Es ist 23:00 Uhr an einem Freitag, 13. November. Ist die Uhrzeit ein gutes Omen, weil dieser Unglückstag fast vorbei ist? Das kann man durchaus sagen, denn bis dahin hat es gedauert, bis die Jury des A-38 Produktions-Stipendiums ihre Entscheidung gefällt hat. Und diese Entscheidung war eine gute. Aber, um Verwirrung zu vermeiden, erstmal zurück auf Anfang und alles der Reihe nach.
Jedes Jahr findet das Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest statt und im Jahr 2015 waren bei der 32. Auflage 271 Filme im Programm. Im Rahmen des Jungen Dokfestes bekamen drei Jugendliche die Möglichkeit, Teil der Jury des sogenannten „A38-Produktions-Stipendium Kassel Halle“ zu sein. Merle, eine Schülerin der Albert-Schweizer Schule, Marie von der Jacob-Grimm-Schule und ich waren zusammen mit vier anderen, unter ihnen der Gewinner des letzten Jahres, Guido Hendrix, die Jury, die aus 15 vorausgewählten Produktionen die beste auswählen sollte.
Dass dies nicht einfach werden sollte, zeigte sich bereits vor der eigentlichen Jurysitzung. Aufgrund der etwas knapp bemessenen Zeit sollten wir drei der Filme bereits vorher sichten, und bereits da wurde deutlich, was für großartige Produktionen zur Auswahl standen. Da ich für UMLAUF selbst eigene Reportagen schneide und auch sehr gerne Dokumentarfilme sehe, war ich sehr gespannt auf die Beiträge. Ich rechnete mit allem. Aber nicht mit so etwas: Die Filme waren derart gut aufgebaut und erzählt, vermittelten so gut Spannung, dass sie die mir bekannten Standard-Reportagen um Längen übertrafen. Natürlich hatte ich keine gewöhnlichen Reportagen erwartet, aber meine Erwartungen wurden deutlich übertroffen.
So ging es auch weiter, als wir uns Freitag um 14:00 Uhr zum Screening trafen. Bereits zu Beginn wurde klar: Das wird ein harter Tag. Die Filme, die wir bis zum Abend ansehen und besprechen wollten, hatten eine Dauer von gut fünf Stunden, die drei bereits vorher gesichteten Filme mit fast drei Stunden Laufzeit nicht eingerechnet. Es war also ein strammes Programm.
Doch es lohnte sich – auch wenn es natürlich zwischendurch immer mal wieder ein paar Phasen gab, in denen die Juroren die Pausen fast schon herbeisehnten, um ein bisschen frische Luft zu schnappen, um den Kopf wieder klar zu bekommen und um den Filmen mit der Präsenz zu folgen, die sie verdient hatten. Denn die Filme waren alle auf ihre Art und Weise gut, hatten ein spannendes Thema. Wir als jüngere Mitglieder der Gruppe sollten die Filme nicht nur nach den üblichen Kritikpunkten wie Bild oder Inhalt bewerten, sondern besonderes Augenmerk auf das Interesse von Jugendlichen an den Themen richten und unseren kritischen Blick auf die Umsetzung richten. Das Stipendium legt besondern Wert darauf, in die Zukunft des Dokumentarfilms zu investieren, und es soll an eine Person oder Personengruppe vergeben werden, die Filme machen, die uns auch ansprechen.
Ein Zitat, das mir aus den vielen Besprechungen im Kopf geblieben ist: „Lieber gewollt intellektuell als aus Versehen doof.“ An dieser Aussage Sarah Burkhardts, einer Kunstpädagogin aus Halle, wird deutlich, wie intensiv wir teilweise diskutiert haben und wie sie z.B. unseren Kommentar ablehnte, dass ein Beitrag wohl doch etwas gekünstelt intellektuell war.
Dies fasst den Tag letztendlich sehr gut zusammen, und nachdem wir uns sehr lange mit den diversen Gesichtspunkten auseinandergesetzt und viel hin- und her-überlegt hatten, kamen wir nach einem sehr konstruktiven Auswahlverfahren zu einer Entscheidung, mit der jeder zufrieden war: „Another Kind Of Girl“.
Die Produktion von Khaldiya Jibawi entstand in einem Flüchtlingscamp in Jordanien, denn dort lebt Khaldiya, eine Syrerin, im Moment. Sie ist 18 Jahre alt und filmte den Beitrag im Rahmen eines Workshops der amerikanischen Filmemacherin Laura Doggett. Sie zeigt mit der Kamera nicht die Bilder die wir in den Medien sehen, nicht die Menschenmengen, sondern einzelne Menschen und Ihre Geschickte. Sie zeigt ihre Familie und ihre Freunde, und sie erzählt uns in knapp zehn Minuten ihre Geschichte. Wir sehen mit ihren Augen das Leben im Flüchtlingscamp, die täglichen Herausforderungen dort, die zu neuen Möglichkeiten werden, sodass Khaldiya inzwischen eine andere ist – „Another Kind Of Girl.“
Mit der Vergabe des Stipendiums an sie hoffen wir als Jury, weitere solcher Projekte zu unterstützen und diese talentierte Filmemacherin fördern zu können.
Am Samstag Abend fand die Preisverleihung statt, bei der wir die Laudatio hielten und im Anschluss noch mit vielen anderen feierten. Es war ein tolles Erlebnis und ich habe sehr viel dazugelernt und interessante neue Einblicke in Themen bekommen, mit denen ich mich sonst in dieser Form wohl nicht auseinandergesetzt hätte.
Wie der Gewinner des letzten Jahres, Guido Hendrix, es auf den Punkt brachte: „Ich hoffe wirklich, dass sie nächstes Jahr hier an meiner Stelle sitzen kann und ihrerseits Teil dieser Jury sein darf.“