Zu Jung zum Sterben

von unserem Redakteur Steffen Engelbrecht (29.09.2007)

Mit offenem Mund saß ich am 11. September 2001 vor dem Fernseher. Eine Mischung aus Entsetzen und Beklemmung lag im Raum. Ohne ein Wort zu sagen, lauschten alle Personen dem Nachrichtensprecher, der mit aller Sachlichkeit versuchte, das Geschehene zu berichten. War das ein Kinotrailer oder waren da wirklich zwei voll besetzte Passagierflugzeuge in das New Yorker World Trade Center gerast? Das Zweite, schier Unvorstellbare, schien die Wahrheit zu sein.

 

 
Franz Josef Jung (CDU) will einen handlungsfähigen Staat.  

Herr über Leben und Tod. In dieser Position sieht sich anscheinend Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Dieser plant nämlich einen neuen Gesetzesentwurf, nachdem er im Falle einer Flugzeugentführung den Befehl zum Abschuss durch Kampfjets geben darf. Das Problem: Das Bundesverfassungsgericht hat Jungs Vorschlag bereits 2006 abgelehnt. Das höchste Gericht der Bundesrepublik argumentiert, dass Passagiere nicht als Objekt einer Rettungsaktion zum Schutze anderer Behandelt werden dürfen. Aber was, wenn man durch den Abschuss die Leben tausender Menschen am Boden rettet?

 

 

 

 
Das Leben von 3000 Menschen hätte in N.Y. gerettet werden können.  

Jung wird am 11. September 2001 auch Fernsehen gesehen haben. Obwohl er noch kein Verteidigungsminister war, wird dieser Anschlag nicht spurlos an ihm vorüber gegangen sein. Die Bilder aus New York sind für ihn das Szenario, dass er mit allen Mitteln von Deutschland abwenden will. In diesem Extremfall will er über Leichen gehen, wenn Menschen am Boden in Gefahr wären. Um den Abschussbefehl zu geben, würde er sich auf den so genannten „übergesetzlichen Notstand“ berufen. Diesen gibt es aber gar nicht. Im Grundgesetz ist lediglich der „rechtfertigende Notstand“ aufgeführt, der es dem Bürger gestattet eine Straftat zu begehen, wenn er damit sein eigenes oder das Leben anderer Personen rettet. Also müsste sich Herr Jung in diesem Fall einen privaten Kampfjet zulegen, um die entführte Maschine vom Himmel zu holen. Trotz dieser Gesetzeswidrigkeit beharrt Jung stur auf seiner Idee. „Der Staat muss handlungsfähig bleiben“, so Jung in zahlreichen Interviews.

 

 

 

Das es zu diesem Standpunkt überhaupt Diskussionen gibt, ist unter den Industriestaaten eine Ausnahme. Egal ob Frankreich, England oder die USA; diese Länder würde das entführte Flugzeug sofort abschießen. Ob es unsere düstere Vergangenheit verbietet, überhaupt ein Flugzeug anzufassen? Auch wenn ein Rückfall in Zeiten wie die des dritten Reiches ein absolut absurder Gedankengang ist, scheint Deutschland, eines der einzigen mächtigen Länder zu sein, das der moralischen Idee hinter dem Abschuss keine Priorität vor dem „braven“ deutschen Grundgesetz gibt.

 

 

 

 
Werden bald deutsche Kampfjetpiloten entführte Flugzeuge abschießen?  

Wie vor kurzem bekannt geworden ist, gab es bereits zur Fußball-WM im letzten Jahr Pläne, die im Falle eines Angriffs aus der Luft auf ein voll besetztes Stadion den Abschuss der Maschine beschrieben. 200 Menschen opfern, um das Leben tausender zu retten. Das moralische Verständnis, das dahinter steckt, wurde zum Teil in einer Studie erklärt, die am 30.07.2007 in einem SPIEGEL-Bericht zur Biologie von Moral und Unmoral veröffentlicht wurde. Zu folgendem Szenario wurden mehrer Personen gefragt: Ein Schienenwagen rast führerlos auf fünf Gleisarbeiter zu. Sie wären zu retten, indem man die Weiche umstellt. Allerdings nur zum Preis eines anderen Gleisarbeiters. Bei diesem Szenario würden die meisten gesunden Menschen die Weiche umstellen; egal ob Männer, Frauen, Kinder, Deutsche oder Chinesen. Ist das Verhalten von Jung dann nicht nachvollziehbar?

 

 

Das Bundesverfassungsgericht sieht das anders, und auch der Koalitionspartner SPD und die Opposition sind empört. Die Grünen fordern sogar den Rücktritt Jungs, der beim heutigen Standpunkt eine Straftat begehen würde, würde er den Befehl zum Abschuss geben. Die Streitfrage wird wohl erst einmal ein heikles Thema für Deutschland bleiben, mag das Modell noch so realitätsnah sein. Fest steht, dass das Bundesverteidigungsministerium auch widergesetzlich handlungsfähig sein wird. Bleibt nur zu hoffen, dass der Ernstfall nicht eintritt und dass sich die Terrorbekämpfung weiter erfolgreich am Boden der Tatsachen abspielt.