Rovaniemi 2024

Ein Wintertraum

Schüchtern, schweigsam, introvertiert, aber doch höflich und freundlich – mit diesen Eigenschaften werden die Finnen häufig assoziiert. Dennoch leben in dem nördlichen Land angeblich die glücklichsten Menschen der Welt. 

Ein paar dieser Menschen lernten einige unserer Schüler*innen diesen Februar kennen, denn seit 1981 existiert ein zehntägiger Schüleraustausch zwischen dem Goethe-Gymnasium Kassel und der Lyseonpuisto High school in Rovaniemi. 

Seit 52 Jahren ist Kassel die Partnerstadt Rovaniemis, der Hauptstadt Lapplands. Obwohl Rovaniemi im wenig besiedelten Norden Finnlands liegt, ist es flächenmäßig die größte Stadt Europas, die sich über 7500 oder 8000 Quadratkilometer erstreckt – je nachdem, ob man die zahlreichen Binnengewässer miteinbezieht oder nicht. Kassel im Vergleich hat lediglich 106 Quadratkilometer Fläche. 

Beide Städte besitzen allerdings eine Gemeinsamkeit, die sie zu Partnerstädten hat werden lassen. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wurden sie vollends zerstört, sodass sie sich um einen vollständigen Wiederaufbau kümmern mussten. 

Um die aus schlimmen Umständen entstandene Partnerschaft wirklich auszunutzen und die finnische Kultur sowie Natur kennenzulernen, begaben sich 12 Schüler*innen unserer Schule am 16. Februar in Begleitung von Herrn Kabelitz und Herrn Ruppert auf die Reise nach Lappland, wo wir von Temperaturen von bis zu -29 Grad erwartet wurden. 

Der erste Abend wurde mit den jeweiligen finnischen Gastfamilien verbracht, um sich erst einmal kennenzulernen und einzuleben, am nächsten Tag lernten wir Deutschen dann die finnische Schule kennen. 

Bereits am ersten Tag waren deutliche Unterschiede im Schulalltag zu bemerken. Zur Freude aller Deutschen beginnt der Unterricht dort erst um 8:30, dementsprechend willkommen war das Ausschlafen. Zudem gibt es in der Schule kostenloses warmes Mittagessen für alle und die Schüler*innen nennen die Lehrkräfte beim Vornamen. 

Obwohl der Großteil aller Finnen ausgesprochen flüssiges Englisch spricht, findet der Unterricht auf Finnisch statt, weshalb wir Deutschen nicht verpflichtet waren, jeden Unterricht unserer Gastschüler zu besuchen. Dennoch begleiteten die meisten ihre Austauschpartner*innen zumindest ein paar Mal in den Unterricht und stellten dabei fest, dass das Klassenklima, vor allem aber die Beteiligung während der Stunden, deutlich anders als hierzulande ist. Da es in Finnland überwiegend auf die Anwesenheit am Unterricht sowie die schriftlichen Leistungen ankommt, wurde sich am Unterricht kaum beteiligt und auch die Lehrkräfte schienen von den Schüler*innen kaum mündliche Leistungen zu erwarten. 

Auch wenn das entspannt klingen mag, empfanden einige der Deutschen diesen Unterricht als monoton und bevorzugten unsere Art des Lernens. Für die Finnen ist es allerdings gebräuchlich, nicht nur im Unterricht wenig zu reden. 

Besonders diesbezüglich wurden wir Kasseler positiv überrascht, denn zu Beginn der Reise hatte man uns erklärt, es sei normal, dass Finnen oft über einen längeren Zeitraum schweigen. Das sei keineswegs böswillig oder unhöflich gemeint, sondern einfach die typisch finnische Art. Aber wir wurden zum Glück eines Besseren belehrt, denn zumindest die Jugendlichen zeigten sich doch sehr gesprächig und offen. 

Man beachte die Temperaturanzeige…

Auch kümmerte sich der Großteil der Austauschpartner mühevoll darum, uns Deutschen eine Zeit mit vielen besonderen Erinnerungen zu bereiten. So wurde Freizeit selten zuhause verbracht, sondern mit selbstorganisierten Gruppenaktivitäten. Viele besichtigten das Kunstmuseum oder die besonders einladend gestaltete Kirche Rovaniemis. Außerdem wurde trotz der Kälte viel Zeit an der frischen Luft verbracht, egal ob beim Langlaufen mit den Gastfamilien oder beim Schlittschuhlaufen. Auch für diejenigen, die in den Eishallen Deutschlands bereits Schlittschuh gelaufen waren, war es eine neue Erfahrung, auf einer freien Fläche draußen, zum Teil ohne Bande und vor allem ohne Menschenmassen, fahren zu können. Für finnische Kinder ist das Schlittschuhlaufen lernen allerdings so selbstverständlich wie für uns das Fahrrad fahren. 

Dennoch wollten die meisten nicht all zu lange in der eisigen Kälte bleiben, und so wurden auch schöne Stunden in Cafés, Restaurants oder beim Shoppen verbracht und selbstverständlich hatten auch die Lehrkräfte bereits vorher einiges geplant. 

Besonders in Erinnerungen geblieben ist den allermeisten neben den Besuchen im Arktikum und im Weihnachtsmanndorf wohl der Ausflug am Sonntag zu einer kleinen Hütte im Wald. Mit Skiern unter den Füßen wurden einige Kilometer durch den Wald gewandert. Anfängliche Schwierigkeiten sorgten dafür, dass nicht wenige hinfielen, dennoch schienen alle es zu genießen. Vor allem, als an der Hütte angekommen über einem Feuer Würstchen, frischer Lachs und Gebäck gegrillt wurden. Die weitläufigen weißen Landschaften, die in den dichten Wald übergingen, waren für alle ein unvergesslicher Anblick.

Abschließend stellten sich alle der besonderen Herausforderung, sich bei eisigen Temperaturen ins noch Kältere zu begeben. Am vorletzten Abend stand Eisbaden auf dem Programm und tatsächlich trauten sich alle Deutschen, in das Eisloch zu steigen. Eine Erfahrung, nach der sich die meisten nicht jeden Tag sehnen werden, die aber einigen auf jeden Fall ein positives Gefühl mitgegeben hat. 

Bedauerlich war, dass Herr Kräbs, der den Austausch seit vielen Jahren mitgestaltet, uns in diesem Jahr aus beruflichen Gründen nicht begleiten und sich deshalb nur über einige Bilder freuen konnte. 

Für den Großteil waren es aber wohl vor allem die Freundschaften, die geschlossen wurden und diese zehn Tage so besonders gemacht haben. Dabei entstanden nicht nur Freundschaften zwischen den jeweiligen Austauschpartnern, sondern auch mit anderen Finnen. Ob beim Polarlichtersuchen, beim Wandern oder Kinobesuch – alle schienen sich sehr wohlzufühlen. Alesja aus der Q1 beschreibt ihren Aufenthalt in Finnland abschließend als absolut positiv: 

„Ich hatte ein paar Ängste, in einer fast fremden Familie für zehn Tage zu bleiben, aber seit dem ersten Treffen am Flughafen habe ich eine Freundin fürs Leben gewonnen.“

Nach diesen intensiven und erlebnisreichen Tagen sind alle gespannt darauf, die Finnen im kommenden September in Kassel begrüßen zu können. 


  • Tamina Fohrmann

    Tamina spielt Basketball, Tischtennis und Geige, forscht und gärtnert. Sie interessiert sich sehr für Psychologie, Ernährung und Jura. Sie liebt es, zu lesen, zu schreiben und Zeit draußen mit Freunden zu verbringen. Ungerechtigkeit kann sie überhaupt nicht leiden.