Wo war Gott ?

Von unserem Diakon Michael Kräbs (07.02.2005 11:32)

Als am 2. Weihnachtstag die große Welle über Südostasien fegte, habe ich wieder einmal diese große Wut gespürt.
Ich war zornig und traurig und unglaublich fassungslos. Warum lässt Gott soviel Not, Zerstörung, Tod und Elend zu. In meinen Gebeten habe ich diesem Zorn, dieser Wut und dieser Fassungslosigkeit Ausdruck gegeben.

Tsunami-Flutkatastrophe

Im Religionsunterricht habe ich schon oft das Problem thematisiert: Die Wut, die man haben kann auf Gott, die Enttäuschung und die Ratlosigkeit. Auch als Gläubiger Mensch gibt es so viele Fragen, die man Gott stellen muss im Angesicht einer so großen Katastrophe.

Wo war Gott?
Warum kann Gott das zulassen?
Warum greift Gott nicht helfend ein und rettet die Menschen aus der Katastrophe?

Diese letzte Frage stellt sich immer wieder bei Katastrophen: Wo war Gott?

Die letzte Zahl, die ich gehört habe war, dass fast 300.000 Menschen bei der Flut umgekommen sind. Und sie alle haben Eltern oder Kinder oder Geschwister. Und sie alle haben Freunde hinterlassen. Millionen sind so ganz unmittelbar betroffen. Wer kann also die wahren Opfer der Katastrophe zählen?

Als ich von der Flut gehört habe, habe ich sofort an ähnliche Flutgeschichten gedacht. Alle Kulturen kennen Flutgeschichten. Die bekannteste ist die Geschichte von der Arche Noah. Gewaltige Wassermassen zerstören die Häuser und Dörfer der Menschen und beinahe alles Leben erlischt.

Spendenaktion am Goethe-Gymnasium

Die Flut, die Südostasien überrollte ist keine Strafe Gottes. Sie ist viel natürlicher. Etwa alle 8oo Jahre kommt eine Welle mit ähnlichen verheerenden Wirkungen über diesen Landstrich. Sie kommt, weil tief unten im Meer Erdboden einbricht und andere Erdmassen nach rutschen. Im weitesten Sinne ist diese Katastrophe zyklisch. Aber natürlich rechnet niemand damit, dass Naturereignisse gerade ihn und gerade jetzt treffen und so heftige Auswirkungen auf das ganze Leben eines Kontinents haben. Naturereignisse sind faszinierend und schrecklich grausam zugleich.

Bei allem Zorn und bei aller Wut und bei aller Sprachlosigkeit hat sich aber doch auch so manches Wunder gezeigt. Sogar an unserer Schule.

Wenn ich überlege, wie durch die Ereignisse der Flut die Menschen zusammen gerückt sind und angefangen haben, sich gegenseitig zu helfen, so kann man sich nur die Augen verwundert reiben. In kürzester Zeit haben Menschen auf der ganzen Welt an ihre Mitmenschen gedacht und sie als ihre Nächsten empfunden, denen man helfen muss und an denen man nicht vorbei gehen darf. Alle die, die sonst Scheuklappen tragen, haben ihre Solidarität entdeckt und gezeigt. Menschen auf der anderen Seite der Erdkugel wurden als Teil der Menschheits-Familie wahrgenommen und die Verantwortung für sie ganz selbstverständlich angenommen. Die Welle des Meeres ist durch eine Flut der Nächstenliebe abgelöst worden und hat die Menschen verändert.

Die Bonifatiuskirche an der Weserspitze

Mein Hilfeschrei, meine Wut und mein Zorn ist zumindest ein Stück weit erstickt. Denn dieses Erlebnis der Nächstenliebe für die, die einem doch gar nicht so nah sind, diese Flut an Bereitschaft, den Menschen in einer ganz anderen Ecke der Welt zu helfen hat mir gezeigt, dass Wunder in einer ganz anderen Dimension als der biblischen möglich und wirklich sind.

Wenn mit dem heutigen Aschermittwoch die 40 tägige Vorbereitungszeit auf Ostern beginnt, so liegt im Sterben Jesu, die der Auferstehung vorausgeht eine Parallele.

Auch Jesus wird im Höhepunkt seines Leidens am Kreuz, nach Verhör und Folter, Gott anklagen und laut ausrufen: „Mein Gott, mein Gott! Warum hast du mich verlassen?“ Das ist genau der Ausruf derjenigen, die in Asien sich von Gott allein gelassen fühlen. Und auch Jesus Christus stirbt.

Und trotzdem liegt gerade hier die Hoffnung für mich: Denn wenn Jesus Christus von Gott seinem Vater aufgefangen in der Auferstehung, so dürfen wir das auch für uns und unsere Freunde in Asien erhoffen: Das Aufgefangen werden durch die Arme Gottes.

Unser Diakon Michael Kräbs

Jesus Christus stirbt einen fürchterlichen Tod. Doch wenn alles am Ende ist. Wenn es tiefer und schlimmer nicht mehr geht, bleibt die Hoffnung die von Jesus Christus: Aufgefangen zu werden von dem Vater unser im Himmel und neu wieder aufzustehen in seinem unvergänglichem Reich.

Aufstehen wenn man unten ist. Das gelingt besser, wenn man sich die Hand reicht. Und das habt ihr getan. Für die Flutopfer in Asien haben die Menschen ihre Hand ausgestreckt um den Mitmenschen aufzuhelfen. Auch das Goethe – Gymnasium hat das getan. Ihr habt ein Zeichen gesetzt für Mitmenschlichkeit und dafür möchte ich euch ganz herzlich danken. Not und Elend und Sterben gehören untrennbar mit dem Leben auf der Erde verknüpft. In der biblischen Lesung vom heutigen Tage heißt es, dass Gott jede Hilfe – auch die verborgene – sieht und sich darüber freut und dass er sie uns vergelten wird. Ich bitte euch, diesen Anfang, den ihr gemacht habt, fortzusetzen, als Ausdruck eurer Menschlichkeit und Mitmensch-lichkeit. Zeigt diese Mitmenschlichkeit nicht nur den Menschen in Asien, sondern auch den Menschen in eurer Klasse, auf eurem Schulhof, in eurer Nachbarschaft und in eurem Sportverein. Wo immer ihr seid, behaltet diese gute Eigenschaft des Menschseins in euch: Habt ein Herz und zeigt es. Wo auch immer. Das wäre eine gute Vorbereitung auf das Osterfest und eine Auferstehung der besonderen Art.

Das definitive Ende der närrischen Tage: das Aschenkreuz

Michael Kräbs, Katholischer Religionslehrer am Goethe – Gymnasium und Diakon für Schulseelsorge / Bonifatiuskirche