaupten kann: „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“ (so stand es in der Koalitionsvereinbarung 1998), ist mir ein Rätsel.

Gedenken an die Kriegsopfer

UMLAUF: Wie sehen Sie die weltpolitische Entwicklung unter dem Aspekt der US-amerikanischen Forderung nach Vergeltung gegenüber den „Schurkenstaaten“ Irak, Iran, Nordkorea usw. und unter der Androhung von Atombombeneinsätzen.

STRUTYNSKI: Viele Menschen schütteln ja nur noch den Kopf und erklären Bush und seine Berater für „verrückt“ oder „größenwahnsinnig“. Beides stimmt aber nicht ganz. Die US-Politik ist sehr durchdacht und zielgerichtet: Die USA wollen ihre unbeschränkte Macht in der Welt – politisch, ökonomisch und militärisch – behalten und möglichst noch ausbauen. Das wird übrigens auf lange Sicht nicht ganz ohne Probleme mit Japan und China im Fernen Osten sowie mit Russland und ganz besonders natürlich mit den EU-Staaten bleiben.

Der Nahe Osten ist ein Beispiel für solche Interessenkollisionen. Während Europa vom Nahost-Öl tatsächlich abhängig ist, beziehen die USA ihre Energie vor allem aus Lateinamerika und Mexiko. Ein Krieg gegen den Irak würde also in erster Linie die europäischen Staaten, ihre Energieversorgung bedrohen. Daher agieren die Europäer im Moment sehr viel zurückhaltender. Auch Schröder und Fischer können vor der Bundestagswahl keinen neuen Krieg brauchen. Darauf müssen die USA keine Rücksicht nehmen. Im Gegenteil: Wenn man die seit dem 11. September in den USA geschürte nationalistische Stimmung sieht, kommt Bush ein neuer Waffengang vielleicht sogar gerade Recht. Das Schlimmste an der US-Politik ist zweifellos, dass Washington selbstherrlich darüber bestimmt, wer in der Welt „gut“ oder „böse“ ist. Und auch die neue Atomwaffen-Einsatzdoktrin, die vor wenigen Tagen bekannt wurde, zeigt diese Arroganz der einzigen Weltmacht: Sie nimmt sich das Recht heraus, Atomwaffen auch gegen Staaten einzusetzen, die selbst nicht über solche Waffen verfügen – ein Tabubruch in den internationalen Beziehungen. Es gibt eine Reihe von Staaten (übrigens am wenigsten die „Schurkenstaaten“ Irak und Iran), die technologisch in der Lage sind, innerhalb weniger Jahre in den Besitz von Atomwaffen zu kommen. Am Ende hätten wir also mehr Atomwaffen in der Welt als heute. Zu verantworten hat dies die Politik der USA.

Peter Strutynski anlässig einer Rede am 13.10.2001 in Berlin

UMLAUF: Welche Wünsche hatten Sie persönlich über die Osterzeit?

STRUTYNSKI: Ein paar Tage Ruhe und Erholung selbstverständlich. Ein paar Tage auch ohne Internet und Homepage-Betreuung (www.friedensratschlag.de). Ihr wisst ja, was es heißt, immer ein interessantes und aktuelles Angebot für die Internetkunden bereit zu halten. Wir (meine Familie) haben uns für eine Woche in südlichere Gefilde begeben, um einfach ausspannen. Das hatte übrigens zur Folge, dass ich diesmal gar nicht selbst am Kasseler Ostermarsch teilnehmen konnte. Aber umso erfreuter war ich über die Resonanz der diesjährigen Ostermärsche.

Friedenstaube

UMLAUF: Herr Strutynski, wir danken Ihnen für dieses Online-Interview.