Zwei Verfassungsklagen für ein Ziel

Von unserem Redakteur Michael Brehme (29.05.2007)

Die Oppositionsparteien SPD und Grüne sowie hessische Studenten setzen alle Hebel in Bewegung, um die von der CDU-Landesregierung beschlossenen Studiengebühren noch zu verhindern, doch der Teufel steckt im Detail. Genauer gesagt in der hessischen Verfassung, Artikel 59. Es geht um das Recht auf freie Bildung und um die Frage, ob diese etwas kosten darf. Im Herbst letzten Jahres wurden im Landtag allgemeine Studienbeiträge ab dem kommenden Wintersemester beschlossen. Doch ob es soweit wirklich kommt steht, noch in den Sternen.

Studenten protestierten in ganz Hessen gegen die Studiengebühren.

Grund für die mehr oder weniger offene Sachlage ist jener Artikel 59 der hessischen Landesverfassung. „In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich“, heißt es dort. Soweit verständlich, und doch wird nur drei Sätze weiter auch die Erhebung eines „angemessenen Schulgeldes“ erlaubt. Ein Zwiespalt, fast schon ein Widerspruch – eine Auslegungssache. Auch deshalb so wichtig, weil die Verfassung eben nicht nur simple Gesetze, sondern existenzielle Dinge beherbergt. Sie ist nicht beliebig änderbar, sondern definiert vielmehr die besonderen Rechte und Pflichten ihrer Bürger. In der Bildungsfrage fällt Hessen bundesweit eine Sonderrolle zu, zumal es das einzige Bundesland ist, das eine solche Passage hinsichtlich des „Schulgeldes“ in seiner Verfassung verankert hat.

Der besagte Artikel geht noch auf die Anfangszeit der Bundesrepublik zurück. Man wollte seinerzeit Bildung für alle ermöglichen, um den Geist der NS-Zeit zu vertreiben. Pikant: Mit dem damaligen Jura-Studenten Karl-Heinz Koch kämpfte kurz nach Kriegsende ausgerechnet der Vater des heutigen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), unter dem das Gebührengesetz verabschiedet wurde, an vorderster Front für die Abschaffung von Unterrichtsgeldern. Zusammen mit anderen Studenten klagte er, berief sich auf Artikel 59 und war erfolgreich.

 

Ministerpräsident Roland Koch.

 

Für seinen Sohn und die CDU-Landesregierung könnte jener Artikel nun zum Bumerang werden. Anfang Oktober des letzten Jahres waren im Landtag trotz vorheriger Proteste von verschiedensten Seiten „allgemeine Studienbeiträge“ ab dem Wintersemester 2007/08 beschlossen worden. Das Gesetz konnte aufgrund der CDU-Mehrheit verabschiedet werden und sieht ab kommendem Herbst eine Gebühr von 500 Euro pro Semester für das Erststudium vor, in Ausnahmefällen sogar bis zu 1.500 Euro. Mitte Februar diesen Jahres machten die Kritiker dann mobil. Die Oppositionsparteien SPD und Grüne reichten eine Verfassungsklage ein. „Die Studiengebühren sind verfassungswidrig und unsozial“, äußerte sich die SPD- Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti und die Grünen-Abgeordnete Sarah Sorge damals unisono. Vor allem finanziell Schwächere würden durch Studiengebühren „von der Aufnahme eines Studiums abgeschreckt.“

Ein Verfassungsinhalt als Interpretationssache. In acht Bundesländern sind die Studiengebühren bereits eingeführt oder zumindest beschlossen worden. Kritiker gab es überall, doch der Handlungsspielraum war begrenzt. Es fehlte wie so oft der Ansatzpunkt gegen die Entscheidungsträger. In Hessen ist jener Ansatzpunkt die Verfassung. Während das Gesetz von Seiten der Opposition, Studentenvertretungen und Gewerkschaften als rechtlich heikel eingeschätzt wird, sieht die Landesregierung keine Kollisionen. Nach ihrer Auffassung reichten die im Gesetzestext enthaltenen Regelungen, die unter anderem eine Befreiungen für besonders gute Studenten vorsehen; zudem können Studenten günstige Darlehen zur Finanzierung der Gebühren aufnehmen.

 

Ein Plakat zur Verfassungsklage.

 

Und dennoch: Die Welle der Klagen läuft. Neben den beiden Oppositionsparteien wurden auch die Studenten hessenweit aktiv und riefen zu einer Unterschriftensammlung auf, um selbst eine so genannte Volksklage einreichen zu können. Mindestens ein Prozent der rund 4,3 Millionen Wahlberechtigten, umgerechnet 43.308 Menschen, müssen sich demnach bis zum 31. Mai der Initiative anschließen, damit auch diese bis zum Staatsgerichtshof durchkommt. Bis Ende letzter Woche fehlten nur noch 1.000 Stück. „Ich gehe davon aus, dass wir die nötigen Unterschriften zusammen bekommen“, äußerte sich denn auch Mike Josef vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) in Frankfurt zuversichtlich.

Zwei Verfassungsklagen – eine Richtung. Nun muss der Staatsgerichtshof mit Sitz in Wiesbaden entscheiden, ob die Studiengebühren einer juristischen Überprüfung standhalten. Die Kritiker zeigen sich jedenfalls entschlossen und machen auch durch diverse Demonstrationen in ganz Hessen weiterhin auf sich aufmerksam. Sie wollen Zeichen setzen und die Studenten aufrütteln, sich aktiv an den Protestaktionen zu beteiligen. Da spielt es auch keine Rolle, dass eine zweite Klage nicht unbedingt notwendig wäre, zumal sich das Verfassungsorgan wohl kaum mehr als einmal mit demselben Thema beschäftigen wird. Denn abgesehen davon verdeutlichen jene Initiativen auch einmal mehr die Macht des Volkes, die es haben kann, wenn es denn will. Die Studiengebühren sind in Hessen jedenfalls zu einem echten Politikum geworden – Ausgang ungewiss.