Exkursion zur Gedenkstätte Hadamar

„Was du mir sagst, das vergesse ich. Was du mir zeigst, daran erinnere ich mich. Was du mich tun lässt, das verstehe ich.“ 

Dieses ursprünglich chinesische Zitat wird dem bekannten chinesischen Philosophen Konfuzius zugeschrieben. Es erscheint demnach durchaus sinnvoll und logisch, dass man sich besser an das erinnert, was man selbst erlebt hat. 

Deshalb verwundert es nicht, dass viele Dinge, die im Unterricht besprochen werden, nach einiger Zeit vergessen werden. Umso wichtiger ist es, dass es auch Exkursionen während der Schulzeit gibt, um Gelerntes besser nachvollziehen und verstehen zu können.

Am Mittwoch, den 17.5.2023, fuhren zwei Kurse aus dem Jahrgang 10 mit Frau Kannenberg (Religion) und Frau Schwarzer (Ethik) in die Gedenkstätte Hadamar, um sich mit dem bereits im Unterricht behandelten Euthanasie-Programm der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Der Begriff Euthanasie wird heute für Sterbehilfe verwendet; zur Zeit des Zweiten Weltkrieges nutzte Adolf Hitler ihn, um die Ermordung von behinderten Menschen zu erlauben.

1964 wurde das Gelände, das früher als Klinik genutzt wurde, zu einer Gedenklandschaft umgestaltet, im Jahr 1983 gab es die erste Ausstellung. Heute besteht die Stätte aus Ausstellungsbereich, Busgarage, Gedenklandschaft und zudem den zentralen Kellerräumen.

Die Gedenkstätte dient der Aufarbeitung und Aufklärung über die Zeit des Nationalsozialismus und die Morde im Zusammenhang mit dem Euthanasieprogramm im Zweiten Weltkrieg (1939-1945). Vor allem soll an die dort gestorbenen Menschen erinnert werden. 

Wir fuhren mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hadamar. Die Stadt liegt an der westlichen Grenze Hessens, nördlich von Limburg. Nach einigen Problemen und einer Verspätung von ca. einer Stunde kamen wir an der Gedenkstätte an. Bereits der erste Eindruck überraschte mich: Es wirkte so friedlich und natürlich. Der Gedanke, dass hier Menschen nur aufgrund ihrer Behinderung umgebracht wurden, war für mich kaum vorstellbar. Das Gebäude wirkte im Vergleich zu seiner Bedeutung fast unscheinbar. 

Insgesamt waren wir drei Stunden dort, in denen Tour und Workshop vereint waren. Zunächst gab ein Guide uns grundlegend historisches Wissen mit und wir konnten das bereits im Unterricht gelernte Wissen auffrischen und vertiefen. 

Hadamar war früher eine – man kann es nicht anders nennen – Tötungsanstalt, in der von 1941-1945 ca. 15.000 Leute ermordet wurden. Genannt wurde es „Landesheilanstalt Hadamar“ und diente offiziell der Genesung von psychisch kranken Menschen. 

Wir lernten zunächst viel über die Aktion T4. Der Name kommt von der Adresse des Hauptsitzes der Organisation: Tiergartenstraße 4, Berlin. Während dieser Aktion wurden allein in Hadamar etwa 10.000 Menschen umgebracht, nachdem sie aufgrund ihrer geistigen Behinderungen oder Arbeitsunfähigkeit dorthin geschickt worden waren. Oft wurden allerdings auch Menschen eingewiesen, die mit „angeborenem Schwachsinn“ diagnostiziert worden waren, was meistens nicht mehr war als Verhaltensweisen, die nicht ins Bild der Nationalsozialisten passten. So mussten beispielsweise Taschendiebe, Bettler oder Leute, die sozialdemokratische Schriften verteilten, in Hadamar sterben. Auch Regimekritiker wurden hier zum Teil umgebracht.  

Anschließend gingen wir in die sich auf dem Gelände befindende und teilweise noch aus Originalholz bestehende Busgarage. Heute hängt hier als Schriftdokument das Schreiben Hitlers, auch Nürnberger Dokument genannt, in dem er die Tötung von Menschen als Gnadentod erlaubte, wenn diese nach kritischster Beurteilung von Ärzten als unheilbar krank gesehen wurden. Allerdings waren die Kriterien, nach denen die Menschen beurteilt wurden, auf einem gerade einmal einseitigen Blatt Papier zusammengefasst und beliefen sich größtenteils auf die „Rasse“ und darauf, wie lange es dauern würde, bis ein Mensch wieder genesen war. Jemand, der für eine lange Zeit Hilfe und Pflege in Anspruch hätte nehmen müssen und somit auch längere Zeit nicht arbeitsfähig gewesen wäre, wurde oft schneller nach Hadamar eingewiesen, da man sich allein schon aus Geldgründen nicht um die Menschen kümmern wollte. Somit hatte Hitler die Erlaubnis zum Euthanasieprogramm gegeben.

In der Busgarage zu stehen und zu wissen, dass hier zahlreiche Menschen in großen grauen Bussen ankamen, kurz vor ihrem Tod, war ein seltsames Gefühl. Auch jetzt noch lässt es mich nachdenklich werden, darüber zu schreiben. In dieser riesigen Holzhütte hatten bis zu drei graue Busse Platz, von dort wurden die Menschen praktisch ins Gebäude eingeschleust, ohne Möglichkeit, zu fliehen. Im Gebäude angekommen, mussten die Menschen sich entkleiden und wurden untersucht. Diejenigen mit interessanten Krankheitsbildern oder auch Goldzähnen wurden markiert, danach wurden alle Menschen hinunter in den Keller unter dem Vorwand einer Dusche geschickt. 

Uns allen war bewusst, was wir als nächstes sehen würden. Unser Guide überließ es uns, ob wir mit in den Keller gehen möchten oder nicht. 

An dieser Stelle möchte auch ich euch die Möglichkeit geben, nicht weiterzulesen, wenn ich von den Gaskammern berichte. Solltet ihr das nicht lesen wollen, überspringt den nächsten Absatz einfach. 

Es ging über eine Treppe in den Keller hinab. Ein niedriges weißes Deckengewölbe, viele kleine Gänge, Boden aus grauem Stein. Während wir dort entlangliefen, wusste ich die ganze Zeit, dass auch andere Menschen diesen Weg entlanggegangen waren, kurz vor ihrem Tod.Wir wurden direkt zu der Gaskammer geführt, in der damals Tag für Tag Menschen starben. Die in etwa ein Meter Höhe mit gewissem Abstand gesetzten Löcher, aus denen früher das Gas austrat, sind zwar inzwischen verputzt, aber doch noch deutlich zu erkennen. Der Boden ist einfach gekachelt, auf beiden Seiten der Kammer ist eine Tür. 

In dieser riesigen Holzhütte hatten bis zu drei graue Busse Platz, von dort wurden die Menschen praktisch ins Gebäude eingeschleust, ohne Möglichkeit, zu fliehen. Im Gebäude angekommen, mussten die Menschen sich entkleiden und wurden untersucht. Diejenigen mit interessanten Krankheitsbildern oder auch Goldzähnen wurden markiert, danach wurden alle Menschen hinunter in den Keller unter dem Vorwand einer Dusche geschickt. 

Uns allen war bewusst, was wir als nächstes sehen würden. Unser Guide überließ es uns, ob wir mit in den Keller gehen möchten oder nicht. An dieser Stelle möchte auch ich euch die Möglichkeit geben, nicht weiterzulesen, wenn ich von den Gaskammern berichte. Solltet ihr das nicht lesen wollen, überspringt den nächsten Absatz einfach. 

Es ging über eine Treppe in den Keller hinab. Ein niedriges weißes Deckengewölbe, viele kleine Gänge, Boden aus grauem Stein. Während wir dort entlangliefen, wusste ich die ganze Zeit, dass auch andere Menschen diesen Weg entlanggegangen waren, kurz vor ihrem Tod. Wir wurden direkt zu der Gaskammer geführt, in der damals Tag für Tag Menschen starben. Die in etwa ein Meter Höhe mit gewissem Abstand gesetzten Löcher, aus denen früher das Gas austrat, sind zwar inzwischen verputzt, aber doch noch deutlich zu erkennen. Der Boden ist einfach gekachelt, auf beiden Seiten der Kammer ist eine Tür.

Als ich hörte, dass der Arzt, der die Aktion durchführte, auf der anderen Seite der Kammer ebenfalls ein Tür hatte, durch die er sah, wann die Menschen an dem geruchlosen Gas erstickten, musste ich schlucken. Es war ein beklemmendes Gefühl, zu wissen, dass dort, direkt neben mir auf dem Boden, lebende, lachende, weinende und liebenswerte Menschen umgebracht worden waren. Hinzu kam der bedrückende Gedanke, dass den Menschen, die beim Entkleiden markiert worden waren, Goldzähne entnommen und Gehirne zum Teil für Forschungszwecke an Labore geschickt und dort seziert wurden. 

Wir verließen den Raum vor der Gaskammer wieder und sahen uns auch noch an, wo die Öfen gestanden hatten, in denen die Leichen verbrannt wurden. Sogar der Bodenbelag, um die toten Körper leichter schleifen zu können, war noch glänzend zu erkennen. Ich musste dabei nicht nur an die Toten denken, sondern auch an diejenigen, die dort arbeiteten. Wie kann der Hass eines Menschen soweit gehen, dass er es für gerechtfertigt hält, so viele Menschen nur aufgrund ihrer Behinderungen umzubringen? 

Danach beschäftigten wir uns mit einigen Einzelschicksalen, allerdings nicht aus der T4 Phase, die nur bis 1941 ging, sondern mit Gestorbenen aus der dezentralen Euthanasie, was bedeutet, dass nicht mehr die Regierung dafür verantwortlich war, sondern alles auf kürzeren Wegen geregelt wurde. Die dezentrale Euthanaisie ging von 1942-1945 und kostete in Hadamar weitere 4400 Menschen das Leben. Verantwortlich waren die Ärzte; sie hatten das Sagen über die Einlieferungen und bestimmten, ob ein Mensch länger leben sollte oder nicht. Die Menschen wurden zu dieser Zeit nicht mehr in Gaskammern, sondern durch gezielte Überdosierung ihrer Medikamente und durch Vernachlässigung getötet. Während der T4 Phase starben die meisten an ihrem ersten oder zweiten Tag in Hadamar, während der dezentralen Euthanasie überlebten einige wenige länger und meist nur dann, wenn sie arbeitsfähig und von Nutzen waren. 

Abschließend waren wir noch bei der Gedenklandschaft. Diese wurde damals als Friedhof mit Massengräbern genutzt und liegt oberhalb des Gebäudes. Würde man nicht wissen, dass unter den eigenen Füßen tausende Menschen begraben liegen, an denen grausame Verbrechen begangen wurden, dann wäre es fast ein friedlicher und schöner Ort. So hat es aber doch eine ganz andere Bedeutung. 

Besonders schockiert hat mich, dass sogar Kinder dort starben, wenn sie keinen Nutzen in der Gesellschaft hatten. Dies konnte passieren, wenn sie ihre Eltern verloren hatten und arbeitsunfähige Waisen waren, die man nicht länger beherbergen wollte. Die Familien der Opfer wurden belogen, wenn es um das Todesdatum oder die Todesursachen ihrer Angehörigen ging. 

Falsche Todesdaten wurden zum einen angegeben, um zu verschleiern, dass so viele Menschen an einem Tag starben, aber auch, weil den Heilanstalten Geld für die Patienten gezahlt wurde, um sich um sie kümmern zu können. So starben die meisten Menschen, besonders in der T4 Zeit laut Sterbeurkunde oft erst Monate nach ihrer Ankunft an Herzversagen, Krampfanfällen oder Grippen – in Wirklichkeit aber unmittelbar nach der Ankunft aufgrund von Mord. 

Ja, all diese Dinge sind erschreckend. Im Nachhinein haben wir uns gefragt, ob die lange Anfahrt nach Hadamar und der ganze Tag, der für diese Exkursion benötigt wurde, sich gelohnt haben. 

Ich finde es wichtig, sich mit den Verbrechen der Nationalsozialisten auseinanderzusetzen und sich immer wieder bewusst zu machen, dass neben den schrecklichen Morden an den Juden auch andere Menschen von den Nationalsozialisten umgebracht wurden. Schade ist, dass einige der Originale, wie zum Beispiel Seziertische oder Öfen, nicht mehr dort sind, sei es, weil sie vernichtet wurden oder irgendwo anders stehen. Und dennoch bin ich überzeugt, dass die Exkursion nach Hadmar für uns alle einprägsamer war, als Texte zu lesen und es im Klassenraum erzählt zu bekommen. 

Ganz zum Schluss lasen wir ein Zitat und sollten das für uns wichtigste Wort darin aufschreiben. Zu dem Zeitpunkt wussten wir nicht, in welchem Kontext es entstanden war. Es ist ein Zitat von Sigrid Falkenstein, der am 27.1.2017 vor dem Deutschen Bundestag zum Gedenken an die Opfer des Deutschen Nationalsozialismus eine Rede hielt. Er hat die Geschichte seiner Tante Anna aufgearbeitet. Die gesamte Rede ist in diesem Link nachzulesen. Rede Sigried Falkenstein (bundesregierung.de)

So wie unsere Führung durch die Gedenkstätte Hadamar möchte auch ich meinen Bericht mit diesem Zitat beenden und dazu anregen, selbst zu überlegen, welches Wort ihr ausgewählt hättet. „Ich erzähle Annas Geschichte, damit wir genau hinsehen, hinhören und widersprechen, wenn einzelne Menschen oder Gruppen nach ihrer Nützlichkeit, nach ihrem vermeintlichen Wert oder Unwert bemessen werden. Und da geht es nicht nur um behinderte Menschen oder kranke Menschen. Ich erzähle Annas Geschichte, weil sie uns Orientierung geben kann bei der Gestaltung einer Gesellschaft, die Respekt hat vor dem Leben in all seiner Verschiedenheit und Unvollkommenheit.“


  • Tamina Fohrmann

    Tamina spielt Basketball, Tischtennis und Geige, forscht und gärtnert. Sie interessiert sich sehr für Psychologie, Ernährung und Jura. Sie liebt es, zu lesen, zu schreiben und Zeit draußen mit Freunden zu verbringen. Ungerechtigkeit kann sie überhaupt nicht leiden.



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