Von unserer Gastredakteurin Marie Bochon (8c)
Im Oktober 2014 machten sich 15 Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 7, 8, 9 in Begleitung von Herrn Liebetrau und Herrn Dr. Kallfell auf den Weg nach Russland zu ihren Austauschpartnern, den Schülerinnen und Schülern der 90. Schule in Jaroslawl. Darunter befanden sich auch einige Russischlerner, die zum ersten Mal in Russland waren. Auf ihrer Reise konnten die Gäste aus Kassel viele Erfahrungen sammeln und das Eigene am Fremden hinterfragen. In ihrem Erfahrungsbericht schildert hier Marie Bochon ihre Eindrücke.
Um sechs Uhr standen wir am Wilhelmshöher-Bahnhof und mussten wegen des Streiks mit dem Bus bis zum Frankfurter Flughafen fahren. Von Beginn an wurden wir alle von Herrn Kallfell und Herrn Liebetrau wie die Schafe gehütet. Ich flog das allererste Mal, und der Start sowie die Landung waren schrecklich. Gefühlte 24 Stunden später kamen wir an und fuhren ins Hotel, wo alles erstklassig war, und danach ging es auch gleich mit der Metro zum Roten Platz.
Es war fantastisch, die vielen Menschen und das erleuchtete GUM, ein Einkaufszentrum, zu sehen. Nebenbei konnten wir auch unsere Atemwolken beobachten, da es mindestens 10 Grad kälter als in Deutschland war. Am nächsten Tag fuhren wir dann in einem Reisebus nach Jaroslawl, wo wir schon sehnsüchtig von unseren Gastgebern erwartet wurden, weil wir große Verspätung hatten. Schnell wurden die Namen der Gastschüler verlesen, jeder schnappte sich seinen Koffer und machte sich mit seiner Gastfamilie auf den Heimweg.
Unser Programm bestand hauptsächlich aus Museumsbesuchen und daraus, an Kurzfilmen zu arbeiten, die von einem Märchen handeln sollten. Am besten gefiel mir der Sonntag, weil wir einen ganzen Tag mit unserer Gastfamilie verbringen konnten und es keine langen Vorträge und kein frühes Aufstehen gab. Ksenija, ihre Familie und ich gingen z.B. in den Zirkus und zu der Stelle, wo die Wolga und die Kotorosl zusammentreffen.
Zuerst war die Stimmung zwischen Ksenija und mir ziemlich distanziert und ich fragte mich, woran das lag. Da fielen mir die Geschenke ein, für deren Übergabe ich noch keinen passenden Moment gefunden hatte. Also packte ich meinen nicht allzugroßen Mut zusammen und holte sie: Faltstreifen für Fröbelsterne und noch weitere Kleinigkeiten, die die Stimmung sofort veränderten. Ich fühlte mich viel mehr in die Familie integriert und Ksenija und ich suchten gleich im Internet Anleitungsvideos falteten wie die Weltmeister. Ksenija war sehr erstaunt, als ich ihr sagte, dass wir in der Schule keinen Werkunterricht haben, und danach lag die Verblüffung gleich auf meiner Seite, als sie sagte, dass ihre Lieblingsbands Rammstein und ACDC seien und sie gerne Mangas lese.
Abends spielten wir oft mit allen Karten, und vorher räumte ich freiwillig die Spülmaschine ein, füllte Wasser in den Filter nach, weil man in Russland das Wasser vorher filtern muss, machte den Esstisch sauber und packte das übriggebliebene Essen ein.
Die Tage waren dann immer mit Museumsbesuchen und der Arbeit an den Kurzfilmen gefüllt. Auf den Fahrten zu den Museen oder sonst irgendwohin saß Herr Kallfell IMMER hinter uns (so war das auch schon auf der Anreise gewesen!), und uns wurde klar, dass das kein Zufall mehr sein konnte, also drehten Swantje und ich die Musik noch lauter, um bloß nicht reden oder singen zu müssen. Die meisten sangen aus vollem Leibe die Lieder, die wir im Russischunterricht gelernt hatten, und dies wurde von den Bass-Stimmen unserer Aufsichtspersonen noch „gepusht“. Unsere Busfahrer waren etwas komisch: Einer hatte eine ganze Glockensammlung vorne hängen, die bei jedem Schlagloch (und davon gab es genug) läuteten. Am spannendsten war definitiv der Besuch im Mäusepalast, weil man hier nicht nur Ausstellungsstücke, sondern auch echte Mäuse und Fledermäuse betrachten konnte!
Dann rieselte plötzlich schon Schnee, und das im September! Die Folgetage waren mit Restaurant-Besuchen, Museumstagen und den Kurzfilmen gefüllt, und der Abschied kam schleichend näher. Wir trafen uns also wieder mit allen in der Schule 90, um die Abschiedsaufführung im Bühnenraum zu proben. Zuerst sollte das umgeschriebene Stück „Schneewittchen“ aufgeführt werden, in dem Daniel der Prinz war, der die holde Maid aus dem Koma rettet. Danach mussten wir die Lieder „Moskau“ von Dschinghis-Khan und noch andere russische Lieder üben. Das Problem: Der Beamer für die Karaoke war noch nicht da und wir konnten den Text nicht auswendig. Herrn Liebetrau störte aber am meisten, dass wir da nur stocksteif auf der Bühne herumstanden, anstatt zu tanzen. Bei der Aufführung der russischen Liedern konnten wir uns zum Glück zwischen den Gastgebern verstecken, wofür ich ziemlich dankbar war. Geprobt wurde auch noch ein kleines Theaterstück, das von einer riesigen Rübe handelte, die aus dem Boden herausgezogen werden sollte. Swantje und ich waren die Erzählerinnen, was eigentlich kein Problem war, allerdings war das Stück auf Russisch, und das erhöhte den Schwierigkeitsgrad rapide, und so hatten wir riesiges Lampenfieber. Kornelia wurde noch spontan ein Gedicht in die Hand gedrückt, das sie vortragen sollte, und Ksenjia trug mit einer Mitschülerin ebenfalls ein Gedicht vor.
Nach den Aufführungen, die gut verlaufen waren, gingen wir in die Cafeteria, wo es viele Snacks gab. Wir aßen fleißig und dann gingen wir zurück nach Hause, eigentlich um die Sachen zu packen, aber meine Gastfamilie schleppte mich noch zum Einkaufen und dabei kam mir eine tolle Idee, die ich dann in die Tat umsetzte. Zuerst aber die Überraschung: Der Einkauf im Wert von etwa 1500 Rubel war als Proviant für mich gedacht! Ich war skeptisch, denn ich wusste, dass ich nicht alles während der Fahrt essen würde, und ins Flugzeug durfte ich nichts mitnehmen. Aber zurück zu meiner Idee: Ich bereitete für meine Gastfamilie Krabbensalat zu und zum Nachtisch gab es Eis. Von ihnen bekam ich eine Silberkette und einen Taschenspiegel geschenkt, auf dem Jaroslawl abgebildet ist.
Um drei Uhr ging ich dann ins Bett, um 5.30 Uhr stand ich wieder auf, damit ich noch meine Sachen packen konnte, was mir sogar gelang. Bevor wir in den Bus stiegen, der bei der Schule 90 – dem Ort unserer Ankunft und Abfahrt – stand, machte ich noch ein Foto von allen und war ziemlich traurig. Natürlich saß im Bus Herr Kallfell wieder hinter uns! Nur hatte er sich diesmal etwas Besonderes einfallen lassen: Es gab Frikadellen, einen ganzen Beutel voller Frikadellen, der immer wieder zwischen Swantjes und meinem Kopf baumelte: ,,Wollt ihr eine Frikadelle?“
Am Moskauer Flughafen konnten wir noch ein bisschen herumstreunen und ich kaufte mir ein Buch auf Russisch, was wirklich schwer zu lesen ist. Wieder in Deutschland angekommen, merkte ich erst, wie ölig die Luft in Russland war. Die Mitarbeiter der Bahn streikten wieder, nur dieses Mal nahmen wir ein Taxi bis zum Frankfurter Hauptbahnhof und von dort aus einen ICE, sodass wir um 22 Uhr in Wilhelmshöhe ankamen, wo jetzt unsere eigenen Eltern auf unsere Ankunft warteten. Außer meinen, die waren nämlich mal wieder zu spät!