Die Wahlberechtigten des Wahlkreises Kassel haben einen neuen Mann in den Bundestag gewählt: den 41-jährigen Timon Gremmels (SPD). Am 28. November, wandelte er sein Wahlkreisbüro offiziell vom Landtagsbüro zum Bundestagsbüro um. Da er deshalb in Kassel war, haben wir vom UMLAUF uns entschieden, einen Termin für ein Interview anzufragen. Netterweise erklärte er sich bereit, uns ein Interview zu geben.
Am 24. September war Bundestagswahl in Deutschland. In Kassel stellten sich insgesamt 12 Kandidaten für die Erststimme zur Wahl. Am Ende gewann Timon Gremmels die meisten Stimmen und errang somit ein Direktmandat für die SPD. Von den etwa 225.000 Wahlberechtigten des Bundestagswahlkreises Kassel gingen jedoch nur ungefähr 165.000 wählen, was einer Wahlbeteiligung von 75,5% entspricht. Von den 165.000 Wählern stimmten ca. 60.000 als Erststimme für Timon Gremmels, was 35,5 % entspricht. So löste er die vorherige Bundestagsabgeordnete Ulrike Gottschalk (SPD) ab, die dieses Jahr nicht mehr antrat.
Am 28. November wandelte er sein Wahlkreisbüro offiziell vom Landtagsbüro zum Bundestagsbüro um. Da er deshalb in Kassel war, haben wir vom UMLAUF uns entschieden, einen Termin für ein Interview anzufragen. Obwohl sein Zeitplan sehr eng war, stimmte er einem Interview im Hauptsitz der SPD Kassel-Land in der Humboldstraße zu. In weißem Hemd und Jeans empfing er uns in seinem Büro und nahm sich sehr viel Zeit. Fast 40 Minuten dauerte das Gespräch, also sehr viel länger als geplant. Trotz der erkennbaren Müdigkeit zeigte er großes Interesse an unseren Fragen und fand immer den richtigen Ton, egal ob über den Bundestag oder die AfD befragt. Wie auch bei einem früheren Gespräch gab es auch immer etwas zu lachen. Viel Spaß beim Lesen!
Interview
UMLAUF: Können Sie sich bitte vorstellen?
Gremmels: Ich heiße Timon Gremmels, ich bin 41 Jahre alt und komme aus Niestetal und bin seit dem 24.September 2017 der Kasseler Bundestagsabgeordnete. Vorher war ich 8 Jahre lang im Hessischen Landtag tätig, unter anderem war ich energiepolitischer Sprecher und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Landtagsfraktion.
UMLAUF: Ihre ersten Tage und Sitzungen im Bundestag, wie würden Sie diese beschreiben?
Gremmels: Es war schon sehr spannend, wenn man in so einem historischen Gebäude wie dem Reichstagsgebäude in Berlin, worin sich auch der Deutsche Bundestag befindet, arbeitet. Unter anderem hatte dort schon Otto Wels bei der Machtübernahme der Nazis eine große Rede, die auch die letzte freie Rede vor der Machtübernahme der Nazis war. Dort hat er auch den berühmten Satz genannt „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ An so einem historischen Ort, wo auch Phillip Scheidemann vor 99 Jahren die Republik ausgerufen hat – wenn man dann selber da sitzt und weiß, dass man der Vertreter für die 225.000 Menschen ist, als einziger Abgeordneter aus dem gesamten Wahlkreis Kassel, das ist eine große Verantwortung, die auf den Schultern liegt, aber ich würde nicht sagen, dass es eine Last wäre.
UMLAUF: Sie sind neulich vom Hessischen Landtag in den deutschen Bundestag gewechselt, was war für Sie die größte Veränderung?
Gremmels: Einfach die Größe! In Hessen sind es allein 110 Abgeordnete im ganzen Landtag. Bei uns in Berlin hat die Bundestagsfraktion der SPD schon über 153 Abgeordnete. Allein die schiere Größe ist schon ein erheblicher Unterschied. Natürlich ist die Bedeutung, auch die Ausstattung personeller Art und die gesamte Professionalisierung der Bundestagsverwaltung etwas anderes, als es im Landtag der Fall war. Man merkt schon deutlich den Unterschied.
UMLAUF: Sie haben jetzt schon einige politische-parlamentarische Etappen durchlaufen. Sie sind in der Kommunalpolitik, waren im Landtag und sind jetzt auch im Bundestag. Kommt bald für Sie auch das Europaparlament in Frage?
Gremmels (er lacht): Naja, wir haben schon eine gute Europaabgeordnete, also Martina Werner, insofern steht es nicht an. Ich bin gerade erst in den Bundestag gewählt worden. Es heißt immer, die erste Legislaturperiode braucht man, wie ich es vom Hessischen Landtag kenne, um sich zu orientieren, um zu wissen, wie hier der Hase läuft, wie es hier funktioniert, um Leute kennenzulernen, um Bündnispartner zu finden. Wir haben gerade mit einer Truppe von jungen Abgeordneten eine Whatsappgruppe gegründet, wo wir uns auch gegenseitig austauschen und unterstützen, Netzwerke, d.h. die Kontakte, die man jetzt knüpft, kann man erst in der nächsten oder übernächsten Wahlperiode nutzen, man muss mindestens erstmal eine Wahlperiode dabei gewesen sein, um auch zu wissen, wie es geht, sodass man ab der zweiten so richtig durchstarten kann. Insofern habe ich jetzt genug mit Berlin zu tun, sodass ich mir Richtung Brüssel noch gar keine Gedanken gemacht habe (er denkt nach) … Nein… eher nicht… Denn man muss nicht alle Stufen von Kommunalpolitik bis Brüssel durcharbeiten. Das ist nicht notwendig.
UMLAUF: Was sind Ihre Wahlversprechen, was Sie für unsere Stadt, also Ihren Wahlkreis im Bundestag, durchsetzen wollen?
Gremmels: Das, was ganz wichtig ist, ist für die Region bezahlbarer Wohnraum, wir haben hier ja insgesamt zu wenig Wohnungen, die für Menschen mit geringem Einkommen bezahlbar sind. Da müssen wir ganz dringend was tun. Dafür werde ich mich stark machen, ich will auch dafür sorgen, dass möglichst die Kindergartengebühren komplett abgeschafft werden. Denn das wäre die größte Entlastung für die Familien, insbesonders Alleinerziehende, dass in dem Bereich etwas getan wird. Ich will hier auch im Umland dafür sorgen, dass wir mehr Lärmschutz an den Autobahnen bekommen, denn das ist besonders für die Menschen in den Stadtteilen Waldau und Niederzwehren ein großes Problem. Deshalb brauchen wir einen klaren Kompromiss zum Schutz der dortigen Menschen vor Lärm, z.B für die nächtliche Erholung. Das sind einige Themen, mit denen ich mich auseinandersetze, und natürlich will ich auch den Industriestandort Kassel sichern, wie die Arbeitsplätze bei der Automobilindustrie und der Eisenbahnindustrie. Die sind für unsere Region ganz wichtige Arbeitgeber.
UMLAUF: Für die Schüler und Lehrer an unserer Schule ist es eher interessant, was Sie für eine bessere Ausstattung in den Schulen tun wollen…
Gremmels: Bei Schulen ist es so, dass die Schulträger dafür zuständig sind, das wäre in dem Fall die Stadt Kassel. Wir haben als Bund das so genannte Kooperationsverbotsverbot in Bildungsfragen gelockert, das heißt, dass bei Sanierungsmaßnahmen wieder Bundesmittel fließen dürfen. Das ist wichtig. Wir würden am liebsten das Kooperationsverbot ganz aufheben, damit der Bund auch verstärkt in der Schul- und Bildungspolitik in den Ländern und Kommunen den Schulträgern unter die Arme greifen können. Die Ausstattung ist immer noch Aufgabe des Schulträgers. Wir können da auch gucken, dass es da auch Bundesprogramme gibt, aber erstmal müssen wir die Digitalisierung an der Schule vorantreiben. Wie gesagt ist dafür das Kooperationsverbot, das es noch gibt, noch mehr zu lockern. Denn es kann nicht sein, dass in der heutigen Zeit, wo man auch an schnelle Informationen kommen muss, wenn man als Schüler Referate machen oder ein Referendar eine Lernprobe vorbereiten muss. Da braucht man schon das Internet. Das ist jetzt Gang und Gäbe, deshalb muss man es auch für Schulen einrichten und gleichzeitig den kritischen Umgang mit den neuen Medien lehren. Dafür braucht man auch schnelleres Internet für die Schulen. Dafür werden wir uns auch einsetzen und hoffen dann darauf, eine Mehrheit zu bekommen, denn aus unserer Sicht ist es so, dass eine gute und moderne Schule eine wichtige Voraussetzung dafür ist, um Lernerfolge für Schüler zu schaffen.
UMLAUF: Soll es nach Ihrer Meinung ein gemeinsames Abitur geben, also gemeinsame Aufgaben und einen gemeinsamen Termin?
Gremmels: Auch hier liegt die Bildungspolitik wie auch die innere Sicherheit (Polizei usw.) bei der Kompetenzzuständigkeit der Länder und ist nicht die Aufgabe des Bundes. Was es schon gibt, ist die Kultusministerkonferenz. Das ist der Zusammenschluss der 16 Kultusminister der 16 deutschen Bundesländer, die heute schon darüber abstimmen, z.B. was die Frage angeht zur Vergleichbarkeit der Abiturprüfungen, sodass die Landesabiturprüfungen bei Ihren Schwierigkeitsgraden ähnlich sind und sozusagen wie aufeinander abgestimmt wird. Das passiert heute schon auf freiwilliger Kooperationsbasis, aber nicht unter Aufsicht des Bundes, sondern das machen die Länder eigenständig, weil Bildungspolitik eine originäre (ursprüngliche) Ländersache ist.
UMLAUF: Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es Neuwahlen gibt, was halten Sie persönlich davon?
Gremmels: Ich glaube erstmal, wir können nicht so lange wählen, bis das Ergebnis passt, insofern sind jetzt alle Parteien gefordert miteinander Gespräche zu führen.
Die Partein CDU/CSU, FDP und Die Grünen haben es ja 8 Wochen lang gemacht. Die Sondierungen sind doch bekanntlich gescheitert. Nun hat der Bundespräsident den Hut auf und hat nochmal insbesonders die SPD und die CDU für Gespräche eingeladen. Am Donnerstag sind dann Martin Schulz und die Vertreter der CDU/CSU, Angela Merkel und Horst Seehofer beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue. Ich gehe mal davon aus, dass da noch ein bisschen Bewegung in die Sache kommt. Denn auf jeden Fall kommt man zum Punkt, dass man miteinander spricht. Ob es am Ende des Tages für eine Große Koalition reicht, müssen wir mal sehen. Aber Neuwahlen sehe ich noch nicht unmittelbar, da gibt es noch genügend Gespräche zu führen.
UMLAUF: Was ist Ihre eigene Meinung zur Großen Koalition?
Gremmels: Wir haben das ja in den letzten 12 Jahren, 8 Jahre lang gemacht (2005-2009, 2013-2017), insofern dürfen Große Koalitionen nur Bündnisse auf Zeit sein und sollten keine Dauereinrichtung sein, weil sie ja die linken und rechten Ränder stärken. Deshalb sollten Große Koalitionen Zweckbündnisse auf Zeit bleiben. Man muss natürlich miteinander reden, das ist ganz klar, aber man muss es an Inhalten festmachen. Ehrlich gesagt ist es derzeit so, dass aus der letzen GroKo zwei Wahlversprechen und Vereinbarungen, die wir mit der CDU hatten, wie die Rückkehr von Teilzeit nach Vollzeit, nicht erfüllt wurden, obwohl es im Koalitionsvertrag stand. Als auch die Lebensleistungsrente, auch im Koalitionsvertrag, wurde nicht umgesetzt. Also jetzt hat der CDU- Landwirtschaftsminister, der Herr Christian Schmidt, gegen den Wunsch von der SPD-Umweltministerin, die Frau Babara Hendricks zugestimmt, dass die Glyphosat-Zulassung in der Europäischen Union verlängert wird. Das macht es nicht einfacher, eine Große Koalition zu bestreiten, es wird noch ein langer Weg sein.
UMLAUF: Die SPD macht doch gerade eine Phase der Erneuerung durch, was sind dabei die wichtigsten Punkte, um das diesjährige schlechte Wahlergebnis zu aufzubessern?
Gremmels: Wichtig ist, dass wir das Vertrauen bei den Menschen zurückgewinnen, denn es ist in den letzten Jahren einiges davon verloren gegangen. Wir hatten schon unsere ersten Schritte gemacht in Richtung Erneuerung, wie z.B. eine SPD-Dialogveranstaltung, wo wir auch nach der Wahl den Dialog mit den Menschen suchen. Da waren wir unter anderem auf den Marktplätzen an den Infoständen, haben Haustürbesuche gemacht, um die Menschen konkret zu fragen, was ihre Anregungen und Themen sind.
Das war auch schon mal ganz wichtig, dort direkt den Menschen zu zeigen, „Wir kommen nicht nur wie Kai aus der Kiste 4 oder 6 Wochen vor der Wahl an, machen Infostände und Reden vor den Leuten, sondern wir wollen es auch früher und später machen“. Unser Ziel ist es, das Vertrauen zurückzugewinnen, um auch zu zeigen, dass wir uns für unsere Inhalte auch starkmachen. Unsere sozialdemokratischen Inhalte sind unter anderem gleiche Chancen, gleiche Rechte auf Bildung, gleiche Bezahlung für Männer und Frauen, die sozialdemokratischen Werte, eine Bürgerversicherung, das sind die Themen, die wir jetzt voranstellen wollen.
UMLAUF: Was war der Grund, wieso die Bürger ihr Vertrauen in die SPD verloren haben?
Gremmels: Ich glaube, der Vertrauensverlust lag daran, dass wir bei der letzten Regierungsperiode nicht alle unsere Versprechen umsetzen konnten. Häufig, gerade im Wahlkampf, sind wir auch gefragt worden „Wieso fordert ihr das denn? Ihr regiert doch schon seit 4 Jahren mit. Warum habt ihr das nicht schon längst umgesetzt?“ Ja, es ist immer auch schwer zu erklären, obwohl es eigentlich einfach ist. Wir hatten bei der letzten Bundestagswahl 25 Prozent der Stimmen erhalten, jetzt sind es sogar nur 20 Prozent. Da kann man nicht 100 Prozent der Inhalte umsetzen. Das müssen wir den Leuten deutlich machen. Aber umgekehrt kann man in der Opposition gar nichts durchsetzen. Deswegen ist die Forderung vieler, „Geht doch mal in die Opposition und erneuert euch dort.“ Das ist nicht so ganz einfach, wenn auf der rechten Seite die AfD steht und auf der linken Seite die Linkspartei, und wir als SPD sind sozusagen eingeklemmt zwischen den beiden populistischen Parteien. Das wäre eine große Herausforderung. Jetzt müssen wir mal gucken, dass wir vielleicht eine GroKo hinkriegen, aber das wäre auch kein Spaziergang. Egal wie wir das machen, wird es für uns viel schwerer.
UMLAUF: Die AfD ist zum ersten Mal in den Bundestag eingezogen, wie haben Sie den Auftritt dieser Abgeordneten im Bundestag wahrgenommen?
Gremmels: Sie sind immer komplett im Bundestag vertreten. Im Bundestag sind sie sehr diszipliniert (er schmunzelt), sie sind sehr schneidig in ihrem Auftreten. Aber das alles ändert nichts, denn bei jeder ihrer Reden klingt immer klar ihre Ausländerfeindlichkeit mit. Bei jedem Antrag, den sie einbringen, sieht man ein klares Ziel, wie das Ziel, mehr Abschiebungen aufzunehmen, mehr Ausländer zurückzuführen. Sie machen sozusagen aus ihrem ausländerfeindlichen Menschenbild keinen Hehl. Das ist so, das hat die AfD auch schon in der ersten Bundestagssitzung deutlich gezeigt. Eine ihrer ersten Anträge war, die Rückführung nach Syrien voranzubringen, weil da ja alles wieder in Ordnung sei. Nichts ist wieder gut in Syrien. Ja, sie spielen und nehmen genau die Rolle war, wie wir das erwartet haben, sehr rechtspopulistisch, aber auch sehr diszipliniert. Da muss man eben aufpassen.
UMLAUF: Man sagt auch, dass die Bundestagsabgeordneten auch privat, also nach den Sitzungen, überparteilich privat miteinander zu tun haben.
Wie fanden Sie die AfD-Politiker als Privatpersonen?
Gremmels: Es ist ja so, dass wir gegenüber vom Bundestag die sogenannte parlamentarische Gesellschaft haben, die jetzt die Berühmtheit erlangt hat, weil die Sondierungsgespräche zur Jamaikakoalition immer auf diesem berühmten Balkon waren. Das ist das ehemalige Reichspräsidentenpalais, dort gibt es unten eine Kneipe (er lacht), also einen Clubraum für die Abgeordneten, da war es bisher immer so, früher auch, dass man sich dort mit allen Kollegen und Kolleginnen aller Fraktionen abends dann auch auf ein Bierchen getroffen hat. Das war dann an verschiedenen Tischen. Ich merke jetzt schon, wo die AfD dabei ist, gehen viele Kollegen und Kolleginnen symbolisch nicht mehr dort hin, weil die gesagt haben „Wir haben keine Lust mit denen ein Bier zu trinken“. Das ist etwas anderes als mit den anderen Kollegen, insofern kann ich es auch nachvollziehen. Diese lockere Stimmung, die es damals zwischen den Fraktionen auch gab, die ist jetzt sehr angespannt. Ehrlich gesagt, ich habe auch keine Lust mit denen ein Bier trinken zu gehen (er lacht). Denn das ist Privatsache, das ist meine Freizeit und die will ich mit den Leuten verbringen, die ich mag und die ich sympathisch finde, die AfD-Politiker sind mir nicht sympathisch.
UMLAUF: Zu der Bundestagskneipe bei der Parlamentarischen Gesellschaft noch einmal: Wie kann man sich die Stimmung dort drin vorstellen? Kommen dort „nur“ die Abgeordneten zusammen oder auch hochrangige Politiker oder Bundesminister?
Gremmels: Ja, genau, die Parlamentarische Gesellschaft ist ein Abgeordnetenclub. Die Mitglieder dort sind die Abgeordneten der Landtage, des Bundestags, des Europaparlaments, aber auch die Mitglieder der Bundesregierung. Da kann es schon sein, dass man mit einem Bundesminister an einem Tisch sitzt.
Zwischenfrage vom UMLAUF: Was ist mit der Bundeskanzlerin?
Gremmels: Merkel…, die ist glaube ich nicht so die Kneipengängerin (er lacht). Gestern Abend z.B. hatten wir eine Bundestagsfraktionssitzung bis um Viertel vor acht, und dann sind wir anschließend noch mit ein paar jüngeren Abgeordneten in die Kneipe, also den Clubraum, gegangen, dort haben wir etwas getrunken. Dann kam zum Beispiel Thomas Oppermann, der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende und derzeitige Vizepräsident des Bundestages, herein, sodass wir anschließend noch mit ihm reden konnten. Da sind schon auch Bundesminister und ehemalige Minister drin. Man trifft sich und trinkt was miteinander, isst etwas und unterhält sich, auch parteiübergreifend, wie gesagt, so richtig Lust auf die AfD haben wir dort nicht.
UMLAUF: Man hört, dass im Plenarsaal des Bundestages nur repräsentative Politik gemacht wird, also alles „Show“ für die Öffentlichkeit. Erst hinter den Kulissen, also in den Ausschüssen, würde die richtige Politik gemacht. Stimmt das?
Gremmels: Naja, ‚alles nur Show‘ ist etwas sehr zugespitzt, aber das ist nicht völlig falsch. Da wir ja zurzeit in dieser Legislaturperiode außer dem sogenannten Hauptausschuss, dem Petitionsausschuss und dem Geschäftsprüfungsausschuss gar keine richtigen Ausschüsse haben, findet die meiste Diskussion derzeit im Parlament statt, denn die Ausschüsse werden erst dann gebildet, wenn die Regierung steht. Deswegen ist jetzt gerade das Parlament gestärkt, da viel mehr politische Debatten im Parlament stattfinden. Es ist schon so richtig, klar ist, dass Parlamente öffentlich tagen. Da sind ja die Livekameras im Plenarsaal. Das nutzt auch jeder Abgeordnete und jede Fraktion und jeder Minister natürlich zur verbesserten Selbstdarstellung. Die inhaltlichen Diskussionen werden in der Tat schon in den Ausschüssen geführt, aber es gibt auch Diskussionen, die auch im Bundestag selbst geführt werden. Die letzte große Überraschung, als der Bundestag eine große Rolle hatte, war die Einführung der Ehe für alle. Insofern… ganz so ist es nicht, dass es nur Show ist, aber es wird schon da auch mitberücksichtigt.
UMLAUF: Wie wichtig ist dann ein deutscher Bundestagsabgeordneter, also wie viel Macht besitzt er, z.B. die Zukunft Deutschlands zu beeinflussen?
Gremmels: Gerade in der jetzigen Phase, wo wir in Deutschland keine richtige Regierung haben, sondern nur eine geschäftsführende, sind die Abgeordneten sehr stark. Denn wir entscheiden jetzt ohne Koalitionszwang oder Koalitionsvereinbarung, nach eigenem Wissen und Gewissen, so wie es sonst auch sein sollte. Ohne Regierung ist man deutlich stärker. Man hat aber auch die Verantwortung über das gesamte Land. Man darf jetzt nicht nur aus dem Bauch heraus entscheiden. Nicht nur kurzatmig und gucken, was hilft mir morgen, sondern man muss natürlich bei jeder Entscheidung auch gucken, was ist übermorgen.
Insofern hat man schon eine Gesamtverantwortung, also ich kann es ganz deutlich sagen, dass wir in den letzten Wochen im Bundestag z.B. die Militäreinsätze der Bundeswehr im Ausland für die nächsten drei Monate erstmals verlängert haben. Das sind schon Entscheidungen, wo man weiß, wenn man die Bundeswehrsoldaten z.B. nach Mali schickt oder die da belässt, ein Sarg zurückkommen könnte. Da weiß man dann selber, dass man da eine Mitverantwortung trägt, wenn man dafür die Hand gehoben hat, bei der Abstimmung für diesen Einsatz im Ausland. Das stimmt man nicht einfach so durch. Aber gerade als Neuer, wenn man weiß, welche Dimensionen seine eigene Entscheidung hat, ist es eine große Herausforderung.
UMLAUF: Eine weitere Frage zu den Machtverhältnissen im Bundestag: Was halten Sie von Lobbyismus?
Gremmels: Lobbyismus bedeutet ja nur, dass man für seine Interessen wirbt. Das tut eine Schülerzeitung, es tut eine Schülervertretung, das tut eine Gewerkschaft, aber auch Firmen wie Monsanto, BASF, K+S oder VW. Wichtig ist, dass es transparent ist, wir leben in einer kooperativen Verbändedemokratie, das heißt auch, dass die organisierten Interessen auch formal eingebunden werden, wie z.B. bei Anhörungen über Gesetze werden ja Experten auch von den Verbänden durch einzelne Fraktionen vorgeschlagen. Wichtig ist, dass es transparent ist. Deswegen bin ich sehr dafür, ein Lobbyregister einzuführen, wo klar ist, welche Interessensvertreter für wen unterwegs sind. Und dass jetzt nicht, sagen wir mal so, mehr Lobbyisten im Bundestag rumspringen als Bundestagsabgeordnete (er lacht). Ich bin jetzt nicht gegen Lobbyismus, sondern eher bin ich dafür, dass es transparent stattfindet, sodass es klar ist, wer mit wem spricht und dass da keine Gelder fließen. Schon gar keine Gesetzesformulierungen aus Lobbyistenhand stattfinden. Wenn man die genannten Aspekte berücksichtigt, dann habe ich keine Probleme damit, dass organisierte Interessen artikuliert werden.
UMLAUF: Wie schwer ist das Leben als Bundestagsabgeordneter, denn man muss doch alle paar Wochen von zwischen Berlin und Kassel pendeln. Man hat keine festen Arbeitszeiten, sodass man auch bis in die späte Nacht verhandeln muss und dauerhaft übermüdet ist.
Gremmels: (er lacht) Genau… Es ist schon so, dass es anstrengende Tage und anstrengende Wochen gibt. Klar es ist kein „nine-to-five-job“, wo man irgendwie dann schon um 16-17 Uhr Feierabend hat und die Ruhe bis zum nächsten Tag hat. Es gibt viele Abendtermine, wichtige Veranstaltungen, Gespräche, die dann zu führen sind. Aber es gehört aber zum Job dazu. Ich halte diesen Job für total abwechslungsreich, also meine Wochen in Berlin sind anders strukturiert, denn ich habe dort andere Funktionen als bei meinen Wochen, wo ich in Kassel, also meinem Wahlkreis bin. Das Schöne ist, es gibt eine Direktverbindung von Kassel nach Berlin, die nur zweieinhalb Stunden dauert. Ich habe heute Morgen um 6:21 Uhr in Berlin einen ICE genommen, sodass ich die Möglichkeit hatte, um halb 10 bei der Eröffnung der Energiekonferenz in der Documenta-Halle zu sein. Also ich sage mal, ich genieße mein Leben in vollen Zügen, das meine ich wörtlich (er lacht). Denn ich bin viel mit der Bahn unterwegs, das Schöne dabei ist, dass man schlafen und lesen kann. Es ist kein Tag wie jeder andere, es gibt immer Abwechslung, gerade in der jetzigen Phase ist es relativ selbstbestimmt.
UMLAUF: Wie kann man seine Arbeit als Bundestagsabgeordneter und sein Privatleben kombinieren oder trennen, ohne dass es zu Problemen kommt?
Gremmels: Natürlich ist es so, dass man auch Einschränkungen haben kann, wenn man z.B. Wochenendtermine hat, dass man dort dann im Freundeskreis, bei seiner Familie nicht immer dann Präsenz sein kann, wenn da ein Familienfest oder andere Dinge sind. Man muss auch Prioritäten setzen, wenn irgendwann dann was ist, dann muss auch mal Berlin zurückstehen. Aber es ist schon so, dass man nicht jetzt die freien Wochenenden hat wie ein normaler Angestellter, wie z.B. am Samstag hatten wir einen Parteitag in Frankfurt, da bin ich morgens statt um 6:30 Uhr nach Berlin nach Frankfurt gefahren, dann am Abend erst um 18 Uhr zurück in Kassel. Danach hatte ich noch von 19:11 Uhr bis 23-24 Uhr eine Karnevalsveranstaltung. Dafür hatte ich mir für den kompletten Sonntag auch freigenommen und da auch keine Termine mehr angenommen. Natürlich, wenn ganz viel los ist, kann man auch in der Woche sagen „OK…, ich nehme mir jetzt mal 3-4 Stunden Zeit und lege mich hin oder mache was anderes.“ Man ist selbstbestimmt bei der Festlegung der Termine, aber es führt dazu, dass man sich gerade z.B. in der Wahlkampfzeit seinen Terminkalender voll haut.
Da muss man aufpassen, dass man bei Zeiten, wo kein Wahlkampf ist, sich auch etwas mehr entspannt, es darf nicht dazu führen, dass man gar nichts mehr macht. Denn das fällt auf, wenn Abgeordnete oder Kandidaten nur 4-6 Wochen vor der Wahl, wie „Kai aus der Kiste auftauchen“ und dann in der Wahlperiode nicht mehr gesehen werden. Das will ich nicht, ich will viel unterwegs sein, denn es macht ja auch Spaß.
UMLAUF: Würden Sie diesen Beruf weiterempfehlen?
Gremmels: Naja, es ist ein Mandat auf Zeit, es ist kein Beruf, als Beruf bin ich dann Diplom-Politologe, sondern ich bin jetzt für hoffentlich vier Jahre gewählt. Ob ich danach wiedergewählt werde, entscheiden Wählerinnen und Wähler. Ob es ein Beruf ist, den ich weiterempfehlen kann? … auf jeden Fall! Der ist sehr abwechslungsreich, man hat eine große Verantwortung, denn man trägt eine große Last auf den Schultern, aber es ist kein Beruf, den man sozusagen nach Studium oder Ausbildung bis zur Rente macht. Denn es ist ein Mandat auf Zeit, ich finde, nachdem ich 8 Jahre lang im Landtag gearbeitet hatte, ist es gut. Wenn ich dann noch 8 oder 12 Jahre in Berlin mache, ist es auch gut. Man sollte es nicht als Daueraufgabe machen. Ehrlich gesagt finde ich, wie es der Herr Schäuble macht, seit 44 Jahren Bundestagsabgeordneter zu sein, ist etwas problematisch, denn er ist länger im Bundestag als ich auf der Welt.
UMLAUF: Wie sind Sie eigentlich zur Politik gekommen?, War es denn damals ihr Traumberuf oder gab es da ein bestimmtes Ereignis?
Gremmels: Ja, es gab ein Ereignis, es gab sogar zwei Ereignisse! Das Eine war relativ früh, dass mich dazu geführt hat, mich für Politik zu interessieren. Das war 1986, als die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl stattfand, wo das Atomkraftwerk in die Luft geflogen ist. Da war ich gerade 10 Jahre alt, durfte dann nicht mehr draußen spielen, musste mich dreimal am Tag duschen, durfte auch keine frische Milch mehr trinken, sondern ich hatte nur Milchpulver bekommen. Dann wollte ich es einfach wissen: Was waren die Zusammenhänge? Was waren die Hintergründe? Und so habe ich angefangen, mich für Politik zu interessieren, insbesonders für den Bereich erneuerbare Energien. Was sind die Alternativen zu Atomkraft? Dem Thema bin ich dann treu geblieben. Danach habe ich auch sozusagen ein zweites Thema gehabt, wir haben uns bei uns in Niestetal, wo ich herkomme, als Jugendliche als Jusos dafür eingesetzt, dass wir einen Street-Bolzplatz kriegen unter der Autobahnbrücke. Damit es auch Plätze gibt, wo sich Jugendliche aufhalten können. Das haben wir zusammen mit einer Truppe von jungen Leuten gemacht und die sind auch den JUSOS beigetreten. Ja, das waren die beiden Ereignisse, wo ich gesehen habe, man kann was bewegen. So bin ich dann zur Politik gekommen. Ich habe dann auch noch nebenbei studiert. Ich habe auch nicht nur in der Politik gearbeitet, sondern ich war Büroleiter einer Abgeordneten des Europaparlaments und habe auch mal als Vorstandsreferent bei der SMA gearbeitet. Genau, so bin ich zu der Politik gekommen.
UMLAUF: Jugendliche und Politik, ich lass die drei Wörter mal so stehen, Was ist Ihre Meinung dazu?
Gremmels: Ja, es ist ganz wichtig, dass junge Leute sich auch engagieren und sich auch einbringen, und zwar nicht nur in ihren Bereichen, wie bei der Schülervertretung oder Ausbildungsvertretung, sondern wir sehen auch gern, dass junge Menschen an der Politik teilhaben und auch politische Mitsprache haben. Deswegen wären wir auch sehr dafür gewesen, auch bei Teilen des Wahlprogramms, das Wahlalter 16 einzuführen, weil wir der Auffassung sind, dass Menschen in diesem Alter wählen können, wo sie ja auch darüber entscheiden, ob sie eine Ausbildung machen oder studieren oder ob sie weiter zur Schule gehen würden oder sie sich firmen lassen oder nicht, ob sie schon einen Führerschein machen wollen oder nicht. Also wo sie wichtige, ganz wichtige Entscheidungen für die Zukunft ihres Lebens treffen, dass sie in so einer Phase auch politisch diskutieren und mitentscheiden sollen. Deswegen wären wir dafür, das Wahlalter auf 16 zu senken. Das ist unsere Sicht, die auch für die Jugendlichen sehr hilfreich wäre.
UMLAUF: Wenn Sie schon erwähnen, dass es wichtig sei, dass sich junge Leute politisch engagieren sollen, was hat eigentlich ein Jungpolitiker z.B. bei den Jusos oder bei anderen Jungendorganisationen der Parteien zu tun? Klischees behaupten, dass man dort nur Wahlplakate aufhängt und mit den „Altpolitikern“ manchmal am Stammtisch sitzt, Was sind die wirklichen Aufgaben der Jungpolitiker?
Gremmels (er lacht): Naja gut, die Jusos haben immer zwei Aufgaben, zum einen sind sie das innerparteiliche Korrektiv, also es sind die, die auch der großen SPD „mal die Leviten lesen“, mal „Salz in die Wunde streuen“ und z.B. ganz klar sagen „Wir wollen keine GroKo“. Zum anderen natürlich auch die sogenannte „Jusos-Doppelstrategie“, also einerseits das Korrektiv innerhalb der SPD zu sein, zum anderen auch für die SPD zu werben, wie sie auch gesagt haben, Wahlkampf gemacht haben. Hier oben z.B. hängen noch die beiden T-Shirts aus meinem Bundestagswahlkampf. Genau…, das ist auch die Aufgabe der Jusos, bei uns zu sein, als SPD, als Jugendorganisation auch zu kämpfen und zu werben und auch Wahlkampf zu machen, andererseits auch thematisch die SPD voranzubringen und Alternativen deutlichzumachen.
UMLAUF: Zum Schluss: Was hat sich in Ihrem Leben verändert, nachdem Sie Bundestagsabgeordneter geworden sind? Sie vertreten jetzt 225.000 Personen in Kassel und sind deswegen sehr bekannt, ich gehe mal davon aus, dass Sie auch erkannt werden wenn sie auf der Königstraße oder beim Einkaufen sind.
Gremmels: Ja, das stimmt, es wird schon geguckt, was macht der Abgeordnete, was legt er sich in den Einkaufswagen, was kauft er da im Kaufhof ein, man steht schon unter Beobachtung. Man muss da auch immer ordentlich grüßen, freundlich und nett zu den Menschen sein, das sollte man immer (er lacht), aber vor allem wenn man bekannt ist. Es ist sogar viel wichtiger für manche Menschen als die politischen Inhalte, dass die Abgeordneten einen ordentlichen Umgang haben, ordentlich grüßen, zuhören und die Menschen bei ihren Sorgen und Nöten ernst nehmen. Das heißt, wenn ich einkaufen gehe, muss ich immer eine halbe Stunde mehr einkalkulieren, Zettel und Stift mitnehmen, weil es ist dann sozusagen meine mobile Bürgersprechstunde bei mir im Ort. Leute hauen mich an und sprechen mich an nach dem Prinzip „Wenn ich Sie schon grad mal hier habe, können sie mal…/machen Sie mal…, / kümmern Sie sich mal um… . Dann muss ich mir es natürlich notieren und es auch umzusetzen versuchen. Insofern, mal eben schnell einkaufen gehen, das ist schon schwierig… oder auch abends im Theater wird man hinterher oder in den Pausen zwischendurch auch gefragt, wie einem das Stück gefällt oder sowas wie „Ach.. sie sind ja auch hier“. Aber man steht da immer unter Beobachtung, man muss das wissen, wenn man den Job machen will. Das gehört halt dazu, ich kann ja nicht sagen „Am Wahltag möchte ich, dass jeder mich kennt“ und danach zwischen den Jahren möchte ich, dass mich keiner kennt, das funktioniert nicht. Das ist eben ein Nebeneffekt, dass man unter Beobachtung steht, und es wird auch genau betrachtet, was man tut, sagt und macht. Das muss man wissen und darauf muss man sich einstellen.
Wenn ich mal unerkannt, in Ruhe, mal weggehen will, dann setze ich mich ins Auto, dann bin ich nach einer halben Stunde in Göttingen. Das ist halt ein anderes Bundesland und da kennt mich schon überhaupt gar keiner (er lacht). Das ist dann kein Problem mehr.
UMLAUF: Sie wohnen doch in Niestetal, da ich dort auch wohne, könnte ich Sie doch theoretisch beim Einkaufen im Edeka abfangen, oder?
Gremmels: Ja ich wohne da in Niestetal-Sandershausen, hinter dem Hallenbad. Damals hatte ich auch jahrelang da vorne beim Herkulesmarkt, wie es damals noch hieß und jetzt dem Edeka gearbeitet.
Sie hätten da eine Wahrscheinlichkeit mich zu sehen, denn ich habe erst vor kurzem ein Tagespraktikum an der Kasse gemacht. Da habe ich an der Kasse gesessen und kassiert und genau dort habe ich vor 20 Jahren als Schüler und Student nebenbei gearbeitet. Dort sind dann auch noch viele Kolleginnen und Kollegen, die ich damals beim Kassieren kennengelernt habe und die jetzt noch da arbeiten.
UMLAUF: Danke für das Interview, Herr Gremmels