Die Philippinen waren im vergangenen Herbst aufgrund des verheerenden Taifuns ein täglich präsentes Thema in den Medien. Viele Menschen auf der ganzen Welt haben schon Geld für die Opfer der Katastrophe gespendet. Doch was wissen wir darüber hinaus über diesen Inselstaat? Seit einigen Monaten bin ich nun vor Ort als Menschenrechtsbeobachter tätig. Zwischen Palmen und bei etwa 30°C höre ich Geschichten von Auftragskillern, lese Obduktionsberichte und Zeugenaussagen von Folteropfern. Ziel der Arbeit ist die Stärkung der Menschenrechtsverteidiger.
Als mir Ende Juni 2013 mein Abitur-Zeugnis in der Aula des Goethe-Gymnasiums überreicht wurde, standen meine Pläne für die nahe Zukunft bereits fest: Ich würde drei Wochen später auf die Philippinen ausreisen und dort für knapp acht Monate als Menschenrechtsbeobachter für die Organisation IPON (International Peace Observer Network) tätig sein. Nun bin ich seit einigen Monaten hier und erlebe jeden Tag Neues und Aufregendes. Vor allen Dingen wird mir aber klar, wie anders man sein Leben gestalten kann, als ich es aus Deutschland gewohnt bin.
Die ersten fünf Monate meiner Zeit verbrachte ich im Süden der Philippinen in Malaybalay auf der Insel Mindanao. Über Mindanao hört man ab und zu etwas in den deutschen Medien, wenn die Abu-Sayyaf, eine islamistische Terrorgruppe, Anschläge verübt, die MNLF, eine muslimische Autonomie-Bewegung, eine Stadt für unabhängig erklärt und daraufhin wochenlange Kämpfe mit der Armee folgen, oder wenn die NPA, eine kommunistische Terrorgruppe, reiche Ausländer entführen. Über Malaybalay hingegen hört man nie etwas. Es handelt sich um eine Stadt mit etwa 160.000 Einwohnern; trotzdem hat man das Gefühl, dass es eher ein größeres Dorf sei, weil wirklich jeder jeden kennt.
Jeden Morgen gibt es frisches Obst zum Frühstück, meistens einen Fruchtsalat aus Mangos, Ananas, Bananen. Dazu noch ein wenig Toast, und schon ist unser für philippinische Verhältnisse sehr europäisches Frühstück fertig. Ein richtiges philippinisches Frühstück besteht aus Reis, Spiegelei und Fisch. Überhaupt gibt es keine philippinische Mahlzeit, die ihren Namen verdient, wenn kein Reis dabei ist. Morgens, mittags, abends: Reis (und in der Regel auch Fisch) ist Pflicht! Es gibt tatsächlich sehr, sehr viele Dinge, die wirklich vollkommen anders sind als in Deutschland. Zum Beispiel werden für den öffentlichen Nahverkehr in der Regel nur Tricycles (selbst zusammengeschweißte Motorräder mit größerem Anhänger) oder Multicabs (kleine Busse mit offener Tür, damit man schnell rein- und rauskommt) benutzt. Eine Fahrt kostet dann 7 – 8 Peso, also etwa 15 Cent. Wenn wir eine längere Strecke hinter uns bringen müssen (und das kommt häufiger vor, weil Malaybalay so klein ist, dass wir in der Regel in eine andere Stadt fahren müssen), bringt uns ein Fernbus zum Ziel, der mit etwa 30 km/h über die Straßen rast. Da wir in der Regel 100-150 km fahren müssen, ist es durchaus normal, dass eine Busfahrt zwischen fünf und sechs Stunden dauert. Man lernt aber schnell, die Zeit zum Schlafen zu nutzen!
In meiner Arbeit bin ich sehr frei. In Mindanao waren wir ein Team von vier Personen, drei Frauen und ich, in zum Teil sehr unterschiedlichen Situationen unseres Lebens. Eine Teamkollegin, Laura, hat wie ich gerade ihr Abitur bestanden, eine andere, Rebecca, ist gerade kurz vor ihrem Bachelor in Europawissenschaften, und die dritte, Media, meine Zimmergenossin, hat im Frühjahr ihr Medizin-Studium erfolgreich abgeschlossen. Was uns eint, ist das Interesse an Menschenrechten. Wir alle wurden auf mehreren Seminaren geschult und auf unsere Arbeit hier vorbereitet. So arbeiteten wir z.B. mit Indigenen zusammen, die sich für ihr Land einsetzen, mit Gewerkschaften, die gegen Korruption kämpfen, und mit einem Menschenrechtsverteidiger, gegen den offensichtlich eine Anklage wegen eines Bombenattentates konstruiert wurde, damit er dem Gouverneur nicht weiter in die Quere kommt.
Wichtig ist für unsere Arbeit, dass wir diese MRV (Menschenrechtsverteidiger) nicht in ihrem eigentlichen „Kampf“ unterstützen, sondern dass es uns darum geht, dass sie ihre Arbeit ausüben können, ohne Repressalien und Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt zu sein. Hauptaugenmerk ist demnach nicht, wofür sie sich selbst einsetzen, wir unterstützen sie nur, wenn sie durch ihren Einsatz bedroht und angegriffen werden und die Polizei nicht ermittelt, also der Staat seiner Schutzfunktion nicht nachkommt.
Immer wieder komme ich während der Arbeit in Berührung mit Themen, die mir in Deutschland sehr fern waren. Von unseren Partnern wird uns von Killerkommandos berichtet, wir lesen, wie Zeugen angeblich gefoltert wurden, damit sie bestimmte Aussagen tätigen, und wenn wir langfristige Strategien planen, gehört auch der Tod eines unserer Partners zum Spektrum der möglichen Bedingungen. Die Arbeit ist auf der einen Seite fesselnd und spannend, auf der anderen Seite aber auch erschreckend.
Seit Ende Dezember bin ich nun nicht mehr in Mindanao, sondern in Bacolod auf der Insel Negros tätig. Hier beschäftigen wir uns hauptsächlich mit Farmern, die sich im Zuge der Landreform für eigenen Grundbesitz einsetzen und dabei oft in Konflikt mit Großgrundbesitzern kommen. Für mich ist es besonders interessant, nach dem etwas provinziellem Malaybalay, nun auch nochmal länger in einer größeren philippinischen Stadt zu wohnen, die aber trotzdem, anders als die philippinische Hauptstadt Manila, auch noch einen gewissen Charme versprüht.
Ich merke, dass ich hier auf den Philippinen Erfahrungen mache, die ich nicht missen möchte: sowohl positive – ich war z.B. schon Schnorcheln mit Walhaien, habe den höchsten Berg der Philippinen bestiegen und Dschungeltouren gemacht – als auch negative. Ich stelle aber auch fest, dass die Zeit hier für mich ein „Ausflug“ weg aus dem Leben in Deutschland ist, der davon lebt, dass er zeitlich begrenzt ist. Obwohl ich mich hier sehr wohl fühle, fehlt mir auch einiges. Neben Freunden und Familie freue ich mich jetzt schon wieder auf einen geregelten Straßenverkehr, ganz ohne das Gefühl allgegenwärtiger Lebensgefahr, und auf echtes, deutsches Brot!
Noch mehr Berichte von mir gibt es auf meinem Blog. Viele, viele Bilder findet man auch in den Bildergalerien.
Auch der Blog meines Einsatzteams in Mindanao oder Negros ist einen Blick wert. Wer sich über IPON informieren will, ist hier richtig.