Zu nah, zu nah

 

(22.03.2003 13:31)

Guten Morgen, heute ist Krieg. Was wird aus Schülerinnen und Schülern, die Klausuren schrieben oder Kriegsparolen schrien, ohne zu ahnen warum?
Die Lehrkräfte wurden angehalten ihren Unterricht planmäßig zu halten. Für Schülerinnen und Schüler gilt eine Demonstration während der Unterrichtszeit als „unentschuldigtes Fehlen“. Am sogenannten „Tag-X“ wurden im Goethe-Gymnasium Leistungskursarbeiten sowie Klausuren im Grundkurs angesetzt. Um Punkt acht Uhr forderten Mitglieder des „Anti-Kriegs-Komitees der Kasseler Schulen“ die Schülerinnen und Schüler zum Demonstrationsmarsch und zur anschließenden Kundgebung am Rathaus auf. Viele aus unserer Schule gingen, viele blieben.

Noch stehen die Schüler unschlüssig da.

Gehen oder bleiben? Da niemand ernsthaft mit disziplinarischen Mitteln rechnen musste, war es eher ein Zeichen zu demonstrieren, als eine heldenhafte Tat. Auch ist es durchaus eine Meinung den Angriff auf den Irak als letztes Mittel zum Sturz von Saddam Hussein zu sehen und den Krieg zu befürworten. Falsch ist es nur, die Frage über eine Teilnahme am Schülerstreik plakativ in den Vordergrund zu stellen.

Die Antwort ist der Krieg, die Verlierer an diesem Morgen waren aber die Mädchen und Jungen unserer Schule, die in den Unterricht gingen oder einer demonstrierenden Masse folgten, ohne aus eigenem Antrieb zu wissen weshalb. Die Klausuren schrieben oder Anti-Kriegsparolen schrien, ohne zu ahnen warum.

Mit dem Megaphhon werden die Schüler aufgefordert, die Schule zu verlassen

Für viele ist der Krieg zu weit weg. Er ist tausende Kilometer weggeschoben. Nach Bagdad, nach Washington und in globale Mechanismen verstrickt. Diese zu durchdringen fällt schwer. Aus diesem Grund war für einige Schülerinnen und Schüler die Pflicht einer Klassenarbeit näher und wichtiger, als sich mit der Frage einer Demonstration gegen den Krieg auseinanderzusetzen. Manch andere folgten den Demonstranten, weil es der Freund oder die Freundin tat.

In der Nacht des Irak-Angriffes saßen viele vor dem Schreibtisch um Vokabeln zu lernen und nicht am Fernseher um Nachrichten zu sehen.
Der Glaube, alles wäre weit weg, machte sich auch an praktischen Beispielen bemerkbar: Das Goethe-Gymnasium war eine der Schulen, die kein „Anti-Kriegs-Komitee“ gebildet hatte und folglich an diesem Morgen von deren Mitgliedern zur Demonstration „abgeholt“ werden mussten. Auch die Schülervertretung des Goethe-Gymnasiums zeigte sich wenig informiert. Das Problem war nicht, dass Teile der SV dem Aufruf zur zentralen Kundgebung fernblieben, sondern dass sie die Schülerschaft nicht über diese vorab aufklärten.

So sehr auch über den Sinn und Erfolg von Demonstrationen und Schülerstreiks gesprochen wird, stellt die Diskussion eins in den Vordergrund: Die Möglichkeit für Jugendliche ihre Meinung zu vertreten und kund zu tun. Dies ist wichtig, um Persönlichkeiten zu entwickeln. Um dies zu erreichen, müssen sich auch Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern verpflichtet fühlen, ein nachvollziehbares und globalinteressiertes Verständnis bei jungen Menschen zu erwecken. Was schließlich zur ernsthaften Auseinandersetzung mit der Frage, gehe ich zur Demonstration oder nicht, führen sollte. Dies fordert aber auch manchmal von planmäßigen Unterrichtseinheiten abzuweichen. Ereignisse im Weltgeschehen müssen erklärt werden, und es sollte gezeigt werden, dass vieles näher ist als manche vermuten.